WASHINGTON. Auch mehr als eine Woche nachdem Joe Biden in der TV-Debatte gegen Herausforderer Donald Trump verwirrt wirkte, debattiert Amerika, ob der 81-Jährige noch fit genug für die Präsidentschaft ist. In dieser Woche werden zwei Dinge Druck auf Biden aufbauen. Zum einen kehrten die Parlamentarier am Montag zu einer Sitzungswoche in die Hauptstadt zurück. Zum anderen findet ab Mittwoch in Washington ein Nato-Gipfel statt, bei dem der Präsident ganz genau beobachtet wird. Wie lange hält Joe Biden noch durch? Die wichtigsten Antworten.
- Was sagt Biden selbst?
»Sollte der Herrgott herabkommen und sagen ›Joe, zieh dich aus dem Rennen‹, würde ich mich aus dem Rennen zurückziehen«, sagte Biden in einem Fernsehinterview mit ABC News. »Aber der Herrgott kommt nicht herab.« Allerdings warf auch das 22-minütige Interview, das als Antwort auf die TV-Debatte gedacht war, Fragen auf. Biden war oft schlecht zu verstehen und antwortete teilweise nicht genau auf die Fragen. Seine Performance in der Debatte erklärte Biden mit einem »schlechten Tag«, einer Erkältung, Müdigkeit und Jetlag. Als Reaktion auf die Performance nach der TV-Debatte hatte Biden erst sechs Tage nach der Debatte Verbündete zu sich gerufen, um sie bei der Stange zu halten. Darunter waren der Einpeitscher der Demokraten im Repräsentantenhaus Jim Clyburn und Nancy Pelosi, die einflussreiche ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses. Beide sind Jahrgang 1940, also bereits rund zwei Jahre älter als Biden. Zwar unterstützten sie hinterher in ihren Statements den Präsidenten, Pelosi bekundete, dass die Frage legitim sei, ob Bidens schlechte Debatten-Performance »Episode oder Zustand« sei.
- Hat Biden früher schon gepatzt?
Warum wurde Joe Biden, der 1972 zum jüngsten US-Senator gewählt wurde, erst im hohen Alter Präsident? Weil er, der von Kindheit an gegen ein Stottern ankämpfte, bereits in der Vergangenheit für seine Patzer bekannt war. 1988 wurden ihm gute Chancen auf eine Präsidentschaftskandidatur seiner Partei eingeräumt. Bis zu einer Rede, in der Biden davon erzählte, wie er als Arbeiterkind und Nachfahre von Bergleuten als Erster in seiner Familie studieren konnte. Das Dumme daran war, dass die Passage vom britischen Labour-Politiker Neil Kinnock abgeschrieben war. Kinnock ist ein Bergarbeitersohn, Biden ist jedoch der Sohn eines Autohändlers und auch nicht der erste Uniabsolvent der Familie. Zwar argumentierte Bidens Team anschließend mit einem Ur-Großvater, der in einer Mine gearbeitet habe, aber es tauchten immer neue Plagiate in Bidens Reden auf und auch, dass er an der Universität wegen eines Plagiats die Note F (entspricht einer Note 6) bekommen hatte. Während seiner Präsidentschaft blieben mehrere Stotterer und Aussetzer in Erinnerung. Am heftigsten diskutiert wurde 2022 der Satz »Wo ist Jackie?«. Biden begrüßte bei einem Spendendinner die Abgeordnete Jackie Walorski, die Wochen zuvor bei einem Autounfall verstorben war. Auch im Bericht zur Aufbewahrung geheimer Dokumente war Biden in einigen Augen als »wohlmeinender Mann mit schlechtem Gedächtnis« dargestellt worden.
- Was sagt Bidens Partei?
