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Erste Interessenten und Kritik an Russlands Corona-Impfstoff

Für Ende des Jahres oder Anfang des kommenden hatten Wissenschaftler mit ersten Zulassungen von Corona-Impfstoffen gerechnet. Doch nun prescht Russland vor - und lässt übliche Verfahren außer Acht. Dafür hagelt es viel Kritik. Aber auch Verkäufe ins Ausland sind in Sicht.

Impfstoff
Russland hat den ersten Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen. Foto: Alexander Zemlianichenko Jr/Russian Direct Investment Fund/AP/dpa
Russland hat den ersten Impfstoff gegen das Coronavirus zugelassen. Foto: Alexander Zemlianichenko Jr/Russian Direct Investment Fund/AP/dpa

MOSKAU. Den Wettlauf um die erste Zulassung eines Corona-Impfstoffs hat Russland für sich entschieden - doch statt Jubel gibt es weltweit viel Kritik.

Wirksamkeit und Sicherheit seien wegen der nicht abgeschlossenen dritten Testphase nicht zu beurteilen und der Impfstoff damit eine potenzielle Gefahr für die Bevölkerung, bemängeln Experten weltweit. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) reagierte zurückhaltend auf den vermeintlichen Erfolg. Die Forschung an einem Impfstoff solle in jedem Entwicklungsschritt gemäß bewährter Prozesse vonstattengehen, um sicherzustellen, dass der Impfstoff sicher und effektiv ist, teilte das WHO-Regionalbüro Europa der Deutschen Presse-Agentur mit.

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte am Dienstag die Zulassung des Impfstoffs »Sputnik V« zur breiten Verwendung in der Bevölkerung bekanntgegeben. Sie erfolgte vor dem Vorliegen der Ergebnisse sogenannter Phase-III-Studien - ein Vorgehen, das dem international üblichen Ablauf widerspricht. Weder die Wirksamkeit noch die Nebenwirkungen lassen sich derzeit fundiert beurteilen.

»Dass die Russen solche Maßnahmen und Schritte überspringen, beunruhigt unsere Gemeinschaft von Impfwissenschaftlern«, sagte Peter Hotez vom Baylor College of Medicine in Houston (Texas) dem Fachjournal »Nature«. »Wenn sie es falsch machen, könnte das gesamte globale Vorhaben untergraben werden.« Eine Massenimpfung mit einem nicht ausreichend getesteten Impfstoff sei unethisch, kritisierte Francois Balloux vom University College London.

Trotz der immensen Kritik gibt es aber auch Interesse an dem Mittel. Der brasilianische Bundesstaat Paraná kündigte an, ein Abkommen mit Russland zu schließen, um den Impfstoff selbst zu produzieren. »Die technisch-wissenschaftliche Kooperation öffnet die Möglichkeit, Impfstoff-Tests zu machen und die Impfung hier für die brasilianische Bevölkerung zu produzieren«, sagte der russische Konsul in Curitiba, Acef Said, der Deutschen Presse-Agentur.

Der Chef des russischen Investmentfonds, Kirill Dmitrijew, nannte neben Brasilien auch die Philippinen und die Vereinigten Arabischen Emirate als Länder, die Interesse an einer Produktion von »Sputnik V« hätten. Es gebe darüber hinaus auch Interesse aus dem Ausland, an der dritten Testphase teilzunehmen. Israel teilte mit, grundsätzlich an »Sputnik V« interessiert zu sein. Es gebe bereits Beratungen über den neuen Impfstoff, hatte der israelische Gesundheitsminister Juli Edelstein am Dienstag gesagt.

Der Impfstoff wurde vom staatlichen Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelt. Erst wenige Menschen haben ihn im Rahmen einer Studie erhalten. Zu den ersten Menschen aus der Bevölkerung, die nun geimpft werden sollen, gehören medizinisches Personal und Lehrer. Parallel dazu sollen die entscheidenden Phase-III-Tests mit Tausenden Probanden laufen. Der Name »Sputnik V« soll an den ersten Satelliten im All erinnern, den die Sowjetunion 1957 gestartet hatte - und damit vor den USA.

US-Präsident Donald Trump versprach dem amerikanischen Volk nach Russlands Ankündigung schnelle Fortschritte bei der Entwicklung eines eigenen Impfstoffes. »Wir sind auf dem besten Weg, schnell 100 Millionen Dosen zu produzieren, sobald der Impfstoff zugelassen ist, und kurz danach bis zu 500 Millionen«, sagte er. Mehrere aussichtsreiche Stoffe seien in der letzten Erprobungsphase und stünden vor einer Zulassung.

Laut einer Liste der Weltgesundheitsorganisation vom Montag werden derzeit sechs andere Impfstoff-Kandidaten in einer Phase-III-Studie getestet. Nur ein gut wirksamer Impfstoff kann Experten zufolge eine rasche und deutliche Wende in der Corona-Pandemie bringen, ohne dass strenge Lockdown-Regeln nötig sind. (dpa)