REUTLINGEN. Zeit für ein Gespräch auf dem Flur oder auf dem Hof hat er immer, wenn das mit den 24 Stunden, die der Tag nun einmal nur hat, nicht so ein gravierendes Problem darstellen würde.
Der Mann, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, ist ein jung gebliebener Überzeugungstäter, ein Verleger, der nie müde wird, einer, der auf vielen Hochzeiten tanzt, einer, der aus dem Stegreif reden, einer, der die Menschen für sich und seinen Reutlinger General-Anzeiger einnehmen kann. Er ist ein Kämpfer für Pressefreiheit und Demokratie, sagt er von sich selbst und meint damit auch seine Belegschaft. Das ist in schwierigen Zeiten für Tageszeitungen ein anstrengender und anspruchsvoller Job, aber ein lohnender und vor allem – ein zukunftstauglicher. Auch wenn das viele inzwischen als Wunschtraum abtun.
Harmonieorientierter und ausgeglichener Charakter
Valdo Lehari jr., Verleger und Geschäftsführer des Reutlinger General-Anzeigers, ist ein streitbarer Geist, aber eben auch ein harmonieorientierter und ausgleichender Charakter, Sternzeichen: Krebs. Dabei ist es für Redakteure immer ein wenig schwierig, über Verleger zu schreiben. Die Ansichten können nicht dieselben sein, aber die Überzeugungen werden identischer. Das schafft Gemeinsamkeiten, was unterschiedliche Meinungen nicht ausschließt – ganz im Gegenteil. Wir streiten nicht nur in den Konferenzen – und auf den Fluren.

Ich bezeichne es in aller Offenheit als einen Glücksfall, diesen Menschen früh kennengelernt zu haben. Ich habe Anfang der 80er-Jahre im letzten Jahrhundert in einem Zeitungshaus der Bundeshauptstadt nach dem Examen meine erste Redakteursstelle beim Bonner General-Anzeiger angetreten, es ist heute noch ein Zeitungshaus, aber Bundeshauptstadt ist Bonn lange nicht mehr. Ich wollte in die große weite Welt des Sports – und musste nach Tannenbusch, Endenich, Sankt Augustin und Beuel. Sigurd war kein stolzer Ritter, wie der aus dem gleichnamigen Comic, aber mein Chef im Sport, die Stelle bekam ich, weil ich meine publizistische Diplomarbeit über die Lokalsportberichterstattung der Tageszeitung geschrieben hatte.
Studierter Jurist mit Erfahrungen aus anderen Verlagshäusern
Zwei Etagen über uns wachte die Geschäftsführung, zu den hohen Tieren kamen wir fast nie. Valdo Lehari jr. war einer aus dieser Etage, sein Verleger-Vater Valdo sen. hatte ihn nach Bonn geschickt, der studierte Jurist sollte seine Erfahrungen auch in anderen Verlagshäusern sammeln. Viel Kontakt hatten wir nicht, »einer aus dem Schwabenland«, erzählte unser geschätzter Politikchef stirnrunzelnd – und fügte an: »Vom Sport soll er auch Ahnung haben.«
Nun trifft man sich im Leben bekanntlich immer mindestens zweimal. Ich kam von Olympia 2004 in Athen zurück, es war mein neuntes Olympia für den Sport-Informations-Dienst, aber es musste endlich wieder Zeitung sein nach zwei Jahrzehnten Nachrichtenagentur.
Der Verleger in Reutlingen und ich kamen wieder ins Gespräch. Ich hatte das Glück, in meinem Journalistenleben immer mit Verlegern zusammenarbeiten zu dürfen, die für ihre Sache brannten – und brennen. Valdo Lehari ist einer von ihnen. Und einer, der sich weiter mit Leidenschaft zum Sport bekennt. Ein bedeutender Soziologe hat einmal gesagt, der Fußball ist der bedeutendste schichtenübergreifende Gesprächsstoff, der dieser Gesellschaft geblieben ist.
Ein »heimatverwurzelter Kosmopolit«, ein Wanderer zwischen den Welten
Gespräche zwischen meinem Verleger und mir beginnen häufig mit den Problemen der Fußball-Nationalmannschaft oder – fast so schlimm – mit dem VfB Stuttgart. Mit der Unterstützung dieses Verlegers haben wir 2005 vor der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland eine Kooperation von 14 Regionalzeitungen deutschlandweit aufgebaut. Sie besteht bis zum heutigen Tage über 18 Jahre – es gibt keine Medienkooperation in Deutschland, die länger besteht.
Der Mann rollt jeden Morgen seinen schwergewichtigen Diplomatenkoffer in die Geschäftsführungsetage – und rollt ihn oft erst spätabends wieder heraus. Okay, gelegentlich lässt er ihn auch rollen. Wir haben ihm einmal neue Transportmöglichkeiten geschenkt, er nutzt sie nicht. Weil er seine Gewohnheiten nicht mehr ändert. Was Vorteile hat. Aber nicht nur. Er hält sich für einen »heimatverwurzelten Kosmopoliten«, was eine treffende Charakterisierung ist. Ein Wanderer zwischen den Welten.

Aber alles hat zwei Seiten. Kriegen Sie mal ein verbindliches Okay von ihm, wenn das Kosmopolitische überwiegt. Wenn Lehari wieder im Flieger Richtung Berlin oder Brüssel oder sonst wohin sitzt, und Sie warten auf das Okay für ein wichtiges Projekt.