Viele Demokraten wünschen sich seit Längerem einen jüngeren Kandidaten. Allerdings will keiner der Königsmörder sein. Fünf Abgeordnete wagten sich am Freitag aus der Deckung und forderten einen Rückzug Bidens. Viele der Demokraten, die in Wahlkreisen kandidieren, in denen ein knapper Wahlausgang erwartet wird, fürchten um ihren Sitz. Allerdings seien die Umfragen derzeit noch so, dass viele Kandidaten in den Umfragen noch besser abschneiden als der Präsident. »Sollten sich diese Umfragen ändern, entstünde ein noch größerer Druck auf Biden«, meinen politische Beobachter in einem Podcast des unabhängigen National Public Radio (NPR). Hakeem Jeffries, Pelosis Nachfolger als Fraktionsvorsitzender der Demokraten (Minority Leader) im Repräsentantenhaus, versammelte am Sonntag seine Abgeordneten zu einer Videokonferenz. Dabei sollen sich laut CNN mehrere Abgeordnete für einen Rückzug Bidens ausgesprochen haben. Jeffries selbst habe nicht erkennen lassen, ob er eine Kandidatur Bidens weiterhin unterstützt oder nicht. In mehreren demokratischen Chatgruppen habe es einen Konsens darüber gegeben, dass Biden zurücktreten und Vizepräsidentin Kamala Harris die Kandidatur überlassen solle, berichtet CNN. Harris könne möglicherweise junge und progressive Wähler, bei denen sich Biden schwertue, besser begeistern, heißt es in der Partei. Allerdings sind nicht alle Demokraten von Harris überzeugt. Im NPR-Podcast berichteten die Korrespondenten, dass viele Demokraten von einer Lose-Lose-Situation sprechen, weil sie weder Biden noch Harris zutrauen, die Wahl zu gewinnen. David Axelrod, der ehemalige Chefstratege von Barack Obama, nannte Biden auf X »gefährlich abgehoben von den Bedenken der Menschen über seine Gesundheit«. Auf CNN erläuterte Axelrod, dass das Alter und die Gesundheit Bidens das Thema im Wahlkampf sein würden und nicht die Gefahr, die eine erneute Trump-Präsidentschaft für die Demokratie darstelle. Ein Erdrutschsieg Trumps sei nach den derzeitigen Umfragen deutlich wahrscheinlicher als ein knapper Sieg Bidens. Gerade weil so viel auf dem Spiel stehe, müsse sich Biden zurückziehen und das Narrativ im Wahlkampf ändern.
- Was sagen die Ärzte?
In einem sechsseitigen Bulletin, das der Arzt Kevin O’Connor nach einer Untersuchung Bidens veröffentlichte, werden verschiedene Gebrechen aufgelistet. Darunter sind ein »steifer Gang« wegen »allgemeiner Abnützung der Wirbelsäule« und »besondere Beschwerden in der linken Hüfte«. Auch von einer Schlafapnoe ist die Rede, weshalb Biden seit Jahren nur mit Maske schlafe. Eine Schlafapnoe bedeutet, dass er immer wieder Atemaussetzer im Schlaf hat. Das führt dazu, dass Betroffene häufig kaum erholsamen Schlaf finden. Biden leidet außerdem unter der Refluxkrankheit, einer Verdauungserkrankung, wegen der er sich immer wieder räuspern und husten muss. Der Bericht betont, dass es keine Anzeichen für Schlaganfälle, Parkinson oder Demenz bei Biden gebe. »Er hat keinen Tremor«, betonte O’Connor. Zuletzt gab es Berichte darüber, dass Kevin Cannard, ein Parkinson-Spezialist, mehrfach im Weißen Haus war und Biden untersuchte. O’ Connor bestätigte dies, sagte aber, Cannard sei seit 2012 neurologischer Berater im Weißen Haus und habe lediglich eine neurologische Untersuchung durchgeführt. Einen kognitiven Test, zu dem ihn Donald Trump aufforderte, lehnt Biden ab. Trump blamierte sich allerdings bei dieser Forderung, weil er den Namen des Arztes verwechselte, bei dem er selbst diesen Test gemacht hatte. Es war der texanische Republikaner Ronny Jackson, den Trump »Ronny Johnson« nannte.
- Wie reagieren die Wahlkampf-Spender?
