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Aktuell Eskalation

Wasser ist für Pakistan Kriegsgrund

Indien setzt nach dem Anschlag in Kaschmir den Indus-Wasservertrag aus. Nationalismus und Terrorismus

Indische Aktivisten verbrennen Fahnen und rufen Slogans gegen Pakistan während eines Protestes gegen den Terroranschlag von Paha
Indische Aktivisten verbrennen Fahnen und rufen Slogans gegen Pakistan während eines Protestes gegen den Terroranschlag von Pahalgam in Kaschmir, der eine neue schwere Krise zwischen Indien und Pakistan heraufbeschworen hat. FOTO: ANAND/AP/DPA
Indische Aktivisten verbrennen Fahnen und rufen Slogans gegen Pakistan während eines Protestes gegen den Terroranschlag von Pahalgam in Kaschmir, der eine neue schwere Krise zwischen Indien und Pakistan heraufbeschworen hat. FOTO: ANAND/AP/DPA

ISLAMABAD/REUTLINGEN. Der Dauerkonflikt zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir droht nach dem tödlichen Anschlag auf Touristen im indischen Teil wieder zu eskalieren. Pakistan befürchtet einen indischen Militärschlag. Der Konflikt ist ein Erbe der britischen kolonialen Hinterlassenschaft, als sich Pakistan und Indien 1947 in einen muslimischen und einen überwiegend hinduistischen Staat teilten. Um Kaschmir entbrannte sofort ein Krieg, der 1949 mit der Festlegung einer Demarkationslinie, der »Line of Control« endete.

Um Kaschmir ging es auch in den beiden Kriegen 1965 und 1999. Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan ist umso gefährlicher, als beide im Besitz von Atomwaffen sind. Was Pakistan angeht, das militärisch schwächer und wesentlich kleiner als Indien ist, besteht die Gefahr, dass Islamabad – in die Enge getrieben – zur Atomwaffe greifen könnte. Wo die »Schmerzgrenze« liegt, ist unklar.

Seit 1984 stehen sich am Siachen-Gletscher im Dreiländereck zwischen Pakistan, Indien und China indische und pakistanische Soldaten in einer Hochgebirgskulisse von Siebentausendern gegenüber. Sie liefern sich dort, wo der Verlauf der Line of Control nicht konkret bestimmt wurde, einen Stellungskrieg. Der längste Gletscher des Karakorum ist eine der großen Wasserquellen im Himalaya. Weit unten liegt das umstrittene Kaschmir.

2019 sah es wieder nach einem Krieg aus, als der hindu-nationalistische Premierminister Narendra Modi den Artikel 370 aus der indischen Verfassung streichen ließ, der dem indischen Teil von Kaschmir seit 1947 einen weitgehenden Autonomiestatus gewährte. Denn dort leben überwiegend Muslime. Nun wurde Kaschmir in die Unionsterritorien Jammu und Kaschmir sowie Ladakh geteilt.

Islamistischer Terror

Damit änderte sich schon 2019 die rechtliche Situation für das bisherige Territorium und für den Indus-Wasservertrag aus dem Jahr 1960. Neu-Delhi setzt Islamabad in der Wasserfrage nun weiter unter Druck. Die pakistanische Regierung reagiert heftig. Der jüngste Angriff in Kaschmir mit 26 Toten ist der folgenschwerste seit langer Zeit. Als Reaktion darauf hat Indien unter anderem den Indus-Wasservertrag ausgesetzt. Pakistan sieht das als einen kriegerischen Akt, denn in dem Abkommen wird die Wasserverteilung geregelt. Islamabad befürchtet, dass Indien neue Tatsachen schaffen könnte. Indien, das ohnehin eine halbe Million Soldaten in Kaschmir stehen hat, entsandte weitere Soldaten.

