Gegen 09.00 Uhr ist es so weit: Die Tür zum Gerichtssaal schließt sich in diesem mit Spannung erwarteten Prozess. Was dahinter unter Ausschluss der Öffentlichkeit seit Montag verhandelt wird, ist »überhaupt nicht alltäglich«, wie der Göttinger Opferanwalt Steffen Hörning sagte. Ein 14-jähriger Junge soll einen gleichaltrigen Mitschüler heimtückisch ermordet haben - ein knappes halbes Jahr später sitzt der Teenager auf der Anklagebank einer Jugendkammer des Landgerichts Hannover. Die Hinterbliebenen des jugendlichen Opfers stehen nach Hörnings Worten fassungslos vor dem Geschehen. Ihr Wunsch: »Es zu schaffen, sich der Beantwortung der Frage nach dem Warum zu nähern«, sagte er.
Was im Januar in Wunstorf geschah
Der gewaltsame Tod des Schülers sorgte Ende Januar bundesweit für Erschütterung. Hunderte Einsatzkräfte hatten in Wunstorf nahe Hannover nach dem zunächst vermissten 14-Jährigen gesucht - viele Menschen hofften, dass der Vermisste doch noch auftauchen würde. Er hatte sich mit einem weiteren 14-Jährigen zum Spielen getroffen, kam aber nach der Verabredung nicht nach Hause zurück. Sein Vater meldete ihn bei der Polizei als vermisst.
Während der Suche soll der andere Achtklässler der Polizei gesagt haben, dass er seinen Spielkameraden getötet und versteckt habe. Die Leiche des Jungen wurde schließlich auf dem Brachgelände einer ehemaligen Gärtnerei gefunden. Das Opfer soll früheren Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge gefesselt und mit Steinen erschlagen worden sein. Bei einer Obduktion wurde stumpfe Gewalt als Todesursache festgestellt.
Das Opfer sei arg- und wehrlos gewesen, hatten die Ermittler erklärt. Der Junge habe nicht damit gerechnet, dass er von seinem Spielkameraden umgebracht werden könnte. Der mutmaßliche Täter und das Opfer besuchten dieselbe Schule, gingen aber in unterschiedliche Klassen. Details zu Hintergrund und Motiv sollten nicht genannt werden, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft betonte.
Gegen den verdächtigen Teenager wurde Haftbefehl wegen Mordes erlassen, seitdem sitzt er in der Jugendanstalt Hameln in Untersuchungshaft. Im Frühjahr erhob die Staatsanwaltschaft Hannover Anklage gegen den 14-jährigen Deutschen.
Zwei zerstörte Familien
Nebenklagevertreter Hörning erklärte, von einer Sekunde auf die andere seien zwei Familien zerstört worden - die des Opfers und die des mutmaßlichen Täters. Er habe in den vergangenen Jahren als Opferanwalt »sehr viel« mit Hinterbliebenen zu tun gehabt, der Umgang mit einem derartigen Geschehen und die Art der Trauer seien ganz individuell: Es gebe Eltern, die auf Rache sinnen, es gebe aber auch Eltern, die den Angeklagten und seine Familie mit in den Blick nehmen. Er habe erlebt, dass Familien auseinanderbrachen: »Diese Gefahr sehe ich hier Gott sei Dank nicht.« Stattdessen gebe es gegenseitigen Zuspruch.
Hörning sagte auch, er stehe noch immer unter dem Eindruck des Mordprozesses um den gewaltsamen Tod der 15-jährigen Anastasia aus Salzgitter - auch damals war er Nebenklagevertreter. Ende Februar wurde ein 15 Jahre alter Mitschüler des Opfers wegen Mordes zu acht Jahren Jugendstrafe verurteilt, ein 13 Jahre alter mutmaßlicher Mittäter war noch nicht strafmündig. Die beiden Jungen sollen das Mädchen erstickt haben. In das Verfahren am Landgericht Braunschweig platzte die Nachricht von dem Mord in Wunstorf, wie er erzählte.
In Wunstorf ist »nichts mehr wie es war«
Familie und Freunde hatten dort Anfang Februar mit einer bewegenden Trauerfeier Abschied von dem getöteten Jungen genommen. »Wir alle sind nach wie vor schockiert«, sagte der katholische Pfarrer Andreas Körner, der das Opfer selbst seit dem Kommunionkurs kannte, in seiner Predigt. Seit dem Tag, an dem der 14-Jährige getötet wurde, sei in Wunstorf »nichts mehr wie es war«.
Und für den mutmaßlichen Täter auch nicht: Hörning sagte, er gehe von einer Jugendstrafe »im oberen Bereich« aus - bis zu zehn Jahre Gefängnis seien möglich. Das Gericht werde sich wohl auch mit der Frage der Sicherungsverwahrung beschäftigen: »Es spricht mehr dafür als dagegen.« Für den Prozess sind sieben Verhandlungstage angesetzt. Die Familie des Opfers wünscht sich nach den Worten des Anwalts, dass »die Haftzeit, die wahrscheinlich vor dem Angeklagten liegen wird, so verlaufen wird, dass man ihn ruhigen Gewissens entlassen kann«.
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