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Entsetzen über Geburt genmanipulierter Mädchen

Noch sind sie wohl gesund - welche Folgen der Größenwahn eines chinesischen Gentechnikers für zwei Babys mit manipuliertem Erbgut langfristig haben wird, lässt sich noch nicht absehen. Experten sehen einen Super-GAU für die Wissenschaft und einen Verstoß gegen Menschenrechte.

Arbeiten am Erbgut
Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui behauptet, er habe geholfen, die ersten genetisch veränderten Babys der Welt zu zeugen: Zwillingsmädchen, deren DNA er seiner Meinung nach verändert hat. Foto: Mark Schiefelbein/AP
Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui behauptet, er habe geholfen, die ersten genetisch veränderten Babys der Welt zu zeugen: Zwillingsmädchen, deren DNA er seiner Meinung nach verändert hat. Foto: Mark Schiefelbein/AP

PEKING. Ein chinesischer Wissenschaftler hat die weltweit erste Geburt genmanipulierter Babys verkündet. »Zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana kamen vor einigen Wochen weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt«, sagt der Forscher He Jiankui in einem am Sonntag auf Youtube verbreiteten Video. Ein Designer-Baby will er nicht geschaffen haben - medizinisch relevant war der Eingriff nach Einschätzung von Experten aber nicht.

Die an Embryonen vorgenommene Manipulation mit dem noch sehr jungen Verfahren Crispr/Cas9 hatte He zufolge das Ziel, die Kinder resistent gegen HIV zu machen. Eine geprüfte wissenschaftliche Veröffentlichung zu dem Eingriff gibt es nicht. Auch eine Bestätigung durch andere Quellen lag zunächst nicht vor.

»Warum hat er das getan?«, fragte Guido de Wert, Professor für Ethik in der Reproduktionsmedizin und Genforschung an der Universität Maastricht. Ein Kind nicht mehr anfällig für mögliche künftige HIV-Infektionen zu machen, sei kein guter Grund für die erste klinische und möglicherweise riskante Anwendung einer Genomeditierung bei Embryos.

»Bei den Experimenten handelt es sich um unverantwortliche Menschenversuche«, betonte Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien solche Ansätze aufs Schärfste zu kritisieren. Die Grundlagenforschung zur Genschere Crispr/Cas sei weit entfernt vom Einsatz beim Menschen. »Die Neben- und Spätfolgen sind noch unabsehbar und schwer zu kontrollieren.« Die Zukunft der genveränderten Kinder sei vollkommen ungewiss.

»Die chinesischen Forscher haben Menschenrechte verletzt und der Vertrauenswürdigkeit der Wissenschaft schweren Schaden zugefügt«, sagte auch Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrates (EGE). »Das sollte die internationale Gemeinschaft nicht dulden.«

Auch von chinesischen Forschern kam massive Kritik: »Direkte Versuche am Menschen können nur als verrückt beschrieben werden«, hieß es in einem am Montag veröffentlichten Schreiben, das 122 Forscher unterzeichneten. Die Versuche seien ein »schwerer Schlag für die weltweite Reputation der chinesischen Wissenschaft«. Statements von Behörden oder der Regierung gab es zunächst nicht.

Ihm sei bewusst, dass seine Arbeit Diskussionen auslösen werde, erklärt He in seiner Videobotschaft. »Aber ich glaube, Familien brauchen diese Technik.« Es gehe ihm nicht darum, Kinder zu erschaffen, deren IQ erhöht und deren Haar- und Augenfarbe ausgewählt werden kann, behauptete er.

Dem Eintrag in einem chinesischen Register zufolge brachte das chinesische Team ungewollt kinderlose Paare aus gesunder Mutter und HIV-infiziertem Vater dazu, bei den Versuchen mitzumachen. Mittels künstlicher Befruchtung wurden zahlreiche Embryos geschaffen, deren Erbgut mit der erst seit 2012 in Labors eingesetzten Genschere Crispr/Cas9 verändert wurde. Die Forscher um He zielten dem Eintrag zufolge auf das Gen für den sogenannten CCR5-Rezeptor ab, an den sich HI-Viren für eine Infektion der Zelle anheften. Menschen ohne funktionales CCR5-Protein stecken sich nicht mit dem Virus an - ein berühmtes Beispiel ist der »Berlin-Patient« Timothy Ray Brown.

