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Erster »Stresstest« steht bevor - Sylt und das 9-Euro-Ticket

»Sylt entern«, dazu Netz-Bildchen mit überfüllten Stränden und Zügen, Sorgen über volle Züge und der Vorwurf, man wolle nur die reichen Gäste. Sylt wieder ist in aller Munde. Und was sagt man auf der Insel selbst?

Sylt bereitet sich auf zusätzliche Besucher für Pfingsten vor
Reisende und Pendler gehen zu einem Zug, der Westerland verlässt. Mit dem Start des 9-Euro-Tickets werden über Pfingsten mehr Besucher auf der Insel Sylt erwartet. Foto: Bodo Marks
Reisende und Pendler gehen zu einem Zug, der Westerland verlässt. Mit dem Start des 9-Euro-Tickets werden über Pfingsten mehr Besucher auf der Insel Sylt erwartet.
Foto: Bodo Marks

Wer sich in den vergangenen Wochen in den sozialen Netzwerken umgesehen hat, konnte fast das Gefühl bekommen, für das 9-Euro-Ticket gibt es nur ein Ziel: Sylt.

Zur angeblichen Angst der Insulaner, von 9-Euro-Urlaubern überrannt zu werden, wurden unzählige Bildchen mit überfüllten Stränden und Zügen kreiert. Aufrufe linker Gruppen im Netz, die Insel zu entern, machten schnell die Runde.

Dabei hatten die Insulaner vorher eigentlich nur darauf aufmerksam machen wollen, dass die Bahn durch die zusätzlichen Gäste an ihre Kapazitätsgrenze stoßen wird, die Züge dürften noch voller werden als sonst. Denn wer nicht mit der Fähre von Dänemark anreisen will, muss mit der Bahn über den Hindenburgdamm. Eine Strecke, die in den vergangenen Jahren immer wieder wegen Unpünktlichkeit sowie ausfallender und überfüllter Züge in den Schlagzeilen war.

Die Auswirkungen vor allem in den sozialen Netzen hat einige auf der Insel überrascht. »Manches ist ja offensichtlich nicht so rübergekommen, wie es gemeint war, darauf werden wir in Zukunft achten«, sagte der Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH, Moritz Luft.

Vorbereitung auf Pfingsten

Seit Mittwoch ist das 9-Euro-Ticket gültig, es gilt bundesweit im Nahverkehr. Auf Sylt stellt man sich nun - wie in anderen Urlaubsorten auch - auf zusätzliche Gäste gerade an den Wochenenden ein. Er denke aber nicht, »dass wir überrannt werden«, sagte Karl Max Hellner, Inhaber mehrerer Modegeschäfte auf Sylt und Vorsitzender des Vereins »Sylter Unternehmer«. Das Hauptaugenmerk gelte den rund 4000 Pendlern, die täglich mit dem Zug zur Arbeit auf die Insel kommen, sagte Hellner. »Unsere größte Sorge ist, dass unsere Mitarbeiter, die täglich pendeln (...) dann in noch engeren Zügen fahren müssen.« Jetzt bereite sich die Insel erst einmal auf die Pfingsttage vor, traditionell ein gut besuchtes Wochenende auf der Insel. »Pfingsten ist auf jeden Fall der erste 9-Euro-Stresstest.«

Zunächst blieb der große Andrang auf Sylt noch aus. Alles sei unauffällig angelaufen, sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn am Donnerstag. Probleme mit überfüllten Zügen gab es demnach ebenfalls nicht. »Alles in allem ein normaler Tag.« Wie sich die Situation am Pfingstwochenende entwickle, könne man zwar noch nicht abschätzen. Man sei jedoch gut vorbereitet und habe unter anderem zusätzliche Doppelstockwagen und verlängerte Züge im Einsatz.

Die aktuellen Aufrufe, Sylt zu zerstören, Sylt zu entern, wecken bei manchen Erinnerungen an 1995, als Autonome dazu aufgerufen hatten, mit dem damals neuen 15-Mark-Wochenend-Ticket der Bahn dorthin zu fahren und »Chaos« zu verbreiten. Mehrere Dutzend Randalierer wurden an einem Wochenende Ende März 1995 am Bahnhof Westerland festgenommen, die zuvor in zwei Zügen der Deutschen Bahn randaliert hatten.

Die »Insel der Schönen und Reichen«

Man hoffe natürlich, dass es nicht zu Problemen kommt, »die leider angekündigt sind«, sagte Unternehmer Hellner. Auf etwaige Chaostage will die Insel dennoch vorbereitet sein. »Es hat einige Gespräche gegeben in verschiedenen Kreisen.« Wenn es so weit kommen solle, sei es auch eine Sache des Landes und des Bundes. »Die müssen uns dann auch unterstützen.«

Dass sich die Menschen immer noch so am Klischee der »Insel der Schönen und Reichen« abarbeiten, löst bei vielen Gästen und Insulanern nur Kopfschütteln aus. Hellners Kollege im Vorstand der »Sylter Unternehmer« Ole König, schrieb neulich in der »Zeit«: »Jene, die uns heimsuchen wollen, haben falsche Vorstellungen von Sylt. Das hier ist kein Reichen-Zoo, in dem Millionäre und Milliardäre herumstolzieren!«

Und auch Marketing-Geschäftsführer Luft stellte fest: »Jeder der Sylt kennt, weiß, wie heterogen unsere Insel ist«. Man freue sich grundsätzlich über alle Gäste. Und tatsächlich: Zwar haben auf Sylt einige Reiche und Prominente einen millionenteuren Zweitwohnsitz oder logieren in einem der Luxushotels. Aber es gibt eben auch mehrere Campingplätze, Jugendherbergen, günstige Pensionen und Ferienwohnungen, die auch nicht teurer sind als auf anderen Inseln.

Jetzt in der Woche nach Himmelfahrt, vor Pfingsten ist die Insel gut besucht, aber sie wirkt nicht überfüllt. In den Dünen vor Kampen geht eine Urlauberin aus Saarbrücken mit ihrem Mann spazieren. Das 9-Euro-Ticket sehe sie ambivalent, sagt sie. Sie gönne es allen Menschen, hierher zu reisen für kleineres Geld. Aber: »Auf der anderen Seite, denke ich, ist die Insel ohnehin relativ voll.«

Kaum Platz für Einheimische

Und das ist tatsächlich eher ein Problem für die Insel. Ob die Leute im eigenen Ferienhaus, im Hotel oder im Zelt übernachten, viel oder wenig für die Anreise zahlen, ist vor Ort eher zweitrangig. Diskutiert wird vielmehr - wie in vielen anderen Ferienorten nicht nur an Nord- und Ostsee - dass über die Jahre immer mehr Menschen kommen, immer mehr Hotels gebaut werden, kaum Platz für Einheimische bleibt.

»Zu viel, zu voll«: Dies empfinden viele Sylter nicht erst seit der Corona-Pandemie so, als der Tourismus auf den Inseln zunächst mit Betretungs- und Beherbergungsverboten auf null war und dann in den Sommern plötzlich auf hundert wieder hochgefahren wurde. Mit verschiedenen Konzepten versucht die Insel gegenzusteuern. Stichworte sind: nachhaltiger Tourismus, Entschleunigung, Dauerwohnraum statt Ferienbebauung und intelligente Verkehrskonzepte auf der Insel.

© dpa-infocom, dpa:220602-99-524329/2