Logo
Aktuell Geschichte

Zickenkrieg um die Gunst des Herzogs von Württemberg

Als Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg im Jahr 1707 auf Druck seiner badischen Gattin die heimlich geschlossene Zweitehe mit der Mätresse Christiane Wilhelmine von Grävenitz auflösen musste, schenkte er ihr Schloss Gomaringen als Abfindung. Doch damit war die Staatsaffäre noch nicht vorbei. Bad Urach war sowohl der Ort des größten Triumphs und der tiefsten Schmach der Frau, die als Inbegriff der Verschwendung galt, aber auch Diplomatin war.

Heimliche Heirat, Prunkvoller Hof, Abfindung und Gefangenschaft. Diese Schlösser stehen für Stationen einer Mätressenkarriere.
Heimliche Heirat, Prunkvoller Hof, Abfindung und Gefangenschaft. Diese Schlösser stehen für Stationen einer Mätressenkarriere. FOTOS: MEYER/ZIMMERMANN/WUSELIG/PR
Heimliche Heirat, Prunkvoller Hof, Abfindung und Gefangenschaft. Diese Schlösser stehen für Stationen einer Mätressenkarriere. FOTOS: MEYER/ZIMMERMANN/WUSELIG/PR

LUDWIGSBURG/GOMARINGEN/BAD URACH. Scheinbar abgelegen liegt das Rittergut Neuhaus bei Starzach-Bierlingen. Manchmal verirren sich ein paar Fahrradfahrer her, erzählte der damals 86-jährige Gutsherr Rudolf von Ow vor einiger Zeit dem GEA. Doch vor 315 Jahren war das Rittergut Schauplatz eines Skandals, der zu diplomatischen Verstimmungen zwischen dem Herzogtum Württemberg und der Markgrafschaft Baden-Durlach führte, in die sich Kaiser Joseph I. aus Wien einschaltete. Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg, der Gründer Ludwigsburgs, heiratete auf dem Rittergut seine Mätresse, Wilhelmine von Grävenitz, obwohl er bereits verheiratet war mit Johanna Elisabetha, der Tochter des Markgrafen Friedrich von Baden-Durlach.

Eine wichtige Rolle bei dem Skandal spielte eine Vorfahrin Rudolf von Ows, Maria Anna Ursula Dorothea von Ruth, eine geborene Von Ow. Die verarmte Adlige hatte den Direktor des Straßburger Domkapitels, Theodor Ruth gegen eine Mitgift von 30.000 Gulden geheiratet. Er versprach sich davon den Adelsbrief. Zum Adelsbrief gehörte ein Gutsbesitz. Da traf es sich gut, dass die Besitzer von Rittergut Neuhaus, die Brüder Reinhard und Christoph Josef von Ow verschuldet waren und als Offiziere in habsburgischen und bayrischen Diensten Krieg führten. Gegen eine Summe von 2.000 Gulden verpfändeten sie um 1700 Neuhaus für 24 Jahre an Maria Anna von Ruth. Die eigentlichen Besitzer des Guts, die Brüder von Ow fielen beide im Spanischen Erbfolgekrieg.

Aufstieg bis zum württembergischen Premierminister

Von Maria Anna von Ruth heißt es in der »Geschichte der Familie von Ow« von 1901, sie habe »am Herzogshof eine gewisse Rolle gespielt« und die »wegen ihrer Schönheit berühmte« Christiane Wilhelmine von Grävenitz veranlasst, von Brandenburg nach Stuttgart zu kommen. Die Historikerin Sybille Oßwald-Bargende schreibt allerdings, Grävenitz wäre in einer Hofintrige von einer Personengruppe ihrem Bruder Friedrich Wilhelm, Hofmarschall Johann Friedrich von Staffhorst und Fürst Friedrich Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen, dem Herzog zugeführt worden. Von Ruths Bruder Reinhard und Friedrich-Wilhelm, von Hohenzollern-Hechingen waren Kriegskameraden , denn beide kämpften in der Schlacht von Friedlingen, in der von Ow fiel und der Fürst von Hohenzollern-Hechingen in Gefangenschaft geriet. Für den Grävenitz-Bruder Friedrich Wilhelm ging das Kalkül seine Schwester zur Geliebten des Herzogs zu machen karrieretechnisch auf, er stieg bis zum württembergischen Premierminister auf.

Um ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Status abzusichern, überredete die Mätresse den Herzog zu einer heimlichen Hochzeit auf dem Gut ihrer Freundin von Ruth. Geschlossen wurde die Ehe laut Ow’scher Familiengeschichte »von einem aus Straßburg stammenden Tübinger Kandidaten«. Bei Oßwald-Bargende heißt es, dass der Herzog »die moralischen Bedenken des Pfarrers Johann Jakob Pfähler mit der Aussicht auf höhere Pfründe besänftigte«. Die Ehe wurde wohl in der heute nicht mehr existierenden Kapelle des Ritterguts Neuhaus geschlossen. Rudolf von Ow berichtet davon, dass jene Kapelle auf alten Bildern des mehrfach umgebauten Guts aus dem 15. Jahrhundert zu sehen sei.