Neu-Delhi unterstellt Pakistan, dass es Gruppen wie die für diesen jüngsten Anschlag verantwortliche »The Resistance Front« (TRF) unterstützt. Die TRF ist eine Abspaltung der global operierenden islamistischen Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba (»Armee der Reinen«). Lashkar ist 1987 während der sowjetischen Afghanistankrieges vom pakistanischen Geheimdienst ISI aufgebaut worden. Später erklärten sie die Befreiung des indischen Teils von Kaschmir zum Ziel. Lashkar operiert von pakistanischem Territorium aus. Die Terrorgruppe ist auch für den Anschlag im indischen Mumbai im November 2008 verantwortlich, bei dem über 170 Menschen getötet und über 300 verletzt wurden. Indien protestierte immer wieder gegen die Unterstützung der Terrorgruppe durch Pakistan.

Die TRF geben sich seit der Aufhebung der Autonomie im indischen Teil von Kaschmir einen säkularen Anstrich. Zuletzt kamen bei einem Anschlag auf einen Bus mit Hindu-Pilgern Mitte 2024 neun Menschen ums Leben. Zwei der vier TRF-Attentäter des jüngsten Anschlags sollen aus Pakistan stammen, zwei aus dem indischen Teil von Kaschmir.

Der Kaschmir-Konflikt

Als London Britisch-Indien 1947 in die Unabhängigkeit entließ und Indien und Pakistan sich trennten, wurde das mehrheitlich muslimische Jammu und Kaschmir noch vom hinduistischen Maharadscha Hari Singh regiert. Singh wollte die Unabhängigkeit von Kaschmir bewahren, doch Pakistan wollte den Anschluss des Fürstentums an Pakistan auch durch die Unterstützung von aufständischen Muslimen in Kaschmir erzwingen. Daraufhin wandte sich Singh um Hilfe an Indien. Neu Delhi half, aber dafür musste sich der Fürstenstaat Indien anschließen. Singh willigte noch 1947 ein.

Das wollte Pakistan so nicht hinnehmen. Es kam zu einem kurzen und heftigen Krieg, der am 1. Januar 1949 mit einem von der UNO vermittelten Waffenstillstand und der faktischen Teilung von Kaschmir endete. Die Waffenstillstandslinie wird seit 1951 von der UNIMOGIP, der United Nations Military Observer Group in India and Pakistan, mehr schlecht als recht überwacht.

Wassertechnisch hatte die Teilung Britisch-Indiens 1947 dazu geführt, dass der Indus mit fast 3.200 Kilometern Länge als wichtigster Strom zwar fast ausschließlich durch Pakistan führt, die Quellflüsse aber in Indien und zu einem geringen Teil in China entspringen. Kaschmir ist wasserreich. Der Indus fließt durch die Region, und der Jhelam-Fluss in Kaschmir vereint das Wasser zahlreicher Flüsse und ist für die Versorgung des indischen und pakistanischen Teils von Kaschmir und die Panjab-Ebene in Pakistan von größter Bedeutung. Für Pakistan sind Jhelam und Indus, von dem mehr als 250 Millionen Menschen abhängen, überlebenswichtig und daher von strategischer Bedeutung. Die indische Regierung wiederum nutzte die Flüsse von Beginn an, um Pakistan gefügig zu machen.

Schon einmal Zuflüsse gesperrt

Die Teilung des Subkontinents zerschnitt das verzweigte Bewässerungssystem aus der britischen Zeit. Das führte zu weiteren Konflikten und Indien zeigte schnell, wer am längeren Hebel sitzt. 1948 sperrte es die Zuflüsse der wichtigsten Kanäle in Pakistan. Die pakistanische Millionenstadt Lahore war für fast drei Wochen vom Wasser abgeschnitten. Damit erzwang Indien ein vorläufiges Abkommen mit Pakistan, doch bis es zu einem endgültigen Induswasser-Vertrag kam, dauerte es letztlich noch bis 1960.

Es grenzt fast an ein Wunder, dass dieser Vertrag bislang alle Krisen und Kriege zwischen den beiden Staaten überdauert hat. Mit der Aussetzung des Vertrags hat Indien nun ein Tabu gebrochen. Doch in den mehr als sechs Jahrzehnten ist das Abkommen in vielerlei Hinsicht veraltet und müsste neu ausgehandelt werden. Denn die Wassermengen haben sich verändert, die klimatischen Veränderungen spielen eine Rolle, und beide Staaten möchten den Indus und seine Nebenflüsse in unterschiedlichster Weise nutzen. Es geht um Dämme und Kraftwerke und den Schiffsverkehr.

