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Fall Leonie: Lebenslange Haftstrafe für Stiefvater

Der Stiefvater von Leonie muss lebenslang ins Gefängnis. Knapp ein Jahr nach dem Tod der Sechsjährigen wird er wegen Mordes durch Unterlassen verurteilt. Das Gericht ist überzeugt: Den behaupteten Treppensturz hat es nie gegeben.

Mordprozess um Leonie
Der angeklagte Stiefvater im Gerichtssaal. Foto: Bernd Wüstneck/dpa/Archiv
Der angeklagte Stiefvater im Gerichtssaal. Foto: Bernd Wüstneck/dpa/Archiv

Neubrandenburg (dpa) - Kaum hat Richter Jochen Unterlöhner das Urteil verkündet, bricht im voll besetzten Saal des Landgerichts Neubrandenburg Jubel und Gejohle aus. Der Stiefvater der getöteten sechsjährigen Leonie aus Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern muss lebenslang ins Gefängnis.

Die Schwurgerichtskammer befindet den 28-Jährigen schuldig - des Mordes durch Unterlassen, der Körperverletzung mit Todesfolge und der schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen.

»Wir sind davon überzeugt, dass es keinen Treppensturz von Leonie gegeben hat, wie vom Stiefvater behauptet«, sagt Unterlöhner. Der Verurteilte selbst nimmt das Urteil hin, wie er schon den gesamten Prozess verfolgt hat - mit gesenktem Blick. Er war bis zum Schluss bei der Treppensturz-Version geblieben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Anwalt Jörg Fenger lässt offen, ob Revision eingelegt wird.

Leonie war am 12. Januar 2019 tot in der Wohnung der Familie in Torgelow in Vorpommern gefunden worden. Rettungskräfte und die Polizei verfolgten erst den vom Stiefvater ins Spiel gebrachten Treppensturz, fanden dann aber an anderen Orten in der Wohnung nicht erklärbare Blutspuren - und immer mehr Ungereimtheiten.

Das Mädchen sei Opfer einer Bestrafung geworden, vermutlich als es mit dem Puppenwagen der Mutter zum Einkaufen hinterhergehen wollte, sagt der Richter. Der Puppenwagen sei hinuntergestürzt, das Kind nicht. Der Mann habe Leonie mit einem Sicherungsbügel mehrfach gegen den Kopf geschlagen und schwer verletzt. An dem Bügel wurden später Leonies DNA-Spuren entdeckt. Eine Gutachterin hatte bei ihr mehrere Wunden am Kopf, darunter schwere Hirnverletzungen, gefunden, die nicht durch einen Sturz erklärbar waren.

Als die Mutter zurückgekommen sei, habe der Stiefvater verhindert, dass für die im Bett liegende Leonie sofort Hilfe geholt wurde. Er habe die Mutter angewiesen, sich um das gemeinsame Baby zu kümmern. Selbst als der Mutter beim Baden - etwa zwei Stunden später - die vielen Verletzungen und der »leere Blick« von Leonie aufgefallen seien, habe der Stiefvater einen Notruf nur vorgetäuscht.

»Das war die Verdeckungsabsicht. Er wollte verhindern, dass das Mädchen jemandem etwas erzählt«, sagt Richter Unterlöhner. Dann habe der »langsame Sterbeprozess begonnen«. Erst weitere zwei Stunden später - da soll Leonie im Bett geröchelt haben - wurde der Notruf gewählt. Und selbst da habe der Mann der Leitstelle vorgespielt, dass Leonie im Hintergrund noch weint und lebt, wie aus der Audioaufzeichnung des Notrufs hervorging. »Eine Abartigkeit sondergleichen«, sagt Unterlöhner. Bei rechtzeitiger Hilfe hätte das Kind nach Ansicht einer Gutachterin vielleicht überleben können.

Der Stiefvater habe die Familie abgeschottet und eine aggressive gewalttätige Dominanz entwickelt. »Wenn er arbeiten gegangen wäre, wäre es vielleicht nicht so schlimm geworden«, sagt Unterlöhner. Leonie und ihr zweijähriger Bruder - auch er ein Stiefkind des Verurteilten - seien seit Mitte November 2018 einem Martyrium ausgesetzt gewesen. Mit dem Urteil folgt die Schwurgerichtskammer in vollem Umfang der Forderung der Staatsanwaltschaft. Diese hatte sich vor allem auf Angaben von Leonies Mutter gestützt, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit angehört worden war. Sie hatte von einer »Spirale der Gewalt« durch den Lebensgefährten gesprochen.

Am Ende lässt das Gericht aber keinen Zweifel daran, dass auch die Mutter noch vor Gericht muss. Unklar sei, warum die Kinder nicht vor den Gewaltausbrüchen geschützt worden seien. Mutter und Stiefvater trügen strafrechtliche Verantwortung, »aber jeder für sich«, sagt Unterlöhner.