Fotos und Videos auf einer großen Leinwand skizzieren die tödliche Autofahrt an jenem 8. Juni 2022 im Schatten der Berliner Gedächtniskirche. »Ein langgestrecktes Splitter- und Spurenfeld«, beschreibt ein Experte für Verkehrsunfälle. Die Bilder führen am Dienstag im Saal 500 des Berliner Landgerichts vor Augen, was angerichtet wurde, als ein Autofahrer mit seinem Wagen in Fußgänger raste. Ein 29-jähriger Mann soll dies vor acht Monaten mit Absicht getan haben. Ihm sei dabei bewusst gewesen, dass es Todesopfer geben könnte, das habe er billigend in Kauf genommen, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Sie wirft ihm Mord und versuchten Mord sowie gefährliche Körperverletzung vor.
Von der Todesfahrt auf dem Kurfürstendamm (Ku'damm) und der Tauentzienstraße war vor allem eine Schulklasse aus Nordhessen betroffen. Die 51 Jahre alte Lehrerin der 10. Klasse der Kaulbach-Schule aus Bad Arolsen starb noch am Tatort. Ein Kollege sowie elf Schülerinnen und Schüler wurden verletzt, manche lebensgefährlich. Auch eine 14-Jährige, die mit ihren Großeltern in Berlin zu Besuch war, gehörte zu den Betroffenen. Weitere Opfer waren eine 32-Jährige, die im siebten Monat schwanger war, sowie zwei vor einem Imbiss stehende 29 und 31 Jahre alte Männer.
Elf Betroffene sind in dem Prozess auch als Nebenkläger vertreten.
Furcht vor Retraumatisierung
Ihr Platz im Gerichtssaal bleibt jedoch leer, lediglich ihre Anwälte verfolgen das Geschehen. Wie der Vorsitzende Richter Thomas Groß zum Prozessauftakt erklärt, besteht bei zahlreichen Opfern die Gefahr einer Retraumatisierung durch das Verfahren. Vor allem den betroffenen Jugendlichen will er darum nach Möglichkeit eine zusätzliche psychische Belastung durch eine weitere Zeugenvernehmung ersparen. Um ihre Erlebnisse gleichwohl im Prozess berücksichtigen zu können, sollen frühere Aussagen verlesen werden. Er wolle so den jungen Leuten »hier Raum geben, ohne sie in diesen Raum zu zwingen«, erklärt Groß.
Der Beschuldigte, der nach eigenen Angaben die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist seit der Todesfahrt in einem Krankenhaus des Maßregelvollzugs untergebracht. Ein vorläufiges psychiatrisches Gutachten legt laut Staatsanwaltschaft die Schuldunfähigkeit des Mannes nahe. In einem sogenannten Sicherungsverfahren strebt Staatsanwältin Silke van Sweringen die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Seit mindestens 2014 sei der in Armenien geborene Mann an einer Schizophrenie erkrankt. Ohne Behandlung ist aus Sicht der Behörde zu befürchten, dass der Beschuldigte weitere gefährliche Taten begeht.
Ungebremst drauf zu gerast
An jenem Junitag 2022 sei der Mann zunächst auf den Gehweg am Ku'damm gerast, wo sich die Schulklasse aufhielt. Danach habe er »die Fahrt ungebremst fortgesetzt«, so Sweringen. »Die Fahrt endete erst, als er ein Schaufenster durchbrach.« Zuvor erfasste sein Wagen demnach die schwangere Frau sowie die zwei vor einem Imbiss stehenden Männer.
»Der Beschuldigte hat bei den Kollisionen nicht gebremst«, erklärt der Unfall-Sachverständige Dietmar Severin. Als er plötzlich von der Fahrbahn auf den Bürgersteig gesteuert sei, habe er das Gaspedal voll durchgetreten - »der Motor heulte auf«. Am Fahrzeug habe es keine technischen Mängel gegeben - »er hätte bremsen können«, sagt Severin. Der Fahrer habe auch nicht gebremst, als Menschen auf der Motorhaube lagen. Das alles sei nicht mit einem unabsichtlichen Fahrstil in Übereinstimmung zu bringen.
Der 29-Jährige verfolgt den ersten Prozesstag schweigend. Sein Mandant werde sich zunächst nicht äußern, erklärt sein Verteidiger Mark Höfler. Ihm fehle der Zugang zu dem tragischen Geschehen. »Er kann nicht sagen, was an dem Tag in ihm vorging«, so der Anwalt am Rande. »Ihm und seiner Familie ist es aber ein Anliegen zu verdeutlichen, wie leid ihnen dieses schreckliche Ereignis tut«, betont der Verteidiger. Vermutlich habe sein Mandant nicht ausreichend Medikamente zu sich genommen und sei deshalb in einen psychotischen Zustand geraten.
Der Prozess soll am 17. Februar fortgesetzt werden. Die zuständige 22. Strafkammer plant dann, den schwer verletzten Lehrer aus Hessen als Zeugen zu vernehmen. Bislang hat das Gericht insgesamt zwölf Verhandlungstage geplant. Das Urteil könnte demnach am 21. April gesprochen werden.
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