Laut dem Indus-Vertrag darf Indien die Oberläufe der Flüsse Ravi, Satluj und Beas auf sein Staatsgebiet ableiten. Dafür muss Indien allerdings sicherstellen, dass Pakistan Zugriff auf das Wasser der Flüsse Indus, Chanab und Jhelam hat. Pakistan erhielt in dem Abkommen das Nutzungsrecht, doch Indien darf 20 Prozent des Indus-Wassers für seine Zwecke entnehmen. Die sich zuspitzende Wassernot sät allerdings Misstrauen.

Pakistan spürt den Einfluss des Klimawandels ganz besonders. Das zeigen die immer dramatischeren Überschwemmungen. Die Extreme des Wetters werden auf die Klimaveränderungen zurückgeführt. Das gilt auch für die schweren Überschwemmungen in Pakistan 2010 sowie die verheerenden Überflutungen nach dem Monsun im September 2022, die zu enormen Ernteverlusten führten. Pakistan gehört daher zu den wenigen Ländern, in denen sich die Regierung auch mit Klimafolgen beschäftigt und sich bemüht, damit umzugehen. Es gibt große Aufforstungsprojekte und Investitionen in die Wasserinfrastruktur.

Doch auch in Indien, dem bevölkerungsreichsten Staat der Erde, spüren die Menschen die zunehmende Wassernot. In Indien leidet schon fast die Hälfte der 1,5 Milliarden Menschen unter Wasserknappheit. Die Situation wird sich weiter verschärfen, wenn die Gletscher des Himalaya im Laufe der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weniger Wasser liefern als bisher. Die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt von Indien, Pakistan und Bangladesch werden fatal sein, wenn sich die Staaten nicht rechtzeitig mit Maßnahmen darauf vorbereiten.

Noch komplizierter wird es mit Blick auf Chinas Anteil an Kaschmir. Pakistan beansprucht zwar den von Indien kontrollierten Teil Kaschmirs, nicht jedoch das von China beherrschte Gebiet. China hält seit einem kurzen Krieg mit Indien 1962 die eroberte Region Aksai Chin besetzt. Das zu Pakistan gehörende Shaksgam-Tal hatte sich China 1963 angeeignet. Islamabad hat darauf verzichtet und China und Indien haben ihre Grenzstreitigkeiten beigelegt. Das sieht Neu-Delhi anders und beruft sich auf den Vertrag mit Singh.

China verkompliziert die Lage

Weder Modi in Indien, noch Xi in China verzichten auf ihre Ansprüche. Immer wieder kommt es an der Grenze zu Schusswechseln. Im Juni 2020 gab es im Tal des Galwan auf dem Hochplateau in der Region Ladakh zahlreiche Tote und Verletzte. Indische und chinesische Grenzsoldaten waren dort aneinandergeraten. Ladakh grenzt an Tibet und Xinjiang, die in Peking beide als Problemprovinzen gelten. In der einen leben Tibeter, die sich ebenso wenig zu China gehörig fühlen wie die muslimischen Uiguren in der anderen Provinz. China will diese Gebiete von äußeren Einflüssen abschotten und gleichzeitig den riesigen Nachbarn Indien einschüchtern. Nicht zuletzt geht es dabei um die Herrschaft über die in Tibet entspringenden Flüsse.

Narendra Modi wird einen begrenzten Militärschlag gegen Pakistan führen, vermutlich gegen bekannte terroristische Einrichtungen in Pakistan. Die Frage ist, wie Islamabad wiederum darauf reagiert. Der Konflikt könnte sich schnell hochschaukeln. In jedem Fall wird Neu-Delhi darauf pochen, dass mit Pakistan ein neuer Indus-Wasservertrag auszuhandeln ist und sich dabei möglichst Vorteile sichern. Wassertechnisch sitzt Indien da am längeren Hebel. Außerdem wird Pakistan der Unterstützung terroristischer Gruppen, die von Pakistans aus und in Kaschmir operieren, nachprüfbar abschwören und bekämpfen müssen. (GEA)