Twitter steht mit der wahrscheinlichen Übernahme durch Tech-Milliardär Elon Musk vor großen Veränderungen. Der reichste Mensch der Welt will auf der Plattform Inhalte-Regeln lockern und das Geschäftsmodell überdenken.
Der Tesla-Chef brach in wenigen Tagen den Widerstand der Firma gegen seine Kaufattacke mit Finanzierungszusagen über 46,5 Milliarden Dollar. Twitters Verwaltungsrat stimmte dem Deal zu. Jetzt müssen noch genug Aktionäre Musk ihre Anteile verkaufen.
Musk hält bereits gut 9 Prozent, und es reicht ihm, über die Marke von 50 Prozent zu kommen. Denn anders als bei Google oder dem Facebook-Konzern Meta halten Gründer und Top-Manager bei Twitter keine Aktien mit mehr Stimmrechten, die ihre Kontrolle über die Firma absichern könnten. Twitter und Musk gaben sich Zeit bis Ende des Jahres, um den Verkauf abzuschließen.
Anleger zeigen sich nach wie vor skeptisch, dass Musk am Ende Erfolg hat. Die Twitter-Aktie lag im frühen US-Handel mit einem Minus von rund drei Prozent an der Marke von 50 Dollar - und entfernte sich damit von Musks Angebotspreis von 54,20 Dollar.
Fragen über Fragen
Was will der Chef eines Elektroauto-Herstellers, einer Weltraumfirma und eines Entwicklers von Gehirn-Implantaten mit Twitter? Wie wird sich der Dienst, der zu einer Art Nervensystem der Nachrichtenbranche wurde, als Privatbesitz con Musk verändern? Wer kann sicherstellen, dass Musk Twitter nicht für geschäftliche Interessen einspannt? Wird man ohne die Transparenz von Börsenberichten überhaupt erfahren, wie Twitter sein Geld verdient und ob das Geschäft läuft? Das sind alles Fragen, auf die es bisher keine zuverlässigen Antworten gibt.
Bei Bekanntgabe des Deals am Montag versprach Musk unter anderem, »Spam-Bots zu besiegen und alle Menschen zu authentifizieren«. Der Software-Algorithmus, mit dem für Nutzer potenziell für sie interessante Tweets ausgewählt werden, solle öffentlich werden.
Vor allem schrieb sich Musk aber weitestmögliche Redefreiheit auf die Fahnen. Das sei nur möglich, wenn der Kurznachrichtendienst die Börse verlasse, behauptete er. Seine Vorstellung von Redefreiheit umriss Musk so: »Wenn jemand, den man nicht mag, etwas sagen darf, was man nicht mag.« Im Rahmen der Gesetze sollten alle Meinungen erlaubt sein. Twitter mit Redefreiheit sei wichtig für die Demokratie und minimiere die Risiken für die Zivilisation, sagte er.
Aus bestimmten Lagern kommt Applaus
Nun ist es allerdings so, dass über angebliche »Zensur« bei Twitter besonders lautstark vor allem zwei Gruppen klagen: Leute, gegen deren Beiträge wegen falscher oder irreführender Informationen zum Coronavirus vorgegangen wurde, sowie Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump, die nicht ohne weiteres behaupten können, ihm sei die Wahl 2020 gestohlen worden. Aus den Lagern kam Applaus für Musks Visionen.
Andere schlugen dagegen Alarm. So schrieb die demokratische US-Senatorin Elizabeth Warren bei Twitter: »Dieser Deal ist gefährlich für unsere Demokratie. Milliardäre wie Elon Musk spielen nach anderen Regeln als alle anderen.« Besorgt zeigte sich auch die Bürgerrechtsorganisation ACLU (American Civil Liberties Union): Obwohl Musk ihr Mitglied und einer der wichtigsten Unterstützer sei, sei es »sehr gefährlich, so viel Macht einer Person in die Hand zu legen«. Musk nutzte Kritik zur Demonstration seiner Ansätze: »Ich hoffe, dass selbst meine schlimmsten Kritiker bei Twitter bleiben - weil genau das Redefreiheit bedeutet.«
Auch der ehemalige Facebook-Sicherheitschef Alex Stamos warnte bereits vor einer Alles-Erlaubt-Einstellung. Man erhöhe den Wert einer Plattform nicht, indem man sie zu 99,9 Prozent mit Pornografie sowie Anzeigen für gefälschte Marken-Sonnenbrillen und Potenzmittel befüllen lasse, schrieb er bei Twitter.
