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Corona-Regeln stürzen Rettungsschwimmer ins Dilemma

Wegen der Corona-Pandemie ist auch am Strand und im Wasser Abstand angesagt. Das gilt auch für Rettungsschwimmer. Die stecken jetzt in einem moralischen Dilemma.

Rettungsschwimmer an der Ostsee
Ein Wachturm der DLRG-Wasserrettung zwischen Strandkörben. Die Rettungsschwimmer müssen coronabedingt auf Abstand zu den Badegästen bleiben. Foto: Christian Charisius/dpa
Ein Wachturm der DLRG-Wasserrettung zwischen Strandkörben. Die Rettungsschwimmer müssen coronabedingt auf Abstand zu den Badegästen bleiben. Foto: Christian Charisius/dpa

TRAVEMÜNDE. Eine Familie steuert auf die Hauptwache der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) im Ostseebad Travemünde zu.

Der Vater hat eine kreisrunde rote Pustel am Bein. »Da hat mich wohl was gestochen, können Sie mir helfen«, fragt er. »Klar, meine Kollegin schaut sich das mal an«, sagt Wachführer Hans-Jörg Andonovic-Wagner. »Die Mehrzahl unserer Einsätze sind solche Hilfeleistungen. Vor dem Ertrinken retten müssen wir zum Glück relativ wenige Menschen«, sagt der 45-Jährige.

Nach Angaben der DLRG sind in den ersten sieben Monaten des Jahres in Deutschland 192 Menschen ertrunken, das waren 63 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Hauptgründe für das Ertrinken waren den Angaben zufolge das Baden an unbewachten Stränden sowie Alkohol, Leichtsinn oder Selbstüberschätzung. 

Zwei Wochen lang hat Andonovic-Wagner mit zehn DLRG-Kameraden den Strand vor der Promenade von Travemünde bewacht. »Besonders an den Wochenenden war es unglaublich voll, von oben hat man vor lauter Menschen kaum noch Sand gesehen«, sagt er. Doch die Wasserschutzpolizei habe bestätigt, dass die notwendigen Hygiene-Abstände überall eingehalten worden seien.

Abstand halten - das ist in der Corona-Pandemie auch für die Rettungsschwimmer wichtig. »Wir sind da in einem moralischen Dilemma«, sagt er. »Wir müssen Abstand halten, um uns und andere nicht zu gefährden, aber mit 1,50 Meter Abstand kann man einen Menschen schwer vor dem Ertrinken retten«, sagt er. Letztlich muss jeder Retter für sich entscheiden, welches Risiko er eingehen will.

Vor diesem Problem stehen auch die Rettungsschwimmer der DRK-Wasserwacht, die die Strände von Warnemünde in Mecklenburg-Vorpommern bewachen. Bis zu 200.000 Menschen könnten sich an einem schönen Ferienwochenende am Tag auf dem insgesamt knapp acht Kilometer langen Strand tummeln, sagt Lukas Knaup, der Chef der Wasserwacht Warnemünde. Der 27-jährige ist voll des Lobes für »seine« Badegäste und ihre Disziplin in der Corona-Zeit. »Die Leute verstehen, dass Abstandhalten wichtig ist.«

Damit auch die Rettungsschwimmer auf Abstand zu den Badegästen bleiben könnten, gebe es nun eher Tipps bei kleineren Erste-Hilfe-Einsätzen. »Kommt einer mit einem Schnitt, geben wir ihm Pflaster, damit er sich selbst versorgen kann«, berichtet Knaup.

Wenn die Helfer richtig eng an die Patienten ran müssen, sind Maske, Handschuhe oder Schutzkittel vorhanden. Vor dem Kontakt gibt es Fragen: »Kommen Sie aus einem Risikogebiet, hatten Sie Kontakt zu jemanden mit Corona und haben Sie selbst Symptome?« Wenn Knaup aber von Turm auf die Menschenmenge herunterschaut, sagte er klar: »Ich fühle mich nicht gefährdet.«

Im Gegensatz zu Knaup kennt der Chef der DRK-Wasserwacht in Mecklenburg-Vorpommern, Thomas Powasserat, auch Zwischenfälle von Usedom. »Rettungsschwimmer werden blöde angemacht, wenn sie mit Blaulicht zu Patienten fahren oder bei lebensgefährlichen Strömungen Badeverbote aussprechen.« Das geht dann bis zur Androhung von Schlägen - eine Belastung für die ehrenamtlichen Rettungsschwimmer. Diese jungen Leute sagen dann: »Bevor ich geschlagen werde, fahre ich eher nach Hause.«

Auch der Warnemünder Strandvogt Jens Michael kann von unangenehmen Begegnungen mit Gästen am Abend und zur Nachtzeit berichten. »Wir müssen den Leuten etwas verbieten und bekommen immer häufiger Aggressionen zu spüren.« Bei der aktuell hohen Waldbrandgefahr darf halt kein Feuer gemacht werden, auch kein Grillfeuer. Die Auseinandersetzungen können bis zum Platzverweis gehen, den aber die Polizei durchsetzen muss. Diese teils heftigen Diskussionen gebe es jetzt häufiger: »Früher sind die jungen Leute abends in die Clubs gegangen, aber die haben jetzt alle zu«, sagt Michael.

Mit diesem Phänomen haben auch die Retter der DLRG in Travemünde zu kämpfen. »In diesem Jahr sind besonders viele Familien und Teenager hier. Die Jugendlichen langweilen sich und kommen auf dumme Gedanken«, sagt Andonovic-Wagner. »Einmal hatten Jugendliche eine Slackline zwischen die Pfähle gespannt, an denen unser Rettungsboot festgemacht war. Das gab eine längere Diskussion, bis sie eingesehen haben, das das nicht geht«, erinnert er sich. Auch das Springen von den Seebrücken sei ein gefährlicher Zeitvertreib.

Insgesamt ist aber auch er von »seinen« Strandgästen begeistert. »Wenn ich darf, komme ich gerne wieder«, sagt er. (dpa)