BERLIN. Der Höhenflug der Linkspartei hält an. Der Co-Vorsitzende Jan van Aken erklärt im Interview, was noch alles kommen kann, warum an Bürokratie und Airbnb nicht alles schlecht ist.GEA: Herr van Aken, Sie sind für Die Linke in die Bütt gestiegen, als es düster aussah und es nur noch wenig Hoffnung gab. Ihre Partei hat das Wahl-Wunder geschafft und ist überraschend stark in den Bundestag eingezogen. Werden Sie sich nun um den Fraktionsvorsitz bewerben?
Jan van Aken: Über Personalfragen rede ich nicht öffentlich.
Gibt es schon einen Zeitplan, wann die neue Fraktionsspitze bestimmt wird?
Van Aken: Wir haben so viele neue Leute im Bundestag, die müssen sich erst mal kennenlernen. Das läuft ganz entspannt. Heidi Reichinnek und Sören Pellmann machen jetzt erst mal an der Fraktionsspitze weiter. Entweder vor oder nach der Sommerpause werden wir dann die Fraktionsvorsitzenden neu wählen.
Die Linke kommt in einer neuen Forsa-Umfrage auf 11 Prozent, die Grünen stehen bei 12, die SPD bei 14 Prozent. Können Sie sich vorstellen, stärkste Kraft im linken Spektrum zu werden?
Van Aken: Ja, das ist unser Ziel. Nicht in den nächsten sechs Monaten oder nicht im nächsten Jahr. Aber für die Bundestagswahl in vier Jahren haben wir uns vorgenommen, auf jeden Fall unser bisher bestes Ergebnis von 2009 zu toppen. Damals haben wir 11,9 Prozent geholt.
»Warum sollten wir dann nicht stärkste Partei links von der CDU werden?«
Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass das glücken kann?
Van Aken: Weil wir in so vielen Punkten der großen Mehrheit aus dem Herzen sprechen. Diese Mehrheit will die Ellenbogengesellschaft nicht, dieses Gegeneinander. Viele Menschen haben Angst, dass die Gesellschaft auseinanderfällt, politisch und sozial. Dagegen haben wir Rezepte.
Zum Beispiel?
Van Aken: Die steigenden Mieten sorgen für Verzweiflung und dagegen wollen wir den Mietendeckel durchsetzen. Wir kämpfen für höhere Renten und eine Aufstockung des Mindestlohns. Wenn wir das in einer Sprache tun, die die meisten Menschen verstehen, warum sollten wir dann nicht stärkste Partei links von der CDU werden?
In ihrem Leitantrag für den Parteitag im Mai heißt es: Die Linke muss eine organisierende Klassenpartei werden, die die vielfältige Mehrheit der Menschen anspricht und an ihrer Seite für ihre Interessen eintritt. Mit Verlaub, das klingt sehr nach SED und DDR.
Van Aken (lacht): Den Vorwurf haben wir auch im Parteivorstand gehört. Und deswegen haben wir in den Leitantrag auch genau reingeschrieben, was wir damit meinen. Im Englischen ist der Begriff »Working Class« nach wie vor gebräuchlich, bei uns in Deutschland nicht mehr.
Existiert diese Arbeiterklasse noch?
Van Aken: Wir meinen die lohnabhängig Beschäftigten, die einem bestimmten Druck seitens des Arbeitgebers unterliegen. Natürlich bestehen große Unterschiede, je nachdem, ob jemand 8.000 Euro brutto verdient oder 2.000. Aber die allermeisten haben eben nicht 8.000 Euro. Und deren Partner wollen wir sein, die wollen wir unterstützen. Wenn sie einen Betriebsrat gründen wollen. Wenn sie sich gegen Wuchermieten wehren wollen. Das ist die organisierende Klassenpartei, von der wir sprechen.
Hinter diesem Klassenbegriff scheint der Gegensatz zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden auf. Wir dachten, Die Linke hätte 25 Jahre nach der Wende ihren Frieden mit der Sozialen Marktwirtschaft gemacht?
Van Aken: Wir sind eine sozialistische Partei. Wir sind die Verteidigerin des Sozialstaats, aber da bleiben wir nicht stehen. Ein Beispiel: Wir wollen den Mietendeckel bundesweit einführen. Das ist Sozialstaat. Aber wir wollen einen sozialen Wohnungsbau in genossenschaftlicher und kommunaler Hand. Investoren sollen kein Geld mehr mit dem Bau von Wohnungen machen. Das ist ein Schritt weiter als Sozialstaat. Und der dritte Schritt ist: Grund und Boden sollen nur noch in öffentlicher Hand sein, weil das eine absolut begrenzte Ressource ist. Alle bekommen Land nur noch auf Erbpacht zur Verfügung gestellt: Sie können darauf bauen oder Landwirtschaft betreiben. Aber Erbpacht ist kein Privatbesitz. Das ist sozialistisch.