Zwischen Redefreiheit und Hassrede
Die Menschenrechtsorganisation NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) versuchte, Musk ihre Sicht von Grenzen für Meinungsäußerung zu vermitteln: »Redefreiheit ist wunderbar, Hassrede ist inakzeptabel.« Auch für Falschinformationen sei kein Platz bei Twitter. NAACP-Präsident Derrick Johnson appellierte an Musk speziell, Trump nicht zurück auf die Plattform zu lassen. »Leben sind in Gefahr - und auch unsere amerikanische Demokratie.« Im Weißen Haus von Präsident Joe Biden sei man ebenfalls besorgt, Trump könne vor den Kongresswahlen in diesem Herbst und der Präsidentenwahl 2024 bei Musks Twitter wieder auftauchen, berichtete der TV-Sender CNBC.
Trump wurde bei Twitter verbannt, nachdem er Sympathie für seine Anhänger bekundet hatte, die am 6. Januar 2021 das Kapitol in Washington erstürmten. Das Management betonte bisher, dass es für ihn keinen Weg zurück auf die Plattform gebe. Musk könnte das anders sehen: Er finde vorläufige »Timeouts« besser als permanente Ausschlüsse, sagte der Tesla-Chef jüngst allgemein. Musk selbst spielte zu Beginn der Pandemie die Gefahren durch das Coronavirus herunter und nannte Einschränkungen in Kalifornien »faschistisch«.
Trump sagte dem Sender Fox News, er wolle nicht zu Twitter zurückkehren, selbst wenn er es dürfte. Der Ex-Präsident baut stattdessen seine eigene Twitter-Alternative mit dem Namen Truth Social auf, die jedoch bisher ein Schattendasein führt.
Geht es gar nicht um Geld?
Musk sagte stets, es gehe ihm bei dem Twitter-Deal nicht um Geld. Doch er setzt dafür sehr viel von seinem Vermögen ein. Während Musk als Twitter-Besitzer niemandem Rechenschaft schuldig sein wird, so muss er jedoch die Schulden bedienen, die er für den Deal braucht.
Der 50-Jährige präsentierte Zusagen für Kredite über 25,5 Milliarden Dollar und will darüber hinaus eigenen Besitz von rund 21 Milliarden Dollar einbringen. Musk ist die mit Abstand reichste Person der Welt mit einem geschätzten Vermögen von rund 257 Milliarden Dollar. Sein Reichtum besteht aber fast ausschließlich aus Aktien von Tesla und seiner Weltraumfirma SpaceX. Er muss Kredite mit Aktien absichern.
Dabei wird er eine Plattform besitzen, die ihr Gewicht für Politik und Medien nie in ein so lukratives Geschäft wie etwa bei Facebook ummünzen konnte. So machte Twitter im gesamten vergangenen Jahr gut fünf Milliarden Dollar Umsatz - und schrieb unterm Strich einen Verlust von 221,4 Millionen Dollar. Zu Musks Ideen für Twitter gehört, dass ein Abo-Modell die Unabhängigkeit von großen Konzernen besser absichere als das heutige Werbegeschäft. Aber ob genug Nutzer bereit sind, für Twitter-Nutzung Geld zu bezahlen, ist zweifelhaft.
Eine Frage ist auch, wie Musks Geschäftsinteressen mit denen von Twitter kollidieren könnten. So ist China ein wichtiger Markt für Tesla - und nicht gerade als Hochburg der Redefreiheit bekannt. Amazon-Gründer Jeff Bezos - zweitreichster Mann der Welt, Besitzer der »Washington Post« und Musks Weltraum-Rivale - warf entsprechend die Frage auf, ob China gerade mehr Einfluss auf Twitter gewonnen habe. Er selbst glaube zwar nicht daran, schränkte Bezos ein. Aber die Lage für Tesla in China werde schwieriger.
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