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Boris Becker berichtet emotional von Haft und Liebe

Liebe, Familie, Knasterfahrung: Runde 140 Minuten - inklusive Werbung - berichtet Boris Becker über seine Haft in Großbritannien. Das Gefängnis habe ihn geerdet, sogar einen spirituellen Weg habe er eingeschlagen.

Boris Becker
»Natürlich war ich schuldig«: Boris Becker. Foto: Frank Augstein
»Natürlich war ich schuldig«: Boris Becker.
Foto: Frank Augstein

Auf der großen TV-Bühne ist der Weltstar Boris Becker nach 231 Tagen in britischer Haft ganz bei sich. Vor den Augen von 1,55 Millionen Zuschauern zeigte sich der deutsche Tennis-Star bei seinem ersten Auftritt in der Öffentlichkeit wiederholt emotional. Äußerlich sichtbar verändert erzählte der einstige Ausnahmesportler - immer wieder von Tränen und Momenten der Rührung unterbrochen - im am Dienstagabend ausgestrahlten Sat.1-Interview von lebensgefährlichen Situationen, sehr persönlichen Momenten mit seiner Partnerin Lilian De Carvalho Monteiro und von einem neuen spirituellen Weg.

Dass Sat.1 dem dreifachen Wimbledonsieger für das Gespräch Geld bezahlt hatte, stellte Moderator Steven Gätjen gleich zu Beginn klar. Becker war Ende April zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, weil er seinem Insolvenzverwalter Vermögenswerte in Millionenhöhe verschwieg, was er nun freimütig einräumte. Jetzt braucht Becker Geld, um sich ein neues Leben aufzubauen. In seine Wahlheimat London kann er für längere Zeit nicht zurückkehren, nachdem er abgeschoben wurde. Dass er überhaupt bereits nach siebeneinhalb Monaten in Freiheit kam, ist aber kein Promibonus, sondern liegt an einer Sonderregel für ausländische Häftlinge.

Jobs im Knast als Lehrer und Fitnesscoach

Voller Respekt sprach Becker über seine Erlebnisse hinter Gittern. Immer wieder betont er seine guten Kontakte zu einigen anderen Häftlingen - und die seien es dann auch gewesen, die ihm in einigen schwierigen Situationen zu Hilfe eilten. Schmutzige Zellen und Morddrohungen - »Da hatte ich mal wirklich eine sogenannte Altercation (heftige Auseinandersetzung) mit einem Häftling, der wollte mich umbringen« - auf der einen Seite. Andererseits aber auch viel Glück mit freundlichen Häftlingen, dazu Jobs als Lehrer für Englisch und Mathe sowie als Fitnesscoach.

Einst war er eine große Nummer, im Gefängnis wurde er aber nur noch A2923EV genannt, wie Becker berichtete. Er hat in einer für ihn fremden Welt viel erlebt - und teilt seine Erfahrungen ausgiebig mit. Immer wieder nippte er an einem Glas, darin laut Sat.1 ein zuckerfreier Energydrink.

Er habe zum Stoizismus gefunden, erzählte Becker in einem seiner minutenlangen Monologe. Rund 140 Minuten lang, inklusive Werbepausen, berichtete Becker darüber, dass er sein Leben umgekrempelt habe. Das erinnert an den Titel der Zeitschrift »Stern«, der Becker Ende 2001 ein Exklusiv-Interview gab: »Ich habe meine Lektion gelernt.«

Er ist hungrig ins Bett gegangen

Äußerlich war Beckers Veränderung offensichtlich. Er sah deutlich schlanker aus, die Haarfarbe etwas dunkler als früher, unter dem schwarzen Sakko trug er ein ebenfalls schwarzes Shirt. »Ich hab natürlich sehr viel Gewicht verloren«, sagte er. »Ich bin mit 97 Kilo ins Gefängnis gekommen und hatte dann mal knapp 90 Kilo.« Becker fügte hinzu: »Ich hab zum ersten Mal in meinem Leben Hunger gefühlt, also bin hungrig ins Bett gegangen. Ich dachte, dass ich mit 54 Jahren schon alles erlebt habe, aber das war neu.« Im Gefängnis habe er keinen Alkohol getrunken, nicht geraucht und wochen- oder vielleicht auch monatelang sehr wenig gegessen.

