Die Älteren unter uns erinnern sich noch gut: Ein tosendes Stadion in Rom, ohrenbetäubender Jubel - und mittendrin und doch völlig allein ein Mann, der mit Händen in den Taschen der cremefarbenen Bundfaltenhose langsam über den Rasen geht. Ein wenig entrückt wirkt er, so als könne er gar nicht glauben, was da gerade passiert ist.
Franz Beckenbauer nach dem Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien, das hat etwas Ikonisches, wie so vieles an dieser Fußball-Ikone. Dass er damals als Trainer noch einmal die Fußball-Weltmeisterschaft holte, die er als Spieler 1974 schon gewonnen hatte, gilt als Höhepunkt seiner beeindruckenden Karriere.
Und mit diesem Triumph beginnt der Film »Der Kaiser«, der von diesem Freitag (20.15 Uhr) an auf Sky zu sehen sein soll. In der Rolle der »Lichtgestalt« zieht Schauspieler Klaus Steinbacher in dieser ersten Szene seine nachdenklichen Bahnen durch das Stadion. Er wendet sich dem Publikum zu und sagt: »Dabei wär's beinahe nichts geworden.«
Einblicke in Beckenbauers Privatleben
Dann harter Szenenwechsel und der Film spult zurück auf Anfang. Das Weltmeister-Stadion weicht bayerischem Kleinbürgertum im Münchner Arbeiterviertel Giesing der 1960er Jahre, der gefeierte Weltstar Beckenbauer dem unmotivierten Versicherungs-Azubi Beckenbauer, der lieber mit Füßen auf dem Schreibtisch den »Kicker« liest und mit den Kolleginnen flirtet, als sich um Kundenakquise Gedanken zu machen. Beckenbauers Leben, so macht der Film von Beginn an unmissverständlich klar, war immer nur der Fußball.
Und weil das so ist, kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen dem jungen Franz und seinem Vater (Heinz-Josef Braun), der Fußball für brotlose Kunst hält und dem FC Bayern, bei dem sein Sohn anheuert, nicht traut. Schließlich spielten die Bayern nur in der Regionalliga. »Wer weiß, ob es die in ein paar Jahren noch gibt.« Doch Beckenbauers Talent ist so überwältigend, dass auch der kritische Vater irgendwann anerkennen muss, dass sein Sohn wohl für den Fußball geboren wurde.
Regisseur Tim Trageser (»Die Wolf-Gäng«, »Der weiße Äthiopier«) zeichnet den Aufstieg des Ausnahme-Fußballers an die Weltspitze nach und dabei das Bild, das vielen Fans wohl das liebste vom »Kaiser« ist: ein leichtfüßiges Libero-Genie auf dem Platz, ein leichtfüßiger Lebemann abseits davon.
Schattenseiten spielen keine Rolle
Probleme mit dem Finanzamt liegen allein am raffgierigen Berater, seine zahlreichen Affären mit hübschen Blondinen am »Blitz«, der beim Blick in die schönen Augen einschlägt beim Beckenbauer - verheiratet oder nicht. »Haben Sie schonmal versucht, Weltmeister zu werden und ein guter Ehemann zu sein?«, sagt Steinbacher in der Titelrolle bei seinen vielen, teils deplatziert wirkenden Mini-Monologen in Richtung Publikum. Die Botschaft: Dem Franz kann doch keiner böse sein.
Diese gnädige, liebevolle, überaus verzeihende Sicht auf die Ikone bedingt auch den Zeitraum, den der Film erzählt. Denn er endet so, wie er beginnt: Mit dem Zenit der Beckenbauer-Karriere: jenem römischen Abend, an dem Andreas Brehme die Deutschen gegen Maradonas Argentinier zum WM-Sieg schoss, nachdem Beckenbauer der Mannschaft in der Kabine gesagt hatte: »Jetzt geht's raus und spielt's Fußball!«
Alles, was danach kam, blendet die Geschichte aus: vor allem die Unklarheiten rund um die Vergabe der Deutschland-WM 2006, die das »Sommermärchen« und Beckenbauer, der es der Fußballnation bescherte, im Nachhinein überschatteten. »Ich sehe zwar, dass mittlerweile akzeptiert wird, dass da nichts war, aber die letzten Jahre waren schon hart«, sagte Beckenbauer der »Bild«-Zeitung zu seinem 75. Geburtstag vor zwei Jahren.
Inzwischen hat er sich rar gemacht, tritt kaum noch öffentlich auf, hat mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und dem Tod seines Sohnes Stephan, der im Alter von nur 46 Jahren an einem Hirntumor gestorben ist. Das Leben des leichtfüßigen Lebemannes ist schwerer geworden mit dem Alter. Alles Themen, die es dem Film und seiner humorvollen, leichten Tonart wohl (zu) schwer gemacht hätten und die Regisseur Trageser womöglich darum ausspart. Oder er wollte dem »Kaiser« einfach so ein Denkmal setzen, wie die meisten sich auch heute noch wohl am liebsten an ihn erinnern.
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