Nach den tödlichen Polizeischüssen aus einer Maschinenpistole auf einen Jugendlichen in Dortmund wird gegen vier weitere am Einsatz beteiligte Beamte ermittelt.
Gegen den Schützen selbst, der sechs Kugeln aus einer Maschinenpistole abgefeuert hatte, werde inzwischen auch der Verdacht des Totschlags geprüft. Offiziell werde derzeit aber weiter wegen des Verdachts der Körperverletzung mit Todesfolge gegen ihn ermittelt. Das geht aus einem Bericht des Innenministeriums an den Landtag hervor, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Bei den vier weiteren Beamten, gegen die nun ermittelt wird, handele es sich um alle, die während des umstritten Einsatzes Waffen oder andere Einsatzmittel gegen den Jugendlichen eingesetzt haben.
Die neuen Ermittlungen wegen Körperverletzung im Amt richten sich gegen eine Polizeibeamtin, die Pfefferspray eingesetzt hat sowie gegen eine Polizistin und einen Polizisten, die mit Tasern geschossen hatten. Außerdem gegen den Einsatzleiter wegen Anstiftung zur Körperverletzung. Er hatte den Einsatz von Pfefferspray und Tasern angeordnet. Neu ist auch, dass zwölf Beamtinnen und Beamte an dem Einsatz beteiligt waren, darunter vier in Zivil. Bisher ging man von elf Einsatzkräften aus.
Der Dortmunder Polizeipräsident teilte am Abend mit, dass gegen alle Beamte, gegen die strafrechtlich ermittelt werde, auch Disziplinarverfahren eingeleitet worden seien. Ein Beamter sei vom Dienst suspendiert worden, vier weitere seien versetzt worden. Für die fünf Beamten gelte weiter die Unschuldsvermutung, hieß es.
Pfefferspray als Reaktion auf Suizidversuch
Die Polizei war am 8. August zum Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung im Dortmunder Norden gerufen worden, in dem sich der 16-Jährige ein 15 bis 20 Zentimeter langes Messer an den Bauch hielt. Der Einsatz lief zunächst als Suizidversuch. Der unbegleitete minderjährige Flüchtling aus dem Senegal war im April nach Deutschland und erst Tage vor dem Einsatz nach Dortmund gekommen und soll nicht gut Deutsch gesprochen haben.
Der Jugendliche habe zunächst auf dem Boden gehockt und das Messer gegen sich selbst gerichtet. Erst als er mit Pfefferspray besprüht wurde, sei er aufgesprungen und habe sich auf die Polizisten zubewegt. Dann seien die Taser zum Einsatz gekommen, aber wirkungslos geblieben.
Gab es einen Messerangriff?
Während es bislang hieß, der Jugendliche habe sich danach weiter auf die Polizisten zubewegt, bevor die tödlichen Schüsse fielen, heißt es nun im neuen Bericht, dies sei wegen unterschiedlicher Zeugenaussagen nicht abschließend geklärt. Auch sei nicht geklärt, wie er das Messer führte, bevor geschossen wurde.
Der Polizist schoss mit seiner Maschinenpistole sechs Mal. Bisher hieß es, dass fünf Schüsse den Jugendlichen im Gesicht, am Unterarm, in den Bauch und zwei Mal in die Schulter trafen. Der Obduktion zufolge wurde er aber viermal getroffen. Eine Kugel habe einen Körperteil durchschlagen und sei in einen weiteren eingedrungen und habe damit zwei Verletzungen verursacht. Der 16-Jährige starb später im Krankenhaus.
Wie aus dem Bericht an den Landtag hervorgeht, hatten die Beamten den Jugendlichen aus dem Senegal auf Deutsch und Spanisch angesprochen. Offenbar hatten sie ihm aber nicht gesagt, dass er das Messer weglegen soll, so der Bericht.
Wie es weiter heißt, hatten beide Taser-Schüsse nicht gewirkt. Der erste traf nicht richtig, der zweite hatte den Jugendlichen unter anderem am Glied getroffen, sei vermutlich schmerzhaft gewesen, habe aber nicht zur erhofften kurzzeitigen Körperstarre geführt.
Bodycams waren nicht eingeschaltet
Mehrere Punkte des Einsatzes hatten für Kritik gesorgt. Dabei ging es etwa um die Tatsache, dass die Bodycams der Polizisten nicht eingeschaltet waren. Eine Überprüfung ergab, dass sich auf ihnen keine Aufnahmen befunden hätten. Zudem werte das Bundeskriminalamt noch den Notruf aus.
Der tödliche Polizeieinsatz hatte für Bestürzung gesorgt. In Dortmund kam es zu Demonstrationen des linken Spektrums und der afrikanischen Community. Laut Staatsanwaltschaft gibt es aber keine Hinweise, dass die schwarze Hautfarbe des Jugendlichen bei dem Einsatz eine Rolle gespielt hätte.
NRW-Innenminister Reul: »Neue Lage«
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sieht nach der Ausweitung der Ermittlungen »eine neue Lage«. Das zeige aber auch, dass in dem Fall genau hingeschaut werde, sagte Reul am Donnerstag. Er betonte, dass es sich bei allen Verfahren um einen Anfangsverdacht handele.
»Durch diesen Bericht sind jetzt zahlreiche neue Details ans Licht gekommen. Damit ergibt sich eine neue Lage in diesem ohnehin schon dramatischen Fall«, kommentierte die innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Christina Kampmann. Es sei gut, dass eine unabhängige Behörde für Aufklärung sorge.
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