Jahrelang war Becker gefeiert worden, ein Sport-Idol wie es nur ganz wenige gibt. Doch in den Jahren vor seiner Haft wurde er - vor allem wegen seines unglücklich verlaufenen Privatlebens und besonders in Deutschland - oft auch belächelt. Nun wirkt er gefasst, geradezu spirituell. »Ich habe über Jahre Fehler gemacht, falsche Freunde gehabt, war nicht organisiert genug«, sagte er. In Haft habe er Zeit zum Nachdenken gehabt und durch den Stoizismus auch Eigenschaften auch sich wiederentdeckt, die er als Tennisspieler gehabt habe - wie Disziplin und Präsenz im Moment. »Dieser Gefängnisaufenthalt hat mich zurückgeholt«, sagte Becker. Er habe nun eine zweite Chance bekommen und es liege an ihm, diesen Weg weiterzugehen.

Wie geht es weiter mit Boris Becker?

Zu seiner Zukunft äußerte sich Becker zurückhaltend. In Deutschland leben wolle er eher nicht, weil seine Privatsphäre dort nicht gesichert sei. Er habe gerne in Miami gelebt. »Ich bin auch ein Fan von Dubai«, sagte Becker. »Ich habe Ideen, aber ich bin vorsichtig geworden mit meinen Aussagen für die Zukunft.« Becker betonte: »Ich freue mich, ich bin motiviert, ich muss arbeiten.«

Immerhin: Der Deutsche Tennis Bund hält ihm die Tür für eine Rolle im deutschen Tennis offen und will den Kontakt zur Sport-Legende suchen. »Wir werden nach seiner Rückkehr nach Deutschland weiterhin einen engen Austausch mit ihm haben«, teilte der DTB auf Anfrage mit.

Deutlich zeigte der 55-Jährige die Liebe zu Partnerin Lilian und seinen vier Kindern. Die Beziehung zu seinen älteren Kindern Noah, Elias sowie Anna, mit der er häufig telefoniert habe, sei während der Haft enger geworden. Immer wieder, wenn es um seine Liebsten geht, muss Becker unter Tränen innehalten.

Jan Ullrich kennt die Situation von Becker ganz gut

Seine Partnerin, die ausgerechnet am Tag seiner Verurteilung - dem 29. April - Geburtstag hatte, habe stets zu ihm gehalten. »Ich hatte nicht einen Moment, wo ich das Gefühl hatte, da bricht jetzt was auseinander oder sie verliert die Geduld oder die Lust oder die Liebe«, sagte Becker. Ob er sie heiraten wolle - solche Details aus dem Privatleben habe ihm Lilian verboten. Doch hoffe er, dass er »für immer und ewig« mit ihr zusammen bleiben werde. Auf die Frage nach weiteren Kindern lässt er sich entlocken: »Ich hoffe, es kommen noch ein paar dazu.«

Ex-Radsport-Profi Jan Ullrich sagte in der »Sport Bild« mit Blick auf Becker: »Viele Top-Sportler, die sich seit der Jugend zu 100 Prozent für ihren Sport aufgeopfert haben, sind häufig nicht vorbereitet auf das normale Leben danach.« Er kenne Becker »ein bisschen«, habe gefragt, ob er ihn in der Haft besuchen könne. »Doch das war wegen der wenigen Besuchstage nicht möglich. Ich fühle mit Boris total mit, er macht gerade die schwerste Zeit seines Lebens durch.«

© dpa-infocom, dpa:221220-99-964366/21