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Was die Praxisgebühr bringen würde

Einst wurde sie eingeführt um unnötige Arztbesuche zu vermeiden. Das ist aber nicht geschehen.

Die Praxisgebühr wurde 2013 abgeschafft. Nun steht sie möglicherweise vor einem Comeback. FOTO: SARBACH/AP
Die Praxisgebühr wurde 2013 abgeschafft. Nun steht sie möglicherweise vor einem Comeback. FOTO: SARBACH/AP
Die Praxisgebühr wurde 2013 abgeschafft. Nun steht sie möglicherweise vor einem Comeback. FOTO: SARBACH/AP

BERLIN. Die Gesundheitspolitiker von CDU/CSU und SPD waren sich sicher bewusst, dass der Vorschlag für Wirbel sorgen würde. Deshalb taucht in ihrem Zwischenpapier für die Koalitionsverhandlungen das Signalwort Praxisgebühr nicht auf. Stattdessen findet sich folgender, technisch klingender Satz: »Zu einer besseren und zielgerichteten Versorgung der Patientinnen und Patienten und für eine schnellere Terminvergabe führen wir ein verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte der HzV und im Kollektivvertrag ein.« Die Abkürzung HzV steht für hausarztzentrierte Versorgung. Die Kenner des Gesundheitssystems wussten aber, was sich hinter dem Beamtendeutsch verbirgt: Rückkehr zur Praxisgebühr. Der Blick zurück kann helfen, das Instrument und seine Wirkung zu verstehen.

- Wie hat die Praxisgebühr überhaupt funktioniert?

Zwischen 2004 und 2012 mussten Patienten pro Quartal beim ersten Besuch einer Arztpraxis 10 Euro als Gebühr bezahlen – egal ob beim Allgemeinmediziner oder Facharzt. Wurden in dem betreffenden Vierteljahr andere Praxen konsultiert, wurden die 10 Euro wieder fällig, es sei denn es konnte eine Überweisung vorgelegt werden. Das Geld musste auch für die Behandlung in einer Rettungsstelle bezahlt werden. Befreit von der Gebühr waren chronisch Kranke. Ausgenommen davon waren zwei Kontrolluntersuchungen beim Zahnarzt, Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft, Krebsfrüherkennung und empfohlene Impfungen.

- Hat die Gebühr ihren Zweck erfüllt?

Die Wirkung des Instruments haben zwei Studien untersucht. Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung hat 2008 die Praxisgebühr analysiert. Das zentrale Ergebnis: Nach der Einführung im Jahr 2004 sanken die Arztkontakte um 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das hört sich erst einmal wenig an, in der Wirklichkeit des Gesundheitssystems war der Effekt aber spürbar. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung kommt es in Deutschland pro Jahr zu 575 Millionen Behandlungsfällen in den Praxen. Davon drei Prozent weniger ergibt rund 17 Millionen Fälle. »Die Einführung der Praxisgebühr wirkte zunächst abschreckend auf Patienten«, schlussfolgerten der Studienautor. Doch danach setzte ein Gewöhnungseffekt ein. »Noch während der Zeit der Praxisgebühr stiegen die Behandlungsfallzahlen wieder an.« Laut der Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) ging die Zahl der Arztkontakte durch die Praxisgebühr sogar um 8,8 Prozent zurück.

- Wie viel Geld haben die Krankenkassen eingenommen?

Die jährlichen Einnahmen beliefen sich auf rund 2 Milliarden Euro. Das ist auch der Betrag, mit dem die Gesundheitspolitiker von Union und SPD rechnen, sollten die 10 Euro wieder erhoben werden. Zum Vergleich: Die Gesetzlichen Krankenkassen haben vergangenes Jahr 320 Milliarden Euro eingenommen. Die Praxisgebühr ist unter monetären Gesichtspunkten ein Tropfen auf dem heißen Stein. Verhasst war das Kassieren der 10 Euro wegen des bürokratischen Aufwands bei den Arztpraxen.

- Warum wurde die Gebühr abgeschafft?

Mit dem Jahreswechsel zu 2013 fiel die Gebühr weg. Zuvor hatte das der Bundestag ohne Gegenstimme beschlossen. »Das habe ich im Deutschen Bundestag noch nie erlebt«, kommentierte seinerzeit Parlamentsvizepräsident, Wolfgang Thierse (SPD). Die schweren Jahre der Massenarbeitslosigkeit hatte Deutschland überwunden und die Weltfinanzkrise ziemlich unbeschadet überstanden. Auf die Einnahmen konnte man verzichten.

- Was raten Experten?

Der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen empfahl 2018 in einem Gutachten die Stärkung der hausarztzentrierten Versorgung in Deutschland. Reiche das nicht aus, um die angespannte Lage zu verbessern, »sollte die Einführung einer Kontaktgebühr für Facharztbesuche ohne Überweisung geprüft werden«. Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), hält das für einen Fehler. »Die Praxisgebühr hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie als Steuerungsinstrument nicht funktioniert. Sie wurde 2004 eingeführt, um vermeintlich unnötige Arztbesuche zu reduzieren, doch der erhoffte Effekt blieb aus«, sagte Schwartze. Eine erneute Praxisgebühr könne dazu führen, »dass Menschen notwendige Arztbesuche aus Kostengründen meiden«, kritisierte er. Schwartzes Einschätzung gibt einen Hinweis darauf, dass eine Praxisgebühr bei CDU und CSU Unterstützung findet. Die Kassenärztliche Vereinigung plädiert alternativ dafür, verschiedene Tarife bei der Krankenversicherung anzubieten. Wer sich für das Hausarztmodell entscheidet, würde geringere Beiträge zahlen müssen. (GEA)