Präsident der südwestdeutschen Zeitungsverleger
Als jüngerer Redakteur war man der Verlegergesellschaft eher fern, als älterer Kollege nähert man sich an, es ist gut, einen guten Draht zu haben und Verleger und Journalisten näher zusammenrücken, weil es um gemeinsame Zukunftssicherung geht. Seit weit über zwei Jahrzehnten ist Valdo Lehari inzwischen Präsident der südwestdeutschen Zeitungsverleger. In dieser Zeit gab es vier unterschiedliche Hausherren in der Villa Reitzenstein zu Stuttgart, daran sieht man, sagt Valdo Lehari, wie stabil die Zeitungsbranche ist. »Kleiner Scherz«, fügt er lächelnd an.
Im Bundesverband BDZV war er Vizepräsident und ist nun Ehrenpräsident, Past- und amtierender Vizepräsident ist er auch bei den europäischen Zeitungsverlegern. Er schickt uns immer Bilder, die Haustechnik hortet sie. Er sammelt leidenschaftlich Themen, als Reutlingen zuletzt von den Hinweisschildern auf der Autobahn verschwunden ist, hat er sich nicht nur maßlos geärgert, er hat es auch fotografiert. »Eine bodenlose Frechheit, da muss man sich kümmern.« Dass der Leerstand in den Geschäften der Wilhelmstraße zunimmt, Lehari macht sich zwischen Berlin und Brüssel Gedanken über die Reutlinger Innenstadt, dass in dieser Stadt Busse und Fahrräder wichtiger sind als alles andere, egal ist ihm das nicht. Wird ja nicht einfacher, mit dem schwarzen Daimler die eigenen Werkstore in der Innenstadt anzufahren.
»Guter Journalismus ist die wirksamste Waffe gegen Fake News und Desinformation«
Dass in politischen Fensterreden gerne über Pressefreiheit und Demokratie gesprochen wird, Politiker sagen, dass sie auch in Zukunft morgens nicht auf ihre Lokalzeitung verzichten wollen, und am Nachmittag Gesetze verabschieden, die den Zeitungen das Leben schwer machen, regt ihn nachvollziehbar auf. Aber wenn es um Verantwortung geht, zeigt er nicht immer nur auf die Politik. Originalton Lehari: »Auch wir selbst können nicht immer nur nach dem Staat rufen, wenn es um die Überlebensbedingungen der Tageszeitungen geht. Wir dürfen unsere Glaubwürdigkeit nie aufs Spiel setzen. Guter Journalismus ist die wirksamste Waffe gegen Fake News und Desinformation, nicht immer mehr Gesetze und Vorschriften.« Das ist und bleibt seine Botschaft. Für guten Journalismus braucht man gute Journalisten – und davon möglichst genug. Einfacher wird das nicht. Wenn wir früher Volontäre gesucht haben, gab es 100 und mehr Bewerbungen auf eine Position. Heute ist eine Handvoll schon eine gute Ausbeute. Einfacher wird es nicht.
Immer ist er auf der Suche nach Verbündeten, weil er ein politischer Mensch ist. Es geht darum, die Interessen der Zeitungsverlage effizient zu vertreten, das geht nur in Netzwerken, die in Berlin und Brüssel Dinge durchsetzen können. Lange bevor andere die Rolle der amerikanischen Internetplattformen kritisierten, wies Lehari auf deren übergroßen Einfluss hin und suchte Leute, die mit ihm gegen die milliardenschweren Giganten des Internets kämpften.
»Tageszeitungen sind das einzige Medium, das das Lokale mit dem Weltgeschehen verbindet«
Dort, wo das Internet verzerrt, braucht es Tageszeitungen als Plattformen des politischen Dialogs. »Tageszeitungen sind das einzige Medium, das das Lokale mit dem Weltgeschehen verbindet.« Freiheit und Verantwortung, der Wert des geistigen Eigentums, keine Floskeln für Lehari, sondern die Triebfeder seines gesellschaftlichen und politischen Handelns. Kaum einer kämpfte auf europäischer Ebene engagierter um das Leistungsschutzrecht für Zeitungs- und Zeitschriftenverlage. »In diesem Geschäft muss man Berufsoptimist sein«, sagt Lehari.
Dass wir – umgeben von den Großen – immer noch eines der gallischen Dörfer in den Weiten Baden-Württembergs geblieben sind, es hat vor allem mit dem unbedingten Beharrungswillen von Lehari zu tun. Aufgeben ist für ihn keine Option. Und wenn mal wieder einer fragt, ob die Regionalzeitung noch eine Zukunft habe – trotz aller Engpässe und Krisen, antwortet Lehari: »Uneingeschränkt Ja. Die Menschen brauchen im Informationsdschungel der Neuzeit geprüfte Informationen, Orientierung und Analyse. Der Einzelne kann nicht jeden Tag Tausende Nachrichten durchsehen und bewerten, dafür braucht es professionelle Redaktionen. Wenn es die Zeitung nicht gäbe, man müsste sie erfinden.«
Vielleicht ein Stück Zeitungsromantik. Aber am Ende auch ein Stück Zukunftsperspektive. (GEA)