Boomer sind leicht zu erkennen. Sie tippen mit einem Finger auf dem Handy. Sie verharren ewig im Status »schreibt« und schicken dann doch nur einen Satz. Sie benutzen Emojis falsch, zum Beispiel wissen sie nicht, dass das weinende Gesicht ausschließlich ironisch verwendet werden sollte. Sie drucken E-Tickets aus, um für ein eventuelles Versagen ihres Akkus gerüstet zu sein.
Boomer heißen Sabine und Susanne, Thomas und Michael. Sie verwenden Wendungen wie »Gib die Flosse, Genosse« und antworten auf »Mach’s gut« mit »Mach’s besser«. Sie schrecken nicht davor zurück, bei Familienfeiern die 18-jährige Großnichte nach ihrem »Liebesleben« zu fragen. Und das sind noch die harmlosen Punkte. Die wirklich ärgerlichen kommen, wenn sie ihre Meinung zu Gendern, Veganismus oder Klimawandel kundtun.
Soweit die Sicht vieler Spätgeborener. Jetzt im Jahr 2024 wird wohl häufiger von den Boomern die Rede sein, denn der geburtenstärkste Jahrgang der Bundesrepublik – der von 1964 – wird 60 Jahre alt.
Von Trump bis Michelle Obama
Nach 1964 machte sich die Pille bemerkbar, und es ging mit den Geburten bergab. Dementsprechend werden die Babyboomer-Jahre häufig zwischen 1946 und 1964 verortet, zwischen Weltkriegsende und Pillenknick - oder anders gesagt: von Donald Trump und Udo Lindenberg (beide 1946) bis Michelle Obama und Hape Kerkeling (beide 1964).
Diese Einteilung treffe allerdings in erster Linie auf Amerika zu, schränkt der Sozialpolitik- und Finanzexperte Martin Werding ein, einer der fünf deutschen »Wirtschaftsweisen«. In Deutschland hätten die geburtenstarken Jahrgänge nach dem Krieg viel später eingesetzt als in den USA und seien auch deutlich schwächer gewesen. »Bei uns lag der Peak bei 2,5 Kindern pro Frau, in den USA bei 3,8«, erläutert der Bochumer Professor, selbst Jahrgang '64, der Deutschen Presse-Agentur.
Die »Gen Z« allerdings, die Generation der um das Jahr 2000 Geborenen, nimmt es mit der Zuordnung nicht so genau. Für sie sind häufig gefühlt alle über 40 irgendwo Boomer. Und das ist nicht als Kompliment gemeint. Mit »Ok Boomer« drücken die Jungen für gewöhnlich ihren Frust über als borniert wahrgenommene Haltungen aus.
Als die neuseeländische Parlamentsabgeordnete Chloe Swarbrick (1994 geboren) von den Grünen vor gut vier Jahren den Zwischenruf eines rechtskonservativen Kritikers mit einem knappen »Ok Boomer« parierte, löste das in ihrer Alterskategorie weltweit Begeisterung aus.
Volle Klassen und Massenarbeitslosigkeit
Die Kritik an den Boomern zielt im Kern darauf ab, dass diese ein Leben lang hemmungslos konsumiert und damit den Planeten an die Wand gefahren hätten. Anstatt dies jetzt wenigstens demütig einzusehen, redeten sie ihre Verantwortung klein, jetteten weiter um die Welt, drängten mit ihren SUVs Fahrradfahrer zur Seite und blockierten viel zu große Altbauwohnungen für junge Familien.
Die so Gescholtenen haben naturgemäß eine etwas andere Sicht auf sich selbst. Was sie durch ihr Dasein begleitet hat, war ein Fülle-Gefühl: Man drängte sich mit 40 Leuten in der Klasse und konnte später die Univorlesung oft nur auf Leinwänden verfolgen, weil der Hörsaal überfüllt war. Der Journalist Jochen Arntz, der vor zehn Jahren das Buch »1964 – Deutschlands stärkster Jahrgang« veröffentlicht hat, empfand das Leben oft wie eine Reise nach Jerusalem – ständig musste man aufpassen, dass man noch einen Platz abbekam.