Der Zorn der badischen Ehefrau

Sogenannte morganatische Zweitehen mit Frauen von niederem Adel waren im Absolutismus nicht unüblich, allerdings musste sich die erste Ehefrau damit arrangieren. Eberhard Ludwig hoffte wohl, dass die Ehe zunächst geheim bleiben und sich seine erste Ehefrau dann fügen würde. Doch auch die württembergischen Landstände waren gegen die Ehe. Und der Zorn seines Schwiegervaters, des badischen Markgrafen, war gefürchtet.

Auch hatte Eberhard Ludwig die Rechnung ohne den Ehrgeiz der Wilhelmine von Grävenitz gemacht. Doch die ehrgeizige Frau war nicht zufrieden damit, nur als kurzzeitige Geliebte des Herzogs gesehen zu werden. Sie droht damit, den Herzog zu verlassen, wenn er nicht öffentlich zu ihr stünde. Der Herzog gab nach. In der Uracher Proklamation gab es seine Eheschließung mit der Mätresse bekannt und datierte sie um ein Jahr zurück, um ihr den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben. Beim Kaiser, der als einziger den Reichsgrafentitel verleihen konnte, erreichte er in Verhandlungen, dass die Mätresse zur Reichsgräfin von Urach erhoben wurde, verbunden mit Einkünften von 10.000 Gulden jährlich.

Foto: Gea
Foto: Gea

Mit dem Erhalt des Reichsgrafenbriefs schien Wilhelmine im Dezember 1707 am Ziel zu sein. Doch ihr Glück dauerte nicht lange ...Denn bereits im November 1707 war die Kunde von der heimlichen Heirat nach Durlach an den Hof des Markgrafen gedrungen. Der Vater der betrogenen Herzogin war stinksauer und wollte die Schmach nicht auf sich sitzen lassen. Die Heirat weitete sich zur Staatsaffäre aus. Am Wiener Hof wirkten enge Verwandte der badischen Dynastie auf Kaiser Joseph I. ein. Mit Erfolg. Denn tatsächlich änderte der Kaiser, der eben noch Wilhelmine zur Reichsgräfin erhoben hatte, seine Meinung. Er bildete eine Komission der Kurfürsten, die Eberhard Ludwig von der Annullierung der Ehe überzeugen sollten. Zwar lehnte Georg Ludwig I. von Hannover, der spätere König Georg I. von Großbritannien, eine Annullierung der Ehe seines Kriegskameraden Eberhard Ludwig ab – er selbst hielt sich mit Melusine von der Schulenburg selbst eine Mätresse, ließ jedoch den Liebhaber seiner Frau, Philipp Graf von Königsmarck, ermorden. Doch der Welfenherzog Anton Ulrich von Braunschweig und Landgraf Karl von Hessen-Kassel befürworteten eine Verbannung der Grävenitz aus Württemberg. Auch innenpolitisch geriet Eberhard Ludwig durch die geistlichen und weltlichen Landstände in Bedrängnis, da Zweitehen in Württemberg verboten waren und mit schweren Körperstrafen bestraft wurden. Der Herzog fügte sich zunächst.

Liebesnest in Gomaringen?

Am 18. Juni 1708 erklärte ein württembergisches Ehegericht, das für die Angehörigen der Universität Tübingen zuständig war, die Scheidung. Kaiser Joseph hatte gedroht, der Grävenitz den Reichsgrafentitel zu entziehen, sollte sie Württemberg nicht verlassen. Es wurde ihr jedoch den Adelstitel garantiert, wenn sie ins Schweizer Exil gehen würde. Obendrein erhielt sie als Abfindung 50.000 Gulden, sowie Schloss und Dorf Gomaringen. Noch heute erinnert ihr Monogramm an der Wand des Gomaringer Schlosses, die Buchstaben »GCW« an die Christiane Wilhelmine von Grävenitz. Allerdings tauschte Grävenitz Gomaringen nach ihrer Rückkehr aus dem erzwungenen Exil bereits 1712 gegen Stetten im Remstal ein. Mit diesem Tausch war eine weitere Demütigung der Herzogin verbunden, denn Stetten war aus dem persönlichen Besitz der ehemaligen Herzogin und hätte eigentlich Johanna Elisabeth zugestanden. Wie oft sie nach ihrer Rückkehr aus dem Schweizer Exil tatsächlich in Gomaringen war und ob es als Liebesnest für heimliche Treffen mit dem Herzog diente, bleibt reine Spekulation.

