BERGEN. Die Fantoft-Stabkirche steht in einem bewaldeten Park einige Straßenbahnstationen vom Zentrum Bergens entfernt. Ursprünglich war sie eine Dorfkirche. Doch im 19. Jahrhundert war sie zu klein und wurde ab- und in der Stadt als eine Art Museum wiederaufgebaut. Das Innere der hölzernen Kirche aus dem 12. Jahrhundert erinnert ein wenig an ein Schiff. Auf dem Dach blicken hölzerne Drachenköpfe gen Himmel. Sie sollen Unheil abwehren. Das Unheil am 6. Juni 1992 konnten sie nicht abwehren. An diesem Tag brannte die historische Kirche innerhalb kurzer Zeit nieder.
Ein Musiker namens Kristian Vikernes, der sich selbst Varg (Wolf) oder Graf Grishnack nannte, druckte das Bild der verkohlten Überreste der Kirche auf das Cover des Albums »Aske« (Asche) des Black-Metal-Projekts Burzum, dessen einziges Mitglied er war. Den ersten 100 Exemplaren dieses Albums lag zudem ein Feuerzeug mit demselben Aufdruck bei. Es war der Höhepunkt einer Serie von Brandstiftungen, denen 1992 über ein Dutzend historische Kirchen in Norwegen zum Opfer fiel – darunter auch die Holmenkollen-Kapelle in Oslo, in der auch die königliche Familie betete.
»Einigen Jungs genügte es nicht mehr, Musik zu machen, sie wollten Zeichen setzen«
Warum aber zündeten die Musiker der frühen norwegischen Black-Metal-Bands Kirchen an? »Eine Tragödie«, nennt Anders Odden, Bassist der Band Satyricon die Ereignisse heute. Er war damals bereits Mitglied der Black-Metal-Szene. »Danach war der Spaß definitiv vorbei, aus einem ernsthaften musikalischen Avantgarde-Phänomen wurde für eine kurze Zeit ein merkwürdiger Kult, der bis heute weltweit untrennbar mit Norwegen verbunden wird.« Odden bietet Führungen zu den Schauplätzen jener frühen Black-Metal-Bewegung, darunter auch zu einigen wiederaufgebauten Kirchen an.
»An all dem Irrsinn, der Anfang der Neunzigerjahre geschah, war letztendlich ein manisch-depressiver Schwede Schuld«, sagt Odden. Der depressive Schwede hieß Per Yngve Ohlin und nannte sich »Dead«. 1988 trat er als Sänger der Band Mayhem bei und prägte deren Stil mit todesverliebten Texten und extremen Auftritten. Seinem Bühnennamen gemäß schminkte er sich leichenblass und vergrub seine Bühnenkleidung in der Erde, um sie kurz vor den Auftritten auszubuddeln. Der modrige Geruch sollte seine Erscheinung komplettieren.
Als sich Ohlin 1991 mit einem Gewehr erschoss, begann die extreme Phase des norwegischen Black Metal. Sein Bandkollege, Øystein Aarseth, der sich Euronymus nannte, fand Ohlins Leiche. Bevor er die Polizei rief, fotografierte er die Szene und druckte sie auf ein Plattencover. In einigen Interviews behauptete Aarseth sogar, er habe einen Teil von Ohlins Gehirn gegesssen.
Varg Vikernes, der sich später damit brüstete, Ohlin die Munition für seinen Suizid gegeben zu haben, ersetzte den verstorbenen Schweden in der Band Mayhem. »Einigen Jungs genügte es bald nicht mehr, Musik zu machen, sie wollten Zeichen setzen«, erzählt Odden. Euronymus und Varg gelten als die treibenden Kräfte hinter mindestens drei Kirchenbränden.
Einer, der auch bei den Kirchenbränden in den 1990er-Jahren dabei war, oder sie zumindest in Interviews befürwortete, betreibt heute eine Galerie in der Bryggen von Bergen. Es ist Kristian Eivind Espedahl, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Gaahl, als Sänger der Black-Metal-Band Gorgoroth. Die Bryggen ist ein historisches Handelskontor der Hanse. Das Viertel, das Unesco-Weltkulturerbe ist, besteht aus aneinander gebauten Holzhäusern, eine Touristengegend. Gaahl, der auch selbst malt und eigene Bilder verkauft, wird dort immer wieder auch von deutschen Metalfans aufgesucht. Gaahl sieht sich als heidnischer Schamane. »Kirchenverbrennungen sind selbstverständlich eine Sache, die ich zu hundert Prozent unterstütze. Sie hätten noch viel häufiger getan werden sollen, und werden es noch in der Zukunft. Wir müssen jede Spur auslöschen, die das Christentum und seine semitischen Wurzeln dieser Welt zu bieten haben«, sagte er 2008 in einem Interview. Distanziert hat er sich von dieser Haltung bis heute nicht. Wegen gewalttätigen Überfällen saß Gaahl zweimal für mehrere Monate im Gefängnis. Aus seiner Band Gorgoroth, die wegen Blasphemie verklagt wurde, als sie bei einem Konzert mehrere nackte Models an Kreuze band, ist er im Streit ausgestiegen.
»Wir müssen jede Spur auslöschen, die das Christentum dieserWelt zu bieten hat«
Auch die Brandstifter-Protagonisten der Band Mayhem, bei der Varg Vikernes den toten Ohlin ersetzt hatte, gerieten bald in einen tödlichen Streit. Angeblich wollte Euronymus Aarseth nach dem Brand der Holmenkollen-Kapelle mit den Brandstiftungen aufhören. Ob das die Ursache des Disputs war, bleibt unklar, jedenfalls wurde Aarseth 1993 in seiner Wohnung mit 23 Messerstichen erstochen aufgefunden. Der damals 20-jährige Vikernes wurde verhaftet und ein Jahr später wegen des Mordes an seinem Bandkollegen, Brandstiftung an drei Stabkirchen und Sprengstoffbesitzes zur norwegischen Höchststrafe von 21 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis produzierte es mehrere Burzum-Alben, die allerdings nicht mehr dem Black Metal, sondern dem elektronischen Genre Ambient zuzuordnen sind. Vikernes fühlte sich nicht mehr der Black-Metal-Szene zugehörig. Statt dessen bekannte er sich im Gefängnis zum Rechtsextremismus. Mittlerweile ist er aus dem Gefängnis entlassen und lebt in Frankreich. Mitte der 1990er-Jahre war der Spuk vorbei, weil Aarseths Plattenladen in Oslo, der zuvor der Treffpunkt der Szene gewesen war, nicht mehr existierte und weil mehrere Protagonisten im Gefängnis saßen.
Die Stabkirchen wurden mit Spenden der Bevölkerung wieder aufgebaut, so dass man als Tourist die Fantoft-Stabkirche in Bergen, genauso wie die Holmenkollen-Kapelle heute in ihrem originalgetreuen Nachbau wieder besichtigen kann. Was blieb, ist der schlechte Ruf des Black-Metal, zu dem heute noch Bands aus dem National Socialist Black Metal (NSBM) beitragen. (GEA)