Schöner kann ein Willkommensgruß kaum sein, als das Panorama, das sich Besuchern gleich bei der Ankunft in Lugano wie auf einem Silbertablett präsentiert: Wer mit dem Zug ins Tessin anreist, setzt an dem hoch über der Stadt liegenden Bahnhof seinen Fuß auf eine riesige Aussichtsterrasse mit fantastischem Blick auf den Lago di Lugano, dessen Ufer sich um die Halbinsel des Monte San Salvadore schlängelt, und den sich die Schweiz mit ihren italienischen Nachbarn teilt.
Mit etwas Glück sind die über 1.500 Meter hohen Bergspitzen des Monte Boglio, des Monte Generoso oder auch des seines Fossilienreichtums wegen unter Schutz der Unesco stehenden Monte Giorgio noch bis spät ins Jahr hinein mit einer glänzend weißen Schneedecke überzogen, während es in den vielen Gärten und Parks unten in der Stadt schon üppig blüht.
Kamelien und Mimosen
Zarte Magnolien, Kamelien in allen Rottönen, duftige Mimosen und wild wachsende gelbe Aurikel gedeihen hier prächtig. Zusammen mit den immergrünen Palmen verleihen sie dieser fast ganzjährig von der Sonne verwöhnten Region ein mediterranes Flair. Wobei die sich rasch ausbreitenden Palmen eine lästige Konkurrenz zu manch heimischen Baumarten sind.
Wohin soll man bloß zuerst, wo es hier doch überall so vielversprechend ist? Hinauf auf einen der noch bessere Aussicht versprechenden Berge, die alle per Standseilbahn bequem zu bezwingen und deren Hänge bis weit hinauf von Villen, Hotels und anderen Feriendomizilen gesäumt sind? Oder lieber gleich hinunter an die Uferpromenade, von der aus die kreuz und quer über den See fahrenden Ausflugsdampfer bestiegen werden können, frisch gestrichene Tret- und Ruderboote auf Gäste warten, oder wo in der geschützten Bucht am Lido di Lugano im Sommer auch Badegäste gern gesehen sind?
Zuverlässig mit Bus
Ebenso verlockend könnte es auch sein, einfach mitten in die quirlige, rund 69.000 Einwohner zählende Universitätsstadt mit einzutauchen, die neben prächtigen Gebäuden aus der Belle Epoche, der auf einer Anhöhe thronenden Kathedrale San Lorenzo und einer schicken Einkaufsmeile unter Laubengängen in der engen Via Nassa ein erstaunlich reiches Kulturleben zu bieten hat.
Augenfälligster Beweis in bester Lage direkt am See: Das LAC Lugano Arte e Cultura, das hinter schicker Architektur Kunstgenuss jeder Art zu bieten hat. Gleich daneben, im MUSEC, gibt es eine Sammlung außereuropäischer Werke zu bestaunen. Dazu kommen zahlreiche kleinere Museen, ein Teatro und ein Konzerthaus sowie Galerien, in der halben Stadt verstreut.
Mit dem Bus, der pünktlich fährt – man ist ja in der Schweiz – und der für Übernachtungsgäste mit dem Ticino Ticket sogar kostenlos ist, ist es vom Zentrum aus nur ein Katzensprung hinaus zur Villa Heleneum. Vittoria Matarrese kuratiert hier für die 2006 gegründete Bally Foundation jeweils zwei Wechsel-Ausstellungen pro Jahr, in denen die Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler große Beachtung finden. Allein schon die in den 1930er-Jahren erbaute Villa ist faszinierend und einen Besuch wert. Ebenso wie der sie umgebende Park, der am Ufer des Luganer Sees mit altem Baumbestand beeindruckt und unabhängig von den Ausstellungen zugänglich ist.
Bellinzonas Burgen
Ortswechsel: Prächtig auch die im palladianischen Stil umgebaute und als Kunst-Museum genutzte Villa dei Cedri mitsamt dem dazugehörigen Park, der sich zusätzlich als Ausstellungsfläche für moderne Objekte anbietet. Um Park und Villa erleben und genießen zu können, müssen Besucher allerdings die eigentliche Hauptstadt des Tessin aufsuchen. Und das ist nicht Lugano. Sondern die viel kleinere, meist unbeachtete Stadt Bellinzona, nach deren Silhouette sich gen Süden Fahrende allenfalls ihrer gewaltigen Burgen wegen kurz den Hals verdrehen.
Geschichte trifft Kunst
Schade, eigentlich. Denn auch Bellinzona hat eine sehenswerte Innenstadt mit durchaus schon italienisch anmutenden Kirchen, Plätzen und Palästen. Und eine Festungsanlage, die ihresgleichen sucht. Das Besondere: Sie besteht eigentlich aus drei weitgehend noch intakten Burgen, mit schier endlosen Wällen und Burgmauern, die sich bis hinunter in die kleine Provinzhauptstadt ziehen. Bei einer Stadtführung erfährt man Wissenswertes über die vor 7.000 Jahren erfolgte Besiedelung des Tales am Ufer des Fiume Ticino sowie über die Kämpfe reicher Mailänder Adelsfamilien mit den von Norden über den 1230 eröffneten Gotthardpass eingedrungenen Eidgenossen.
Am südlichen Rand von Bellinzona liegt die Villa dei Cedri, in der Carole Haensler, Präsidentin des Schweizer Museumsverbands, seit nunmehr zehn Jahren die städtische Kunstsammlung mit rund 4.000 Exponaten betreut. Die gebürtige Elsässerin bespielt die ehemalige Sommerresidenz in direkter Nachbarschaft zu der kleinen, aber sehenswerten Kirche di San Biagio jedoch am liebsten mit moderner Kunst. Wie derzeit mit raumfüllenden Installationen, die sich mit der Natur und ihre Vergänglichkeit auseinandersetzen.
Nicht nur Grenzstadt
Zugegeben: Chiasso, die Schweizer Grenzstadt zu Italien, ist keine Schönheit. Umso mehr erstaunt, wie vielfältig in dieser südlichsten Stadt des Tessin doch das kulturelle Leben ist. Im schönen Teatro begegnen sich Cineasten und Liebhaber von Konzerten, Schauspiel und Tanz. Immer im März wird hier nächtelang hochkarätiger Jazz gespielt. Direkt gegenüber, in einer ehemaligen Villa, befinden sich die respektable Bibliothek der Stadt mit dem grafischen Archiv sowie ein lichtdurchfluteter Neubau, in dem bei jährlich zwei Wechselausstellungen das Thema Grafik aus Vergangenheit und Gegenwart im Mittelpunkt steht. Das Centro Culturale Chiasso m.a.x., in dem Nicoletta Ossanna Cavadini den Ton angibt (also wie schon in Lugano und Bellinzona wieder eine Frau), wird um eine schlichte Kunsthalle ergänzt, in der jeweils aktuelle Arbeiten heimischer Künstler zu sehen sind. (GEA)