REUTLINGEN. Jürgen Trittin ist der Mann, der uns als Umweltminister einst das Dosenpfand bescherte und den Atom-Ausstieg. Seit vielen Jahren gilt der heute 55-Jährige als »grünes Alphatier« - am kommenden Dienstag spricht er in Reutlingen (Uhlandhöhe, 20 Uhr) über den »Neuen grünen Gesellschaftsvertrag«. Wie sieht das soziale Programm der Ökopartei aus? Wie soll es in Afghanistan weitergehen? Was wusste Jürgen Trittin über Manipulationen beim Gutachten über das Atom-Endlager Gorleben? GEA-Redakteurin Bettina Jehne hat mit dem Grünen-Spitzenkandidaten gesprochen.
GEA: Herr Trittin, Sie sind stolze 1,96 Meter groß. Welcher Ministerstuhl würde denn zu Ihnen passen, sollten es die Grünen nach der Bundestagswahl in die Regierung schaffen?
Jürgen Trittin: Für mich gilt der alte Grundsatz: Man soll das Fell des Bären nicht verteilen, bevor man ihn erlegt hat. Wir Grünen sind ja nicht die CSU und auch nicht die FDP, die heute schon so tun, als hätten sie die Wahl gewonnen, und sich darüber streiten, wer welche Posten kriegt. Dieses Verhalten ist eine Beleidigung der Wähler.
»Wir haben immer geahnt, dass bei Gorleben nicht alles mit rechten Dingen zugeht«
Die Spatzen pfeifen’s von den Dächern: Sie wären gerne Außenminister. Für diesen Job hat sich aber schon FDP-Chef Guido Westerwelle beworben. Sorge, dass er den Posten kriegt?
Trittin: Vor allem muss Herr Westerwelle Sorge haben - dass er nämlich erneut in der Opposition landet. So einfach wird das nicht mit Schwarz-Gelb. Die CDU hat in den letzten Jahren, seit Angela Merkel Kanzlerin ist, bei jeder Landtagswahl und bei der Europawahl massiv an Wählerstimmen verloren, 14 Mal in Folge. Sie wird enorme Probleme haben, ihr Ergebnis vom letzten Mal überhaupt zu erreichen - das waren gerade mal 35 Prozent. Damit wird es sehr eng für die FDP.
Welche Konkurrenz fürchten Sie mehr: die FDP oder die Linke?
Trittin: Überhaupt keine. Konkurrenz stachelt uns an. Manchmal sind wir erschüttert über die Schwäche der Konkurrenz. Das gilt zum Beispiel für die Linke. Die Linke hat bei der Landtagswahl im Saarland ein gutes Ergebnis erzielt. Sie hat gleichzeitig erklärt, sie würde bei der Bundestagswahl zwar antreten, aber auf keinen Fall regieren wollen. Die Linke ist damit die einzige Partei, die sagt, wir kandidieren - aber wer dieses Land regiert, ist uns eigentlich egal. Sie ebnet damit den Weg für die Große Koalition. Ich bin der Auffassung, man muss die Große Koalition beenden und Schwarz-Gelb verhindern.
Die Grünen haben auf Bundesebene ein Jamaika-Bündnis ausgeschlossen, sich aber ansonsten alle Optionen offen gelassen. Haben Sie Mitleid mit dem Wähler, der grün wählt, aber nicht weiß, was er dazubekommt?
Trittin: Er weiß, was er bei Grün bekommt. Er kriegt grüne Inhalte.
Die Grünen-Forderungen sind bekannt: mehr Kitas, längeres gemeinsames Lernen, der Ausstieg aus der Atomkraft, eine Million neue Arbeitsplätze durch Investitionen in Klima, Bildung und Gerechtigkeit. Habe ich was vergessen, was Ihnen besonders am Herzen liegt?
Trittin: Ja. Zum Beispiel müssen wir eines der Haupt-Integrationshindernisse in diesem Land beenden, nämlich das Verbot der doppelten Staatsangehörigkeit. Denn das führt dazu, dass akut einer ganzen Generation von jungen Menschen mit Migrationshintergrund droht, ausgebürgert zu werden.
Haben die Grünen, gerne als Partei der Intellektuellen mit gefülltem Geldbeutel bezeichnet, auch ein Herz für den kleinen Mann?
Trittin: Wir wollen unmittelbar nach der Wahl den Regelsatz fürs Arbeitslosengeld II von 351 auf 420 Euro anheben. Wir wollen Geringverdiener entlasten durch Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Dadurch können wir 200 000 Menschen aus der Schwarzarbeit in reguläre Beschäftigungsverhältnisse bringen. Wir wollen - was in ganz Europa schon längst die Praxis ist - endlich einen gesetzlichen Mindestlohn haben. Es muss Schluss damit gemacht werden, dass eine Million Menschen arbeiten und gleichzeitig Arbeitslosengeld II beziehen; sprich, dass wir mit Steuergeldern ausbeuterische Arbeitsverhältnisse mit Stundenlöhnen von drei Euro und weniger finanzieren.
Sie waren in der rot-grünen Regierung Umweltminister. Wussten Sie nichts von den Manipulationen bei der Atom-Endlagersuche und dem Druck auf die Gorleben-Gutachter?
Trittin: Wir Grünen haben immer geahnt, dass bei der Entscheidung für Gorleben nicht alles mit rechten Dingen zuging. Dass man das jetzt in Akten nachlesen kann, hätte ich mir allerdings nicht träumen lassen. Ich habe später als Umweltminister einen Baustopp verhängt, weil in Gorleben ohne atomrechtliches Genehmigungsverfahren gebaut wurde. Ich habe zudem ein Gesetz fertig gemacht, das die Auswahl eines Endlager-Standortes auf eine rechtlich einwandfreie Grundlage stellt. Dieser Gesetzentwurf ist von der Großen Koalition blockiert worden, vorneweg auch von den Landesregierungen von Baden-Württemberg und Bayern. Also von den Ländern, die für eine Verlängerung der Laufzeiten und damit eine Vermehrung des Atommülls plädieren.
Die Grünen streiten sich, wenn es um das Bundeswehr-Engagement in Afghanistan geht. Was vertritt Ihre Partei, sollte sie mitregieren?
Trittin: Das Problem von Afghanistan ist, dass man weder mit der einfachen Lösung »Wir ziehen morgen ab« weiterkommt - das ist eine Veräppelung des Publikums -, noch mit der Politik des Durchwurstelns der Großen Koalition. Wir brauchen einen klaren Aufbauplan mit überprüfbaren Zwischenzielen - und eine Abzugsperspektive. Der Aufbauplan muss in der nächsten Legislaturperiode dann endlich umgesetzt werden, um die Grundlagen für einen verantwortungsvollen Abzug zu schaffen.
In Ihrer Amtszeit kam es zur Ökosteuer und zum Erneuerbare-Energien-Gesetz. Auch das Dosenpfand ist ihr Baby. Ganz unter uns: Nie heimlich im Ausland genüsslich eine Dose Cola oder Bier am Strand bei untergehender Sonne getrunken?
Trittin: Es gibt sicher Länder, wo man Getränke nur aus solchen unökologischen Verpackungen bekommt. Aber auch da gilt »Rückgabe und Recycling«. Damit man das in Deutschland nicht vergisst, gibt es hier eben auf die Dose ein Pfand.
Und aus Bequemlichkeit doch mal eine Dose weggeworfen?
Trittin: Kann mich nicht daran erinnern. Ich pflege als Wanderer alles, was ich in die Natur mitnehme, wieder mitzubringen. (GEA)
