HAMBURG. Undercover gegen den Terror: In der vielschichtigen Thrillerserie »Informant – Angst über der Stadt « (16. und 17.10., 20.15 Uhr im Ersten) gerät Jürgen Vogel zwischen die Fronten: Als Hamburger LKA-Ermittler und ehemaliger V-Mann soll er Nachwuchs rekrutieren – und einen befürchteten Anschlag auf die Elbphilharmonie verhindern. Die ARD zeigt die sechsteilige Miniserie »Informant – Angst über der Stadt« an zwei Abenden (16.10. Folge 1 bis 3 und 17.10. Episode 4 bis 6) sowie in der Mediathek.GEA: Herr Vogel, Sie haben schon in vielen Krimis mitgespielt und oft den »guten Cop« gegeben. Was unterscheidet diesen – ziemlich düsteren – Thriller und Ihre Rolle als abgekämpfter LKA-Kommissar am stärksten von Ihren früheren »Polizeieinsätzen«?
Jürgen Vogel: Dass hier neue Sichtweisen vermittelt werden. Der Film gibt einen ungewöhnlich tiefen Einblick in die Zuständigkeiten zwischen LKA und BKA. Es geht um interne Spannungen, um den zunehmenden politischen Druck, wenn plötzlich akute Terrorwarnung herrscht. Es geht um die Verantwortung, die dann auf den Sicherheitsbehörden lastet, und um die mögliche Hysterie, die sich daraus entwickeln kann. Spannend fand ich auch die Frage: Was macht das alles mit einem Polizisten, der schon so lange undercover arbeitet, der zwischen zwei völlig verschiedenen Welten pendelt. Wie verändert das seine Persönlichkeit? Und wie kooperiert er mit einer jungen hochmotivierten Kollegin, die am Anfang ihrer Polizeikarriere steht, während er das Ende seiner Laufbahn erreicht hat und schon ziemlich abgekämpft ist.
»Ich will zu meinen Figuren gar keine Distanz haben, sonst komme ich ihnen nicht nahe genug«
Der Film dreht sich um das Versagen der Sicherheitsbehörden: Je vehementer die Polizei ermittelt, desto mehr eskaliert die Situation. Entspricht das der Realität?
Vogel: Wir erzählen ja eine fiktive Geschichte, stellen einen imaginären Fall dar. Und in diesem speziellen Fall geht es darum, dass man in einer Situation, in der man sehr viel Druck hat und schnelle Ergebnisse haben möchte, manchmal eben auch Fehler macht. In dieser Geschichte passieren jedenfalls Fehler, die ohne diesen Druck vielleicht nicht entstanden wären. Weil die Geschichte von Menschen in Ausnahmesituationen erzählt, und Menschen machen nun mal Fehler – erst recht, wenn sie unter Druck stehen und Ängste entwickeln. In dieser speziellen Geschichte entwickelt sich aus einer vagen Angstsituation eine fatale Paranoia.
Ihre Filmfigur Gabriel Bach sagt in einer Szene über seinen Job als verdeckter Ermittler: »Wenn man einmal dort war, ist man nie mehr ganz hier.« Hatten Sie schon mal Kontakt zu »echten« Undercover-Polizisten?
Vogel: Im Laufe meiner Zeit als Filmschauspieler – die inzwischen schon 40 Jahre umfasst – konnte ich mit verschiedenen Polizisten sprechen, die mir von ihrer Arbeit und ihrem Leben als verdeckte Ermittler erzählt haben. Wie sehr diese Undercover-Einsätze einen Menschen letztlich verändern, kann man nicht verallgemeinern und hängt immer auch sehr von der eigenen charakterlichen Stärke ab. Auf jeden Fall ist das immer auch ein Rollenspiel, in dem man sich ganz schnell selber verlieren kann. Das sieht man auch an meiner Figur Gabriel Bach: Seine Identität als »Charlie« wurde irgendwann zum Teil seiner eigenen Persönlichkeit. Besonders belastend finde ich, dass du sogar deine Familie nicht einweihen darfst. Das nicht teilen zu können, was du in der anderen Welt erlebst und wie du dich fühlst, ist echt hart.
