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»Badewannen-Feeling« in Bern

Weltkulturerbe-Hauptstadt ohne Gehabe. Laubengänge, echte Bären und die Aare als Trumpf

An schönen innerstädtischen Brücken über die Aare fehlt es nicht in Bern. FOTOS: OELKUCH
An schönen innerstädtischen Brücken über die Aare fehlt es nicht in Bern. FOTOS: OELKUCH
An schönen innerstädtischen Brücken über die Aare fehlt es nicht in Bern. FOTOS: OELKUCH

Für mich ist Bern wie ein wohltuendes, warmes Bad." So beschreibt Artur Kilian Vogel seine Gefühle für die Schweizer Hauptstadt, in der er lebt und Chefredakteur einer der großen Tageszeitungen gewesen ist. Der 72-Jährige kennt in Bern fast alles und jeden. Und er weiß, wie die mit Rot-Grüner Ratsmehrheit wohl "linkste Stadt" in der Schweiz tickt, die nicht nur auf ihn entschleunigend und gemächlich wirke. Ganz anders als die Finanzmetropole Zürich mit ihrer Hektik und "Business".

Ja, die Berner sind stolz darauf, dass bei ihnen alles ein bisschen langsamer geht. Die von einer Schlaufe der glasklaren Aare umsäumte Altstadt lässt übertriebene Eile auch gar nicht zu. Eng und gepflastert sind die Straßen, auf denen sich zahlreiche Fahr-räder und glücklicherweise meist wenige Autos genauso umsichtig bewegen, wie die dahinschleichenden Trams oder Busse, die von Gästen bereits ab der ersten Übernachtung in einem Berner Beherbergungsbetrieb kostenlos genutzt werden dürfen.

Shoppingmeile

Riesige Monumente, protzige Bank- und Kaufhäuser oder gar Glaspaläste, wie sie sich andernorts für eine Hauptstadt gehören, sind hier Fehlanzeige. Das historische Bern, dessen ältester Teil sich in vier geschlossenen Häuserreihen vom Kornhausplatz und dem »Kindlifresser«-Brunnen mit seiner gruseligen Brunnenfigur bis hinunter zum Bärenpark zieht, wirkt auf den ersten Blick eher trist. Ja vielleicht ein wenig unnahbar sogar.

Doch das Einheitsgrau oder -grün, das die Unesco für die Fassaden der trutzigen Geschäftshäuser im Kern der Weltkulturerbe-Stadt vorgibt, täuscht. Denn hinter den für Bern typischen Laubengängen entlang der Front all dieser Gebäude eröffnet sich ein ganz anderes Bild. Hier reihen sich hübsche, kleine Läden mit durchweg erlesenem Sortiment neben feine Lokale und Kaffeehäuser, in denen nicht nur Touristen aus aller Welt, sondern noch die Berner selbst zu finden sind: Um in aller Ruhe einen Kaffee zu genießen und dabei ausführlich die hier gratis ausgelegten Zeitungen zu lesen. Oder einfach um durch die bodentiefen Verglasungen Passanten zu beobachten, die unter den zusammengerechnet rund sechs Kilometern Laubengängen in dieser ungewöhnlichen Hauptstadt bestens geschützt vor zu viel Sonne als auch vor mal schlechter Witterung sind.

Unter den Lauben

Doch nicht nur Berns besondere »Shoppingmeile« hat es in sich: Die große Überraschung wartet in manchen Kellergeschossen unter diesen Lauben, die von außen zu-gänglich gemacht und meist von exquisiten Boutiquen oder Nachtclubs belegt sind. Çetin Tiryaki zum Beispiel hat sich gleich drei solcher bis unter die angrenzenden Hauptgebäude reichenden Laubenkeller als Verkaufsflächen gesichert. Und dieses besondere Ambiente für die mit Liebe zusammengetragenen Antiquitäten und »Brocante« kommt bestens an.

Unüberseh- und unüberhörbar macht gleich am früheren Tor zur Berner Altstadt der Zytglogge-Turm mächtig Eindruck. Und das nicht nur aufgrund seiner Höhe von 54 Metern, mit der er zusammen mit dem nahen und ebenfalls sehenswerten Berner Münster die etwa 150.000 Einwohner zählende City überragt. Faszinierend sind allein schon die riesigen Ziffernblätter der Astronomischen und der seit 1530 bis auf die Minute pünktlich gehenden Stunden-Uhr über dem großen Torbogen. Wobei jeweils Trauben von Touristen darauf warten, dass sich zur vollen Stunde das Figuren-Spielwerk an der Fassade dreht und der goldene Hahn lauthals kräht.

Keinesfalls sollte man im Zusammenhang mit einer Stadtführung die Möglichkeit versäumen, den Zytgloggeturm zu besteigen. Einmal wegen der tollen Aussicht über die Dächer der Stadt und mit etwas Glück auf ein herrliches Alpenpanorama. Hauptsächlich aber, um ein Wunderwerk der Technik zu bestaunen: Das von Caspar Brunner, einem Schmied deutscher Herkunft, nach eigenen Plänen in drei Jahren gebaute Räderwerk der komplett mechanischen Uhr.

Fünf Zytgloggerichter

Der Mann muss ein Genie gewesen sein. Denn bis heute läuft alles perfekt und die ehrenamtlichen Zytgloggerichter müssen nur alle 27 Stunden wieder die fünf schweren Batterie-Steine im Turm an ihren Seilen bis zur Uhrenstube hochziehen. Lediglich bei der Umstellung von Sommer- und Winterzeit haben die fünf Uhren-Richter mehr zu tun.

Berns Wappentier ist der Bär. Doch anders als es die Berliner gerne für sich reklamieren, sieht man ihn nirgendwo steppen. Dafür sind die im stadtnahen »Bärengraben« lebenden Bärendamen Björk und Ursina, aber auch Bär Finn, durchaus eine Touristen- und sonntägliche Familienattraktion. Genauso wie der Hausberg der Berner, der Gurten, der ein beliebtes Wander- und Ausflugsziel ist. Neben Spielplätzen und Riesenrad befindet sich hier eine einladende Gastronomie, dank einer Standseilbahn ist all dies bequem zu erkunden.

Von der Talstation ist es nur ein kleiner Spaziergang bis an die Aare, den mit insgesamt 290 Kilometern längsten Fluss durch die Schweiz. Wobei die Berner das nicht selten reißende Gewässer auf rund zehn Kilometern Länge durch ihre City quasi als Freibad nutzen. Und das, obwohl ihnen am schönen Aare-Ufer auch (kostenlos) das Marzilibad offen steht. Ein wenig Nervenkitzel, trotz des von Artur Kilian Vogel geschätzten Berner »Badewanne-Feelings« muss wohl sein.

Stadtnixen

Besonders Wagemutige – und dies ist für die Hauptstädter ganz normal in einem heißen Sommer – stürzen sich gar von einer der schönen Brücken über die Aare hinein in die Fluten, um sich bis irgendwohin wieder ans sichere Ufer treiben lassen. Und um den erfrischenden Sprung vielleicht gleich mehrmals zu wiederholen. Der Anblick leicht bekleideter Badenixen, die dabei durch die sonst eher behäbige Stadt huschen, mag vielleicht Auswärtige irritieren.

Für echte Berner aber ist die Aare einfach Spaß pur. Und damit dies so bleibt, nutzen viele eine extra Aare-App, die vor großen Strömungen und Gefahren warnt. (GEA)

 

www.bern.com.de www.gurtenpark.chwww.aare.guru