Denn Eberhard Karl konnte nicht von seiner Geliebten lassen und wollte die Demütigung auch nicht auf sich sitzen lassen. Er bastelte an einem Plan, seine Geliebte zurückzuholen. Ein Jahr nach der Trennung starb der badische Markgraf und Schwiegervater. Karl Wilhelm, der Gründer von Karlsruhe, bestieg den Thron in Durlach. Angesichts der drohenden Verwüstungen Badens und Württembergs durch französischen Heere im Spanischen Erbfolgekrieg war er zur Verständigung bereit. In Stuttgart handelten Diplomaten im März 1710 einen Kompromiss aus, der die Rückkehr der Grävenitz ermöglichte. Der Schein sollte gewahrt bleiben. Die Herzogin stimmte einer Versöhnung und Rückkehr ihrer Nebebuhlerin zu, wenn diese verheiratet würde.

War es Liebe oder Hexerei?

Zum zweiten Mal heiratete die Grävenitz auf einem abgelegenen Landgut, dieses Mal Schloss Oberhausen bei Hausen am Tann bei Tieringen im Zollernalbkreis. Eine Gedenktafel am Albtrauf bei Hausen auf dem Weg in Richtung Obernheim erinnert noch heute an die Scheinehe mit dem älteren Kammerherren Johann Franz Ferdinand Graf von Würben und Freudenthal. Graf von Würben hatte hohe Spielschulden. Durch die Ehe konnte er sie bezahlen und stieg zum Landhofmeister auf. Die Grävenitz wurde Landhofmeisterin und residierte in Ludwigsburg. Ihr Vorbild war die französischen Mätresse Francoise d’ Aubigne, genannt Marquise de Maitenon, die an allen Kabinettssitzungen des Sonnenkönigs teilnahm. So war auch die Grävenitz Mitglied im Konferenzministerium, dem obersten Regierungsgremium. Als Beraterin verhandelte sie über zwanzig Jahre hinweg für das zwischen Habsburg und Frankreich in die Enge getriebene Württemberg. Auch zahlreiche Verwaltungsreformen scheinen ihr beeinflusst worden zu sein. Sie häufte während ihrer 20 Jahre als Mätresse zahlreiche Güter an, darunter Brenz, Gochsheim und Welzheim. Ihr Bruder stieg zum Premierminister auf und auch dessen Söhne machten am Hof als Stallmeister Karriere.

Foto: dpa
Foto: dpa

Wilhelmine wusste, dass sie von der Gunst des Herzogs abhing und ihre Schönheit ihr Kapital war. Deshalb ließ sie sich Schönheitsmittelchen mit Zutaten wie Regenwürmern und Blut anrühren. Das verriet eine Kammerdienerin der Herzogin, die ihre Nebenbuhlerin der Hexerei bezichtigte. Durch Hofprediger Samuel Urlsperger ließ die Herzogin die Nebenbuhlerin verhören. Doch als der Herzog davon hörte, ließ er Urlsperger und die Dienerin einkerkern. Auch der Tübinger Theologe Johann Osiander mochte die Mätresse nicht. Auf die Bitte Wilhelmines hin, sie in seine Gebete einzuschließen, antwortete er, dass ihr in jedem Gottesdienst im Vaterunser gedacht werde – in den Worten »Erlöse uns von dem Übel«.

Mätresse ist Schuld an Staatsfinanzen

Von Klerus und Volk wurde die Grävenitz zur Sündenböckin für den Lebensstil des Herzogs gemacht. Allein der Bau des Residenzschloßes Ludwigsburg verschlang Unsummen. Weil Kritik am Herrscher tabu war, lastete man die maroden Staatsfinanzen der Mätresse an.

Nach dem Tod des Kronprinzen Friedrich Wilhelm fiel die 46-jährige Mätresse 1731 in Ungnade. Weil der Kronprinz und dessen Sohn gestorben waren, drohte der Thron an den katholischen Karl Alexander von Württemberg-Winnental zu fallen. Eberhard Ludwig wollte sich mit seiner Gattin versöhnen und einen evangelischen Thronfolger zeugen. Wilhelmine wurde auf ihr Gut Freudenthal verbannt, kam jedoch immer wieder nach Stuttgart um sich mit dem Herzog zu versöhnen. Der wohl unter einer psychosomatischen Störung leidende Herzog, fühlte sich aber nun von seiner langjährigen Geliebten »verhext«. 1732 ließ er Truppen nach Freudenthal marschieren und seine ehemalige Mätresse zunächst in Cannstatt, später auf dem Hohenurach gefangen setzen.

Da Freudenthal jedoch kein Teil Württembergs, sondern als reichsunmittelbares Territorium direkt dem Kaiser unterstellt war, stellte die Gefangennahme einen Rechtsbruch dar. Der Kaiser griff ein. Es wurde ausgehandelt, dass die Grävenitz nach Berlin ins Exil gehen konnte und für ihre eingezogenen Güter 125.000 Gulden Entschädigung bekam. Die Summe ermöglichte ihr ein Leben in Wohlstand am Berliner Hof des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm. Sie starb 1744 und wurde in der Berliner Nikolaikirche begraben. In ihrem Epitaph steht: Hier liegt ein Gott versöhntes Kind/In Christi Blut gebunden/ Dem Gott geschenkt all seine Sünd/ durch Christi Tod und Würden. (GEA)