Im Film fällt auch ein Satz aus dem »Marionettentheater« von Heinrich von Kleist: »Ein Schauspieler spielt nicht, er lebt seine Figur aus den Tiefen seines Ichs«. Trifft das auch auf Sie zu?
Vogel: (lacht) Das passt tatsächlich auch ganz gut für mich. Man muss sich als Schauspieler schon sehr in die Figuren reinarbeiten, die man spielt, und sich öffnen. Ich will zu meinen Figuren auch gar keine Distanz haben, denn sonst komme ich ihnen nicht nahe genug.
Gabriel Bach ermittelt in der Neonazi-Szene. Aktuell ist in Deutschland ein zunehmender Rechtsruck zu beobachten. Bereitet Ihnen das Sorgen?
Vogel: Klar. Das beschäftigt doch jeden demokratisch denkenden Menschen. Wir wollen doch alle nicht die Demokratie verlieren. Wenn man nur ein bisschen nachdenkt und die Geschichte der Menschheit kennt, dann sieht man, was eine Diktatur anrichtet. Und da ist es egal, ob sie links oder rechts ist, Diktatur ist Diktatur. Das System ist immer das Gleiche. Es gibt ja Philosophen, die sagen, es kommt alles in Kreisen wieder. Demnach würde jede Demokratie irgendwann von einer Diktatur abgelöst – und umgekehrt. Auch wenn das in der Geschichte schon oft so war, hoffe ich für uns alle, dass es nicht wieder so kommt – denn Europa hat gerade das große Problem, nur seinen Teil zu sehen und nicht das große Ganze.
Ein Kernthema des Films ist unser Umgang mit Ängsten. Bis zu welchem Punkt ist Angst lebenswichtig, und ab wann wird sie »ungesund«?
Vogel: Wenn du als Mensch instinktiv auf bedrohliche Dinge reagierst, ist es was Gutes. Weil du Gefahren wahrscheinlich im richtigen Moment ausweichst. Schwierig ist die Angst, die nur im Kopf entsteht, weil sie uns hemmt, Dinge klar zu sehen und objektiv zu bleiben. Deshalb sag ich immer, dass Angst kein guter Begleiter ist – weder für die Politik noch für uns als Menschen. Weil du mit der Angst »im Nacken« anfängst, dich zu verschließen. Deshalb versuchen manche Populisten gezielt, Angst und Panik zu verbreiten, um das politisch für sich zu nutzen.
Meinen Sie die Angst vor Migration? Darum geht es ja auch im Film.
Vogel: Zum Beispiel. Es gibt ja Leute, die am liebsten alle Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland raushaben wollen. In was für einer Blase leben die denn? Glauben die ernsthaft, dass unser Land – auch wirtschaftlich – ohne Zuwanderung überleben könnte? Der gesellschaftliche Fokus beim Thema Migration liegt oft auf einer bestimmten Gruppe von Menschen, und diese Sichtweise bestimmt die Realpolitik. Doch Integration fängt ganz woanders an. Nach wie vor gibt es keine wirkliche Idee, was wir mit den Menschen machen, die in dieses Land kommen. Sie monatelang in Containern unterzubringen, ist jedenfalls keine Lösung. Sie erst gar nicht ins Land zu lassen, auch nicht. Das ist reine Wahlpropaganda.
Apropos: Wie erklären Sie sich die Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien – gerade bei der Jugend?
Vogel: Zum einen haben diese Parteien die einflussreichen Plattformen der Sozialen Medien voll genutzt, und zum anderen ist das nicht zuletzt ein politisches Bildungsproblem. Kinder reagieren auf ihr soziales Umfeld. Da sind nicht nur die öffentlichen Bildungseinrichtungen, sondern auch die Eltern gefordert. Bildung findet ja nicht nur in der Schule statt, sondern Bildung bedeutet auch, sich mit Dingen bewusst auseinanderzusetzen. Die Frage ist auch, welche Zukunftsperspektive die Jugendlichen haben, die rechts wählen, und wie sie an diese Thematiken herangeführt werden können.
