Ob Hate Speech oder Fake News: Trolle und Hetzer wüten im Netz und verbreiten Hass und Desinformationen. Jetzt hat das Statistische Bundesamt neue Daten dazu veröffentlicht, in welchem Maße Menschen in Deutschland in sozialen Medien, Internetforen oder Kommentarspalten in Kontakt mit Falschinformation und Hetze kommen.
Demnach hat mehr als ein Viertel der User in Deutschland nach eigener Einschätzung im ersten Quartal dieses Jahres Beiträge im Netz im Zusammenhang mit Hassrede wahrgenommen. Damit waren rund 15,8 Millionen Menschen im Alter von 16 bis 74 Jahren mit Hate Speech konfrontiert - und zwar unabhängig davon, ob die als Hassrede wahrgenommenen Beiträge gegen die eigene Person oder gegen andere gerichtet waren. »Die Ergebnisse überraschen uns nicht«, sagt Anna-Lena von Hodenberg von der Organisation »HateAid« der Deutschen Presse-Agentur. Inzwischen gebe es auch einen Gewöhnungseffekt, was gewaltvolle Sprache im digitalen Raum betreffe.
Jüngere nehmen häufiger Hate Speech wahr
Der Statistik zufolge sehen sich Jüngere häufiger mit Hate Speech im Internet konfrontiert als ältere, wie das Bundesamt am Montag in Wiesbaden mitteilte. So beobachteten mehr als ein Drittel (36 Prozent) der User zwischen 16 bis 44 Jahren feindselige oder erniedrigende Kommentare. Bei den 65- bis 74-Jährigen waren es nur 14 Prozent. »Jüngere sind natürlich viel häufiger im Netz unterwegs und nehmen auch viel mehr digitale Gewalt wahr«, sagt von Hodenberg. Im Gegensatz zu Älteren sei es für sie viel schwerer, digitale Räume zu verlassen. »Da rauszugehen bedeutet soziale Exklusion.«
Und was sind die häufigsten Ziele von Hate Speech? Der Statistik zufolge wurden die meisten Angriffe aufgrund politischer oder gesellschaftlicher Ansichten wahrgenommen, gefolgt von Angriffen wegen der ethnischen Herkunft beziehungsweise rassistische Äußerungen. »Viele Menschen trauen sich gar nicht mehr, ihre politische Meinung im Netz zu teilen, da findet eine regelrechte Verstummung statt«, sagt von Hodenberg. Das sei extrem gefährlich. Die Menschen würden aus diesem Raum - und damit auch aus dem öffentlichen Diskurs - verdrängt werden. »Übrig bleiben die, die am lautesten schreien und am extremsten sind.«
Und, so betont die Expertin: »Im Digitalen wird der toxische Nährboden für Aggression und Gewalt im analogen Raum geschaffen.« Das zeigten beispielsweise die Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten, auf Kommunalpolitiker oder Polizei und Rettungskräfte.
Fällt Unwahres auf?
Beim Surfen im Netz stoßen User aber auch auf Falschinformationen, sogenannte Fake News. Nach Angaben der Statistiker sah fast die Hälfte der Befragten (48 Prozent) Informationen, die nach ihrer eigenen Einschätzung unwahr oder unglaubwürdig waren.
Die entscheidende Frage hierbei ist jedoch: Erkennen sie Fake News auch tatsächlich? »Effektive Desinformation ist so subversiv, dass man gar nicht bemerkt, dass man ihr gerade auf den Leim gegangen ist«, erklärt Josef Holnburger, Geschäftsführer des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), das im Netz Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen untersucht.
Die Wahrnehmung der Menschen ist immer stark von den eigenen Überzeugungen beeinflusst. »Man glaubt eher das, was mit den eigenen politischen Einstellungen zusammenpasst«, sagt der Experte. Dann wird Desinformation nicht selten als Information gesehen - oder anders herum: Die wahre Berichterstattung etablierter Medien wird womöglich sogar als Fake bezeichnet.
Oft steht hinter einer gezielten Verbreitung von Falschbehauptungen die Absicht, das allgemeine Vertrauen zu untergraben. »Desinformation mindert die Glaubwürdigkeit auch von Menschen und Organisationen, die eigentlich immer korrekt berichtet haben oder, wenn ein Fehler unterlaufen ist, diesen aufgeklärt haben«, sagt Holnburger. Die Wahrheit erscheine dann als eine Art Kompromiss zwischen Falschinformation und Information. »Und da wird es dann richtig gefährlich, weil man plötzlich niemandem mehr glaubt.«
So kann jeder helfen
Was kann jeder Einzelne gegen Hate Speech und Fake News tun? »Nicht passiv sein, nicht sagen, dass das einen nichts angeht«, sagt von Hodenberg. Stattdessen: »Genau hinschauen, Beiträge bei den Plattformen melden und bei der Polizei anzeigen, damit es eine Strafverfolgung gibt.« Es gelte, digitale Zivilcourage zu zeigen, und den Opfern zur Seite zu stehen, »etwa, indem man ihnen eine Privatnachricht schreibt oder sie öffentlich stärkt«. Auch müssten die sozialen Medien nicht so bleiben, wie sie sind: »Wir können von der Politik fordern, dass sie sicherere Orte werden.«
Das Bundesamt wies darauf hin, dass die Daten 2023 zum ersten Mal erhoben wurden und somit kein Vorjahresvergleich möglich ist. Sie stammen aus der Erhebung zur Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in privaten Haushalten, bei der Menschen von 16 bis 74 Jahren befragt wurden. In dieser Altersspanne nutzten demnach 92 Prozent der Bevölkerung in Deutschland im ersten Quartal 2023 das Internet. Das entsprach 57,4 Millionen Menschen.
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