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Recycling: Rohstoffe aus der urbanen Mine immer wichtiger

Unmengen von Stahl, Kupfer und zahlreiche andere Metalle sind in Gegenständen des Alltags verbaut - und nach ihrer ursprünglichen Nutzung eine wichtige Rohstoffquelle.

Elektroschrott
Alte Handys und Smartphones liegen in einem Container, ehe sie geschreddert werden. Foto: Julian Stratenschulte
Alte Handys und Smartphones liegen in einem Container, ehe sie geschreddert werden.
Foto: Julian Stratenschulte

Hat das Smartphone ausgedient, landet es oft in der Schublade - »kann man ja immer noch einmal gebrauchen«. Rund 210 Millionen Alt-Handys lagerten im vergangenen Jahr nach Angaben des Digitalverbandes Bitkom in Haushalten in Deutschland. 87 Prozent der Bürgerinnen und Bürger verfügten demnach über mindestens ein ausrangiertes Handy. Seit 2015 habe sich diese Zahl mehr als verdoppelt.

Die Schubladenhandys zählen zur sogenannten urbanen Mine. Sie beschreibt im Gegensatz zur klassischen Rohstoffmine die menschengemachten Rohstoffvorkommen: »Alle Güter, die wir Menschen jemals geschaffen haben«, erklärt Britta Bookhagen von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Diese sogenannten anthropogenen Lager umfassen etwa Brücken, Autos, Häuser, Waschmaschinen - und eben auch Smartphones. Aus den Handys lassen sich zum Beispiel Gold, Kupfer und Nickel gewinnen, aus Autos und Brücken vor allem Stahl.

Bei der strategischen Betrachtung der urbanen Mine spiele es zunächst keine Rolle, »ob die Güter noch aktiv genutzt und erst in absehbarer Zukunft freigesetzt werden oder ob sie bereits das Ende ihres Nutzungshorizonts erreicht haben«, schreibt das Umweltbundesamt (UBA) auf seiner Webseite. Gerade Metalle und Baumineralien verblieben oftmals lange Zeit in Infrastrukturen, Gebäuden und Gütern des täglichen Gebrauchs. »Über Jahrzehnte hinweg haben sich auf diese Weise enorme Materialbestände angesammelt, die großes Potenzial als zukünftige Quelle für Sekundärrohstoffe bergen.«

Große Abhängigkeit vom Import

Rund 1,3 Milliarden Tonnen an Materialien setzt die deutsche Volkswirtschaft nach UBA-Angaben jährlich im Inland ein - hier sind sowohl Produkte wie Autos als auch reine Rohstoffe mitgezählt. Vor allem bei Metall- und Energierohstoffen ist die Bundesrepublik dabei stark von Importen abhängig, wie aus dem jüngsten Rohstoffsituationsbericht der BGR von Dezember hervorgeht. Besonders bei neu gewonnenen Metallen ist Deutschland dabei so gut wie vollständig importabhängig.

Aber: Die Rohstoffe auf der Welt sind endlich, der internationale Wettbewerb wächst, die Kosten steigen - ebenso wie der Belastungsdruck auf Naturräume und ihre Ökosysteme. Wiederaufbereitung von etwa Metallen oder Baumaterialien kann daher dazu beitragen, die natürlichen Ressourcen der Erde zu schonen - und dabei auch Treibhausgasemissionen, Grundwasserbeeinträchtigung und Biodiversitätsverlust zu reduzieren, sagt Felix Müller, beim Umweltbundesamt für das Thema Urban Mining zuständig.

Und ein Ausbau hilft nicht nur der Umwelt: »Die Vision ist, unabhängiger von Rohstoffimporten zu werden, vielmehr sollten wir mit der sekundären Gewinnung zu veritablen Rohstoffproduzenten werden. So können wir auch ein neues wirtschaftliches Feld erschließen«, sagt Müller. Mit rund 550 Millionen Tonnen Material pro Jahr werden ihm zufolge die anthropogenen Lager Deutschlands angereichert.

Weit entfernt von Nachhaltigkeit

Der Experte sagt: »Solange die Materialbestände so stark wachsen, sind wir von einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft noch weit entfernt. Aber das wachsende Lager birgt das immense Potenzial, Stoffkreisläufe in Zukunft weitaus besser zu schließen als uns dies bislang gelingt. Dafür müssen wir jetzt die Weichen stellen und Rahmenbedingungen anpassen.« Derzeit werde daher auch von der Bundesregierung an einer nationalen Urban-Mining-Strategie gearbeitet.

»Abgebaut« wird in der urbanen Mine nicht mit Schaufelradbagger und Spitzhacke, sondern durch Recycling - und somit ist es bis zu einem gewissen Teil auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, sagt die Geologin Bookhagen. Sie stellt aber klar: »Urban Mining bezieht sich auf Produkte am Ende ihres Lebens.« Erst wenn alle anderen Wege, etwa reparieren oder weiterverkaufen, ausgeschöpft sind, geht es ums Recycling - »bitte nicht in die Schublade«, sagt Bookhagen.

Derzeit liegt in den deutschen Schubladen ein wahrer Goldschatz. In einer Untersuchung von 2020 kamen Bookhagen und ihre Kolleginnen und Kollegen zu dem Ergebnis, dass in den rund 200 Millionen Smartphones in deutschen Schubladen unter anderem rund 3,4 Tonnen Gold, 1300 Tonnen Kupfer und 520 Tonnen Nickel stecken.

Material für zehn Jahre Produktion

Forscherinnen des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln errechneten in einem am Montag veröffentlichten Bericht, dass der Wert des Metalls der ungenutzten Handys rund 240 Millionen Euro beträgt. Mit Blick auf den Materialwert der im Jahr 2021 verkauften Smartphones von 23,5 Millionen Euro könnten demnach die Schubladenhandys den Materialbedarf für neue Smartphones für über zehn Jahre decken. Die Autorinnen schränken die Berechnung allerdings selbst ein: Die Realität sehe anders aus, »da nicht alle Schubladenhandys dem Recycling zugeführt werden und außerdem komplett recycelbar sind«.

Genau das ist auch die größte Schwierigkeit beim Urban Mining, sagt Expertin Bookhagen: »Es ist sehr schwer abzuschätzen, welche Rohstoffe wie und wann zu uns zurückkommen.« Zum einen sei gar nicht klar, etwa wie viel Stahl oder Aluminium vor 50 Jahren in einem Auto oder einer Waschmaschine verbaut worden sei, noch wie das am sinnvollsten zurückzugewinnen sei und aufbereitet werde. Notwendig sei hier eine bessere Datenlage. »Fest steht: Das urbane Lager wächst und hat einen hohen Wertstoffgehalt.«

Das Gewinnen von Rohstoffen aus der urbanen Mine hat viel Potenzial, um unabhängiger von Rohstoffimporten und von steigenden Kosten zu werden, sagt auch Bookhagen. Deutschland und Europa seien im Vergleich zu anderen Teilen der Welt gut dabei. »Aber man darf nicht vergessen: Selbst wenn wir alles aus der urbanen Mine herausholen könnten, würde das unseren Rohstoffbedarf nicht decken«, so die Expertin weiter. Dafür sei der Rohstoffhunger zu groß.

© dpa-infocom, dpa:230116-99-233391/3