Die Meedensdorfer Straße ist eine stark befahrene Ausfallstraße in Memmelsdorf bei Bamberg - und sie ist stellenweise dicht von hohen Bäumen bewachsen. Hier springen viele Eichhörnchen von Ast zu Ast. Wollen die Tiere auf die andere Seite, mussten sie bis vor kurzem über die gefährliche Straße. »Ungefähr 20 überfahrene Eichhörnchen lagen hier jedes Jahr auf der Straße«, erzählt Baumpfleger Michael Schenzel. Eine Bekannte von ihm aus dem Memmelsdorfer Ortsteil Meedensdorf, die sich für Tierschutz engagiert, habe ihn auf die tödliche Gefahr für die Nagetiere aufmerksam gemacht.
Michael Schenzel ist als Baumpfleger auch zertifizierter Baumkletterer und verfügt über entsprechende Ausrüstung. Er nahm Kontakt mit dem Berliner Verein »Aktion Tier« auf, dessen Mitglieder ihn über Eichhörnchenbrücken informierten. Aktivisten des Vereins haben in Berlin und München solche Brücken gebaut: Über ein mehrere Zentimeter dickes Seil klettern die Hörnchen einige Meter über der Straße von einem Baum zum anderen.
Im März spannte Michael Schenzel mit einem Kollegen das Seil über die Meedensdorfer Straße. Die Gemeinde Memmelsdorf finanzierte den Bau der Eichhörnchenbrücke. Mit Genehmigung des Landratsamts Bamberg sperrten Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr die Kreisstraße und sicherten die Baustelle ab, so dass die Ehrenamtlichen um Michael Schenzel loslegen konnten. Neben dem Seil, das über die Straße von Baum zu Baum führt, installierten die Tierschützer auch zwei Wildkameras.
Spezialanfertigung aus Polypropylen
Das Seil sei eine Spezialanfertigung aus Polypropylen mit einer Lebensdauer von zehn bis 15 Jahren, sagt Michael Schenzel. Um die Eichhörnchen auf die Brücke zu locken, ist an jedem Ende des Seils ein Kasten mit Spezialfutter angebracht. »Auf einer Seite ist der Kasten schon leer«, sagt er. Das sei ein Hinweis darauf, dass die Eichhörnchen die Brücke nutzen. Rund um die Uhr beobachtet werde diese nicht.
Seines Wissens sei die Memmelsdorfer Eichhörnchenbrücke erst die fünfte derartige Konstruktion in Deutschland, sagt Michael Schenzel. Weitere gibt es in Berlin-Friedrichshagen, München-Gern, Trier und Vlotho (Nordrhein-Westfalen). Im Mai 2023 installierte die oberbayerische Gemeinde Krailling (Landkreis Starnberg) eine solche »Luftbrücke« zwischen zwei Bäumen.
Juliana Neumayer von der Eichhörnchen-Auffangstation Bamberg versucht oft, angefahrene Eichhörnchen zu retten. »Leider ist die Überlebenschance in solchen Fällen sehr schlecht«, berichtet die Tierschützerin, die ebenfalls an der Errichtung der Memmelsdorfer Eichhörnchenbrücke beteiligt war. »Die Verletzungen sind oft einfach zu tief. Ich schätze, etwa 90 Prozent der Tiere sterben daran.« In einigen Fällen überlebten die angefahrenen Eichhörnchen nicht einmal den Weg zur Auffangstation.
Manchmal päpple sie Jungtiere auf, deren Mutter überfahren wurde, erzählt Juliana Neumayer. Einmal bekam sie einen Anruf, weil auf einer Straße in Bamberg eine Eichhörnchenmutter überfahren worden war. Ihr Jungtier, das sie im Maul trug, sei »wie durch ein Wunder« unversehrt geblieben, erzählt Neumayer. Gemeinsam mit Michael Schenzel fand sie das Nest mit vier weiteren Eichhörnchenjungen und brachte diese zur Auffangstation.
Die Gefahr, die ihnen durch Autos droht, könnten Eichhörnchen nicht richtig einschätzen, sagt Neumayer: »In der Paarungszeit jagen die Männchen den Weibchen hinterher und achten nicht auf ihre Umwelt.« Manchmal gingen die kleinen rötlich-braunen Nager auf die Straße, weil es keinen anderen Weg zu ihrem Ziel gebe. »Aber wenn es möglich ist, gehen Eichhörnchen immer über die Bäume«, erklärt die Tierschützerin - dort seien sie auch vor Greifvögeln besser geschützt als am Boden. Deshalb ist Juliana Neumayer zuversichtlich, dass das zwischen zwei Bäumen gespannte Seil in Memmelsdorf viele Eichhörnchenleben retten wird.
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