Die Kinder vor einer möglichen HIV-Infektion durch ihre Eltern zu schützen, war nicht die Motivation - dafür gibt es andere, einfache und risikoarme Wege. Bei einem der Zwillinge habe sich schon in der Petri-Schale gezeigt, dass die Manipulation nicht zum Tragen gekommen sei, erklärte Dabrock. Trotzdem seien beide Embryos eingepflanzt worden. Auch das sei ein Beleg dafür, dass es He nicht um eine Therapie oder die Vermeidung einer Krankheit gehe.

Klar ist jedenfalls: He hält mehrere Patente für Techniken zur Veränderung von Erbgut, handfeste finanzielle Interessen dürften daher zumindest Teil seiner Motivation sein. Studiert hat der Forscher an den Universitäten Rice und Stanford in den USA, bevor er in seine Heimat zurückkehrte und die Leitung eines Labors an der Southern University of Science in Shenzhen übernahm. Laut chinesischen Staatsmedien besitzt er auch eine Firma für Gentestgeräte.

Die Shenzhener Universität, an der He forscht, wies am Montag jedes Wissen über seine Experimente zurück. »Wir sind zutiefst schockiert«, hieß es in einer Mitteilung. Die Arbeiten wurden demnach außerhalb der Universität durchgeführt. Auch habe He die Hochschule nicht über seine Arbeit unterrichtet. He habe »ernsthaft gegen die akademische Ethik und akademische Normen« verstoßen.

Die Gen-Schere Crispr/Cas9 geht auf einen uralten Abwehrmechanismus von Bakterien zurück. Für gezielte Veränderungen am Erbgut wurde die molekulare Such- und Schneide-Maschine erstmals von der französischen Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und der US-Biochemikerin Jennifer Doudna genutzt. Ihre Studie erschien 2012 im Magazin »Science«. Mit dem Mini-Werkzeug können Gene verändert, an- oder ausgeschaltet und durch fremde Bestandteile ergänzt oder ersetzt werden. Die Methode wird inzwischen in unzähligen Labors weltweit verwendet und erforscht.

Charpentier forscht heute als Direktorin am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin. In den vergangenen Jahren warnte sie ebenso wie Doudna immer wieder vor allzu blauäugigem Vorpreschen und mahnte an, das System erst einmal grundlegend zu erforschen.

»Wenn sich das bestätigt, stellt diese Arbeit einen Bruch mit dem zurückhaltenden und transparenten Vorgehen der globalen Wissenschaftsgemeinde bei der Anwendung von Crispr/Cas9 zum Editieren der menschlichen Keimbahn dar«, sagte Doudna am Montag in Hongkong. Es sei dringend erforderlich, der Genmanipulation bei Embryos klare Grenzen zu setzen. Sie dürfe nur dort zum Einsatz kommen, wo eine deutliche medizinische Notwendigkeit bestehe und keine andere Behandlungsmethode existiere.

In vielen Ländern mangelt es derzeit an gesetzlichen Regelungen für derartige Manipulationen an menschlichem Erbgut. »Es reicht nicht aus, dass die Wissenschaft sich Verhaltenscodizes gibt, an die sich keiner hält«, so Dabrock. »Wenn systematisch die biologische Grundlage des Menschen manipuliert werden soll, ist dies ein Menschheitsthema.« Sinnvoll sei möglicherweise eine Überwachungsbehörde analog zur Internationalen Atomenergie-Organisation.

Die Nachricht von den genveränderten Babys kam einen Tag vor Beginn einer Konferenz zum Thema Human Genome Editing an der Universität Hongkong, bei der Pioniere des Genome Editing sprechen werden. Sowohl Doudna als auch He nehmen an der Veranstaltung teil. Klar wird dann vielleicht, ob es die genveränderten Babys Lulu und Nana tatsächlich gibt. Denn, so formulierte es der britische Genetiker und Autor Adam Rutherford am Montag auf Twitter: »Außergewöhnliche Behauptungen bedürfen außergewöhnlicher Beweise, und bisher haben wir keinen einzigen Beweis.« (dpa)