Zuletzt gab es immer mehr Berichte darüber, dass sich Spender von Biden zurückziehen, während Trump zunehmend auch im Silicon Valley und in der Kryptoszene, wo er sich zuvor schwertat, Unterstützer sammelte. »Kein Wunder«, sagte ein Investor dem Handelsblatt. »Es ist in Amerika ganz normal, dass man an den Kandidaten spendet, den man für den wahrscheinlichen Gewinner hält.«
- Wer könnte Biden von einem Rückzug überzeugen?
Biden scheint sich seit dem Interview hauptsächlich von seiner Familie, also seiner Frau Jill Biden und seinem Sohn Hunter Biden, beraten zu lassen. Ehefrau Jill ist seine engste Beraterin und koordiniert seine Pressekonferenzen. Der Schweizer Psychoanalytiker Jürg Acklin spekulierte in der NZZ darüber, warum sie ihn nicht von einem Rücktritt überzeugt: »Wir haben keinen Einblick in die Ehe der Bidens. Vielleicht fürchtet Jill den Verlust von Macht und Bedeutung«, sagt Acklin. »Wenn sie es tun würde, um ihre eigenen narzisstischen Wünsche zu befriedigen, dann wäre es ein Missbrauch«, so Acklin.
- Wie ist Bidens Verhältnis zu den Obamas?
In einigen Beiträgen heißt es, dass Barack und Michelle Obama Biden von einem Rückzug überzeugen sollten. Dabei gilt insbesondere das Verhältnis zwischen Jill Biden und Michelle Obama laut einem Bericht des Online-Portals Axios als angespannt. Michelle Obama ist eine enge Freundin von Kathleen Buhle, der Ex-Ehefrau von Bidens Sohn Hunter, der unter anderem wegen Drogenkonsum und falschen Angaben dazu beim Kauf einer Waffe verurteilt wurde. Während der chaotischen Scheidung, bei der eine Affäre und Drogenmissbrauch eine Rolle spielten, hielt Obama zu Buhle, während Mitglieder der Biden-Familie Hunters Ex-Frau dafür verantwortlich machten, schmutzige Details über Hunter an die Presse durchzustechen. Die Biden-Familie ist außerdem enttäuscht über die wenig enthusiastische Unterstützung der Obamas im Wahlkampf. Auch trage Joe Biden Obama nach, dass er 2015 Hillary Clinton und nicht ihn, seinen Vize-Präsidenten, für die Kandidatur unterstützt habe. In verschiedenen Online-Portalen wird deshalb spekuliert, dass Jill Biden ihren Mann unbedingt im Rennen halten will, um eine Kandidatur von Michelle Obama zu verhindern. Dagegen spricht, dass Michelle Obama es bisher in allen Interviews abgelehnt hat, eine politische Karriere anzustreben und als Präsidentin ins Weiße Haus zurückkehren zu wollen.
- Wer könnte Biden ersetzen?
Auffällig ist, dass Biden sich zuletzt recht oft mit Vizepräsidentin Kamala Harris zeigte. Auch machte Bidens Wahlkampfmanagerin Julie Chavez Rodriguez deutlich, dass die von Biden bis jetzt gesammelten Spenden an Harris gehen würden, sollte sich Biden zurückziehen. Sollte ein anderer Ersatzkandidat werden, muss die Partei das Geld an die Spender zurücküberweisen, weil ja Biden/Harris auf dem Kampagnenticket gestanden habe. Es deutet vieles darauf hin, dass Biden bei einem Rückzug Harris bevorzugen würde. Außer Michelle Obama und Harris werden die Gouverneure Gretchen Whitmer und J.B. Pritzker gehandelt. Für Gretchen Whitmer spricht, dass sie Gouverneurin im wichtigen Swing State Michigan ist. Für den Gouverneur von Illinois Pritzker spricht, dass er mit einem Vermögen von 3,2 Milliarden US-Dollar so reich ist, dass er einen Wahlkampf selbst bezahlen könnte. (GEA)