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Aktuell UN-Bericht

Die Menschheit lässt die Natur verschwinden

Dass Arten aussterben ist schlimm - aber mich selbst betrifft das nicht. Mit dieser Vorstellung räumen die Autoren eines Weltberichts zum Zustand der Natur gründlich auf. Sie liefern bedrückende Zahlen - und machen deutlich, wie sich das Steuer noch herumreißen ließe.

Fremde Länder, fremde Tiere: Wasser in der Wüste freut das Kamel.  FOTO: FOTOFREUNDE OFTERDINGEN
Fremde Länder, fremde Tiere: Wasser in der Wüste freut das Kamel. FOTO: FOTOFREUNDE OFTERDINGEN
Fremde Länder, fremde Tiere: Wasser in der Wüste freut das Kamel. FOTO: FOTOFREUNDE OFTERDINGEN

PARIS. Die Menschheit lässt die Natur einem umfassenden Weltbericht zufolge in rasendem Tempo von der Erde verschwinden. Dafür gebe es inzwischen überwältigende Beweise, die ein unheilvolles Bild zeichneten, warnte der Vorsitzende des Weltbiodiversitätsrates (IPBES), Robert Watson, am Montag. »Wir erodieren global die eigentliche Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen, Nahrungsmittelsicherheit und Lebensqualität.« Die Weltgemeinschaft müsse sich dringend abwenden von wirtschaftlichem Wachstum als zentralem Ziel, hin zu nachhaltigeren Systemen, hieß es.

In ihrem ersten globalen Bericht zum Zustand der Artenvielfalt reiht die Einrichtung der Vereinten Nationen beängstigende Fakten aneinander: Von den geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit sei rund eine Million vom Aussterben bedroht. Das Ausmaß des Artensterbens war in der Geschichte der Menschheit noch nie so groß wie heute - und die Aussterberate nimmt weiter zu. Drei Viertel der Naturräume auf den Kontinenten wurden vom Menschen bereits erheblich verändert, in den Meeren zwei Drittel.

Immer wieder verdeutlichen die Autoren, dass der Verlust an Biodiversität kein reines Umweltthema ist, sondern auch Entwicklung, Wirtschaft, politische Stabilität und soziale Aspekte wie Flüchtlingsströme beeinflusst. Gravierende Folgen für Menschen weltweit seien inzwischen wahrscheinlich, warnen sie. Noch sei es aber nicht zu spät für Gegenmaßnahmen, erklärte Watson, »aber nur, wenn wir sofort auf allen lokalen bis globalen Ebenen damit beginnen«. Es bedürfe fundamentaler Veränderungen bei Technologien, Wirtschaft und Gesellschaft, Paradigmen, Ziele und Werte eingeschlossen.

Bär Taps im Osnabrücker Zoo. Foto: Friso Gentsch
Bär Taps im Osnabrücker Zoo. Foto: Friso Gentsch
Bär Taps im Osnabrücker Zoo. Foto: Friso Gentsch

»Die Biodiversität und die Naturgaben für den Menschen sind unser gemeinsames Erbe und das wichtigste Sicherheitsnetz für das Überleben der Menschheit«, erklärte die Argentinierin Sandra Díaz. Dieses Netz sei jedoch inzwischen bis fast zum Zerreißen belastet. Díaz, Ökologin an der Nationalen Universität Córdoba, ist neben Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle und dem brasilianischen Anthropologen Eduardo Brondízio Hauptautorin des IPBES-Berichts.

In den meisten Lebensräumen auf dem Land schwand die Zahl dort natürlich vorkommender Arten im Mittel um mindestens 20 Prozent, zumeist seit 1900, lautet eine weitere der Kernaussagen des Berichts. Mehr als 40 Prozent der Amphibienarten, fast 33 Prozent der riffbildenden Korallen und mehr als ein Drittel aller marinen Säugetierspezies sind demnach bedroht. Auch bei Nutztieren schwinde die Vielfalt: Mehr als 9 Prozent der zur Nutzung als Fleischlieferant oder Arbeitstier domestizierten Säugetierrassen seien bis 2016 ausgestorben.

Die Verluste bei Ökosystemen, wildlebenden Arten sowie Nutztieren und -pflanzen seien eine direkte Folge menschlicher Aktivitäten - »und schaffen eine direkte Bedrohung des Wohlergehens der Menschheit in allen Regionen der Welt«, sagte Settele. Zwar gebe es Fortschritte, selbst die schon vereinbarten Ziele zum Erhalt der Natur und ihrer nachhaltigen Nutzung seien aber auf dem bisher eingeschlagenen Weg nicht zu erreichen. Deutschland ist dabei nicht ausgenommen: »Die deutsche und europäische Biodiversitäts-Strategie ist ein Papiertiger, der viel zu wenige Fortschritte gebracht hat«, sagte der Agrarökologe Teja Tscharntke von der Georg-August-Universität Göttingen.

Die Autoren haben die Hauptursachen für den verheerenden Wandel nach ihrer Bedeutung gewichtet. Den größten Einfluss hat demnach die veränderte Nutzung von Land und Meer, gefolgt von der direkten Ausbeutung von Lebewesen, dem Klimawandel, der Umweltverschmutzung und invasiven eingewanderten Arten. Die Bedeutung des Klimawandels werde in den nächsten Jahrzehnten zunehmen und zumindest in einigen Bereichen weiter an die Spitze der Hauptursachen rücken.

Zahlreiche der im Bericht aufgelisteten Entwicklungen hängen eng mit dem rasanten Wachstum der Weltbevölkerung zusammen. So haben sich die landwirtschaftlichen Ernteerträge seit 1970 verdreifacht und der Holzeinschlag nahezu verdoppelt. 60 Milliarden Tonnen erneuerbare und nicht erneuerbare Rohstoffe und Ressourcen werden alljährlich abgebaut - fast doppelt so viele wie noch 1980. Die mit Städten bebaute Gesamtfläche ist inzwischen mehr als doppelt so groß wie noch 1992. Gar verzehnfacht hat sich seit 1980 die Plastikmüll-Verschmutzung, zudem gelangen Unmengen Schwermetalle, Gifte und andere Abfallstoffe aus Fabriken in Gewässer, wie es in dem Bericht heißt.

Ein ähnlicher, weniger ausführlicher globaler Check war zuletzt vor 14 Jahren präsentiert worden. Für die Neuauflage trugen 145 Autoren aus 50 Ländern unterstützt von mehr als 300 weiteren Experten drei Jahre lang vorhandenes Wissen aus etwa 15 000 Studien und anderen Dokumenten zusammen. Delegierte der 132 IPBES-Mitgliedsstaaten hatten in der vergangenen Woche in Paris über die genauen Formulierungen der Zusammenfassung debattiert. Das am Montag vorgestellte Papier enthält die Kernpunkte einer umfassenden Analyse, die erst später veröffentlich wird.

Ähnlich den Papieren des Weltrats IPCC für den Klimawandel soll der Artenvielfalt-Bericht einen international akzeptierten Sachstand zur Lage und zu möglichen Lösungen schaffen. Beteiligte Forscher hoffen, dem Artenschutz damit neuen Aufwind verleihen und einen Wandel Richtung nachhaltige Entwicklung anstoßen zu können. Besonders wichtig ist der Report für die Weltartenschutzkonferenz 2020 in China. Dort sollen die Eckpunkte für den weltweiten Artenschutz nach 2020 festgelegt werden. (dpa)