Die Jagd ist längst eröffnet. Die Freeride-Szene bewegt sich gen Osten und war bisher mit Georgien gut bedient. Der Ort Bakhmaro im kleinen Kaukasus gilt seit fünf Jahren als Deepsnow-Mekka, denn er liefert Schnee im Überfluss und gilt als bestes Catski-Gebiet der Welt. Die Berge sind kupiert und bieten weite Ebenen, die Neigung geht selten über 30 Grad und ist damit kaum lawinös. Von harmlos zu sprechen, wäre falsch. Wer steil gehen will, hat genügend Spielraum.
»Catski« nennt sich die immer populärere Methode, effizient und schnell auf den Berg zu kommen. Handelsübliche Pistenwalzen, in diesem Fall »Cats«, sind mit beheizten Personenkabinen bestückt und transportieren Mensch und Material. Der Vorteil gegenüber Heli-Skiing: Cat-skiing ist wetterunabhängig, Zwangspausen wegen Schneefall oder Nebel gibt es nicht. Und es schont den Geldbeutel: Ein Heli-Tag entspricht drei bis vier Catski-Tagen, bei annähernd gleich vielen Höhenmetern.
Freeride-Pioniere sind immer auf der Suche. Der neue »Place to be« liegt im Nordosten von Kasachstan, genauer in Ridder am Fuß des Altai-Gebirges. Zunächst geht es von Frankfurt über die Hauptstadt Astana zum Zielflughafen Öskemen. Die Bergbau-Stadt Ridder (Erz, früher auch Gold und Silber) ist über einen bolzengeraden Highway durchs Flachland in zwei Stunden erreicht.
Ridder versprüht den Charme des früheren Ruhrpots und ist auch heute noch stark russisch geprägt – von der Bevölkerung sind 88,1 Prozent Russen, 6,1 Prozent Kasachen und immerhin 1,6 Prozent Deutsche. Ein Großteil der Deutsch-Russen wanderte nach dem Zerfall der Sowjetunion nach Deutschland ab. Die Plattenbau-Idylle steht im krassen Kontrast zum Hinterland, das extrem trockenen Schnee vom kalten Sibirien bekommt. Es fallen rauhe Mengen, genaue Angaben gibt es nicht.
Unser Guide heißt Dimitri Mikhailov, ist 35 Jahre alt und bestens ortskundig. Vollbart bis zum Solar Plexus, perfektes Englisch und skitechnisch mit allen Wassern gewaschen, bringt er die internationale Kundschaft sicher die Hänge herunter. Die Gäste kommen aus den USA, aus Asien und Europa. Wer es mit Tourenskiern probieren will, ist in Dimitris Jurtendorf gut aufgehoben. Für die Catski-Touristen bietet eine Lodge westlichen Komfort samt Banja-Sauna. Hauptkunden sind Russen und ihre Familien. Sie kommen nicht zum Freeriden, sondern für lärmende Exkursionen mit
180 PS starken Snowmobilen. Sie sind freundlich, doch über den Ukraine-Krieg reden sie ungern.
Es sind sensationelle Powder-Tage, die morgens um 8 Uhr beginnen. Wir machen sechs oder sieben Runs mit jeweils 500 Höhenmetern, bis es um 15 Uhr zu dämmern beginnt. Wie in Georgien eignen sich die Laubwälder bestens für Tree-Runs, vor allem bei beständigem Schneefall. Es geht hinauf bis 2.000 Meter, lediglich die Bergspitzen sind waldfrei. Weite Powderfelder münden in losen Birkenwäldern, die an den Nobelskiort Aspen erinnern. Lediglich die Dimensionen sind andere: Während sich dort die Schickeria tummelt, verlieren sich hier eine Handvoll Freerider auf vergleichbaren Flächen. Skilifte gibt es hier keine. Nur eine einzige Cat zieht ihre Bahn.
Der Schnee ist tief genug für fulminante Faceshots. Streckenweise versinken wir bis zur Brust in der weißen Pracht und schwingen dennoch weiter, weil der Schnee unfassbar leicht ist und kaum Widerstand bietet. Fast schwerelos gleiten wir durch die Ausläufer des Altai-Gebirges. Der Ausblick ist atemberaubend schön. Riesige Wälder bis zum Horizont geben eine Vorstellung von der Größe des Landes, das sieben Mal größer ist als Deutschland und nur 20 Millionen Einwohner hat.
Dimitri lässt uns nur mit Lawinen-Ausrüstung an den Berg: Jeder trägt ein Frequenzgerät für die Suche nach Lawinenverschütteten, Schaufel und Sonde sind selbstredend. Zur Ausrüstung gehört auch der Lawinen-Rucksack, dessen Airbag in weniger als 3 Sekunden aufgeblasen ist, um uns im Fall einer Lawine vor dem vollständigen Untertauchen zu bewahren. Die Gas-Kartuschen stießen beim Sicherheitspersonal der kasachischen Flughäfen auf Widerstand, obwohl sie die Bestimmungen der International Air Transport Association (IATA) erfüllen. Am Ende winkten sie uns durch.
Dimitris Bindeglied in Deutschland ist der Tübinger Bergführer Bernd Wingert, der für den GEA schon etliche Ski-Leserreisen in den USA geleitet hat und ebenfalls vor Ort war. Als Urgestein der Freeride-Szene beurteilt er Ridder als neue Catski-Destination für lohnenswert und vergleichbar mit Bakhmaro. Weil die Anreise doppelt so weit ist, ändert sich der Charakter: Mit der Besichtigung der Hauptstadt Astana wird aus der reinen Skireise ein interessantes Sightseeing-Programm mit Einblicken in das kasachische Leben. Körperlich wohltuend nach sechs Catski-Tagen ist der Besuch der zweitgrößten Moschee Zentralasiens, der Hazrat-Sultan-Moschee. Sie bietet Platz für 10.000 Menschen. Auch in die Ernährungsgewohnheiten Kasachstans bekommen wir Einblick: Bergführer Dimitri brät uns in seiner Jurte ein Pferdeherz. Wie Pferd überhaupt eher Grundnahrungsmittel als Delikatesse ist. Nicht jedermanns Sache, aber landestypisch. Es steht auf jeder Speisekarte. Eindrücke dieser Art reichern das sportliche Erlebnis kulturell und kulinarisch an. (GEA)
Anreise: Mit Air Astana von Frankfurt (FRA) nach Astana (NQZ) und weiter nach Öskemen (UKK); Kosten ab 600 Euro, Sportgepäck (eigene Ski) ab 100 Euro. Aufenthalt: 7 Übernachtungen im 4-Sterne-Ridder-Resort inkl. Frühstück,
6 Catski-Tage, Guiding, alle Transfers ab 2.800 Euro. Material: Leihski und Lawinensicherheitspaket. Kosten ab 100 Euro pro Woche.
Ansprechpartner: Bernd Wingert, Mountainsports, firstline-georgia.com, 01747178410