»Die Babyboomer in Deutschland sind eine Generation, die beim Eintritt in den Arbeitsmarkt von der Massenarbeitslosigkeit voll erwischt worden ist«, sagt Werding. »Ich habe 1982 Abi gemacht, und das Motto dieser Jahre war «No Future». Die Arbeitsmarktforschung sagt uns: Das hinterlässt «Scarring Effects», also lebenslange Nachteile im Hinblick auf Erwerbsbeteiligung, Löhne und so weiter. Die Aussage, dass die Boomer krisenfrei durchs Leben gekommen sind, ist für Deutschland schlicht nicht wahr.«
Bei heftigem Wettbewerb um die vorhandenen Arbeitsplätze formte sich eine strebsame und pragmatische Generation, die im Vergleich zu den älteren 68ern oder der heutigen Fridays-for-Future-Bewegung eher unpolitisch war. Buchautor Arntz - Jahrgang '65 - findet allerdings, es werde oft übersehen, dass diese Generation die deutsche Einheit geschultert und die europäische Einigung wesentlich vorangebracht habe. Von den Jüngeren werde das oft als Selbstverständlichkeit hingenommen.
Umgang mit der Kritik der Jüngeren
Wie reagieren die Boomer nun auf die Kritik ihrer Kinder? »Ich will meine Generation nicht lange verteidigen gegen den Vorwurf einer gewissen Achtlosigkeit im Umgang mit den natürlichen Ressourcen«, räumt Werding ein. »Aber der Wissensfortschritt hat sich im Laufe der Zeit natürlich auch erst langsam eingestellt.« Und ja, natürlich gebe es in seiner Generation Leute, die ihren Lebensstil eigentlich ändern müssten, aber schlicht keine Lust dazu hätten. Ein Blick auf das Spitzenpersonal der Grünen zeige jedoch, dass es auch ganz andere Boomer-Typen gebe.
Debatten über Fleischverzehr, Mülltrennung und Reisegewohnheiten gehören in vielen Familien zum Alltag. Auch Werding, der Wirtschaftsweise, muss sich zu Hause das eine oder andere anhören. »Ich habe zurzeit die interessante Erfahrung, dass meine Kinder und meine Studierenden ziemlich genau ein Alter sind, so Anfang 20. Und da kommt es schon immer wieder auch zu Diskussionen.« Er wolle keinen Generationenkonflikt heraufbeschwören, aber Fakt sei, dass sowohl die Studierenden als auch seine Kinder teilweise andere Prioritäten hätten als er selbst. »Da gibt's schon mal einen bösen Blick, wenn ich was in die falsche Tonne werfe. Und letztes Jahr war es unser Jüngster, der genau darauf achtete, dass die Heizung abgedreht war.«
Jochen Arntz findet die Kritik der Jüngeren okay, »denn im Grunde reibt sich jede Generation an der vorhergehenden«. Die Boomer hätten sich umgekehrt auch an den in den 1940er Jahren geborenen 68ern abgearbeitet, die in ihren Augen immer alles besser gewusst hätten. »Wenn es diese Reibung zwischen den Generationen nicht geben würde, träte die Gesellschaft auf der Stelle.«
Da die statistische Lebenserwartung deutlich gestiegen ist, haben die geburtenstarken Jahrgänge auch noch allemal die Chance zur Weiterentwicklung. Sie könnten ihren Arbeitseifer zum Beispiel so einsetzen, dass sie sich nicht schlagartig millionenfach in die Rente verabschieden, sondern sich etwa im Ehrenamt weiter gesellschaftlich einbringen. »Vielleicht gelingt ihnen dann auf ihre alten Tage zumindest noch eine Art Ruhestand-Work-Balance«, meint Arntz.
Und er sieht noch eine weitere ermutigende Perspektive: »Wenn man alle drei Generationsprojekte in der Zusammenschau betrachtet: die 68er, die Deutschland gesellschaftlich und politisch erneuert und geöffnet haben, die um 1964 Geborenen, die die deutsche Einheit und ihre Einbettung in die europäische Einheit gestaltet haben und die folgende Generation, die eine ökologische und digitale Transformation anstrebt, dann könnte diesen drei Generationen zusammen etwas sehr Sinnvolles gelungen sein.«
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