Im Film spielt das soziale Umfeld eine große Rolle: Privat ist Gabriel Bach ein liebender Familienvater. Sie selber sind sechsfacher Vater. – Sind Sie ein strenger Papa?
Vogel: Es gibt halt gewisse Regeln im Leben; vor allem in der Erziehung sollten diese Regeln aber bedürfnisorientiert sein. Denn jedes Kind ist unterschiedlich. Und natürlich macht man auch als Eltern jeden Tag irgendetwas falsch. Wichtig ist, offen und ehrlich zu bleiben. Wenn man die Kinder dazu kriegt, dass sie sich auch mit fünf trauen zu sagen: »Papa, das war jetzt doof, was du da gesagt hast«, dann hat man als Eltern schon mal ganz viel richtig gemacht. Wenn man hingegen so eine Autorität vermittelt, dass Kinder nur aus Angst vor den Eltern irgendwelche Dinge tun – oder nicht tun, dann geht die Sache in die Hose. Denn auch in der Erziehung können Angst- und Panikmache viel Ungutes bewirken.
»In der Erziehung können Angst- und Panikmache viel Ungutes bewirken«
Noch eine Parallele zu Ihrer Filmfigur: Gabriel Bach hat gerade eine Hüft-OP hinter sich. Auch Sie haben sich kürzlich einer Hüft-OP unterzogen. Wie lebt es sich mit dem künstlichen Gelenk?
Vogel: Super. Der Eingriff fand kurz vor den Dreharbeiten statt. Deshalb hatten wir meine kleinen post-operativen Beschwerden in den Film eingebaut. Heute habe ich so gut wie keine Probleme mehr. Man muss sich sofort wieder bewegen, das neue Gelenk entsprechend belasten, damit das alles richtig zusammenwächst. Ich mach heute auch schon wieder Ju-Jutsu, das hält mich fit.
Hatten Sie überhaupt keine Probleme, in die Rolle des alternden Polizisten zu schlüpfen?
Vogel: Absolut nicht. Ich bin jetzt 56 und damit ein alternder Mann. Natürlich gibt es Dinge, die ich heute nicht mehr so gut machen kann wie früher, aber mit dem Älterwerden an sich habe ich keine Probleme – im Gegenteil: Ich mag es, älter zu werden. Das Altern gehört zum Leben nun mal dazu. Das ist doch nichts Schlimmes, vor dem man Angst haben muss. Es gibt heute zu wenig Leute, die gerne älter werden. Dabei sollten wir Ältere für die Jugend doch Vorbilder im Älterwerden sein, statt über das Altern zu jammern. Diesen ganzen Jugendwahn finde ich schrecklich.
Sie trauern Ihrer Jugend also nicht hinterher?
Vogel: Auf keinen Fall. Ich will ganz bestimmt nicht noch mal 20 sein, sondern bin gerne so alt wie ich bin. Ich war ja schon mal 30, 40 und 50, und jetzt geht es halt weiter. Ich will kein einziges Jahr wieder zurück. Ich freue mich immer auf das, was gerade ist und auf das, was noch kommt. (GEA)
ZUR PERSON
Er ist einer der vielfältigsten deutschen Schauspieler. Jürgen Vogel (56) wirkte bis heute in weit mehr als 100 Kino- und TV-Produktionen mit. Seinen Durchbruch hatte er 1992 mit der Kultkomödie »Kleine Haie«. Es folgten zahlreiche Charakterrollen in allen Genres und viele Schauspielpreise, u.a. für »Der freie Wille«, »Emmas Glück« und »Die Welle«. Weitere Filme mit Jürgen Vogel: u.v.a. »Wo ist Fred?«, »Das Adlon«, »Familie!«, »The Team«, »Die drei!!!«, »Der Pfau«. In der Krimireihe »Jenseits der Spree« spielt der Wahlberliner und gebürtige Hamburger seit 2021 die Serienhauptrolle. Privat ist der sechsfache Vater mit der Schauspielerin Natalia Belitski liiert, mit der er zwei gemeinsame Töchter hat. (GEA)