Man könnte die Unternehmen vergesellschaften.
Van Aken: Nicht das Unternehmertum insgesamt. Aber wir haben dazu einige konkrete Punkte im Wahlprogramm gehabt. Uns geht es um Wohnungsbaugesellschaften mit mehr als 3.000 Wohnungen. Es ist nicht richtig, dass mit Wohnungen, in denen Menschen leben müssen, an der Börse spekuliert wird.
Viele Wohnungen werden inzwischen für Feriengäste untervermietet und damit dem Wohnungsmarkt entzogen. Was halten Sie von Unternehmen wie Airbnb?
Van Aken: Ich finde es völlig in Ordnung, wenn man vier Wochen in Urlaub fährt und dann die Wohnung vermietet. Da geht kein Wohnraum verloren. Ich war kürzlich in Genf bei einer Abrüstungskonferenz und habe selbst Airbnb genutzt. Die Wohnung gehört jemandem, der bei der Uno arbeitet und zu dem Zeitpunkt unterwegs war. Ich nutzte allerdings nie Angebote von Superhosts. Die haben mehrere Wohnungen. Da wird Wohnraum zweckentfremdet, das muss verboten werden.
»Es ist nicht richtig, dass mit Wohnungen an der Börse spekuliert wird«
Im Wahlprogramm der Linken war die Klage über ein Zuviel an Bürokratie im Vergleich zu anderen Parteien am kleinsten. Warum?
Van Aken: Es gibt bürokratische Dinge, die wirklich unsinnig sind. Aber das, was FDP und CDU mit überbordender Bürokratie meinen, hat was mit dem Schutz von Menschen zu tun. Nehmen Sie die Mindestlohnkontrolle. Die Betriebe müssen die Arbeitsstunden dokumentieren. Das ist Bürokratie, ja. Aber sie verhindert, dass der Mindestlohn unterlaufen wird. Es gibt also neben der völlig verfehlten Bürokratie auch eine, die richtig und wichtig ist.
Sie treten für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Krieges ein. Herr Trump redet mit Herrn Putin, beide wollen die Welt in Einflusssphären aufteilen. Ist es das, was Sie sich vorgestellt haben?
Van Aken: Nein. Es gibt einen Satz von Trump, über den kaum berichtet worden ist. Er wäre dafür, sagte er, dass China, Russland und die USA ihre Militärausgaben halbieren. Hört sich super an, aber dahinter steckt, dass die drei Staaten das unter sich ausmachen. Das ist sein Weltbild und etwas, was uns am meisten Sorgen machen muss. Drei Weltmächte, die sich den Globus aufteilen. Doch dann stoßen ihre Grenzen aneinander. Und wenn zwei Nationalisten Grenzprobleme kriegen, bedeutet das Krieg.
Die Folge ist, dass die europäischen Armeen massiv aufrüsten. Sie sind dagegen. Warum?
Van Aken: Die richtige Frage ist: Wofür wird das Geld verwendet? Wenn es für die Landesverteidigung ist, bin ich dabei. Dafür brauchen wir allerdings kein zusätzliches Geld. Da reichen die rund 50 Milliarden aus dem laufenden Haushalt völlig aus. Vermutlich kann es deutlich weniger sein. Wenn es allerdings darum gehen soll, dass wir auch global mitmischen und zur vierten Weltmacht aufsteigen wollen, dann ist das grundfalsch. Diese Frage nach dem Wofür wird leider nirgendwo beantwortet. Deswegen ist diese ganze Diskussion völlig verlogen.
Kann man Russland und Wladimir Putin trauen?
Van Aken: Nein. Vertrauen muss man erst mühsam wieder aufbauen. (GEA)
ZUR PERSON
Jan van Aken wurde am 1. Mai 1961 in Reinbek geboren. Der promovierte Biologe war einige Jahre lang Gentechnikexperte und Aktivist bei Greenpeace, danach Biowaffeninspekteur für die UN. Im Jahr 2009 wurde er Mitglied des Bundestages für die Partei Die Linke und blieb dort zwei Legislaturperioden. Seit Oktober letzten Jahres ist er Co-Vorsitzender der Linkspartei. (GEA)