Die SPD hat das redlichste Wahlprogramm vorgelegt. Redlich, weil die Partei keine Luftschlösser baut, sondern Versprechen macht, die der Realität nach dem Wahltag standhalten könnten. Mindestlohn von 15 Euro, eine Steuerentlastung für breite Bevölkerungsschichten und ein Investitionsprogramm für ein funktionierendes Land, um Straßen, Schienen und Schulen auf Vordermann zu bringen. Das Geld für die Sanierung soll über Kredite aufgenommen werden, wofür die SPD die Schuldenbremse reformieren will.
Die Genossen sagen ehrlich, dass die Renovierung Deutschlands über Schulden finanziert werden soll. Union und FDP versprechen großzügige Steuersenkungen auf breiter Front, die vor allem Unternehmen und Wohlhabende besserstellen würden. Sie würden riesige Löcher in den Haushalt reißen und weder Konservative noch Liberale erläutern belastbar, woher die Mittel zum Stopfen derselben kommen sollen. Wer SPD wählt, weiß also, dass er hernach nicht bitter enttäuscht wird.
Es ist der klassische SPD-Ansatz seit dem Abschwören vom Kommunismus mit dem Godesberger Programm von 1959 – Schritt für Schritt das Leben der Leute besser zu machen. Dass der grundsolide Zukunftsentwurf bei den Wählern nicht verfängt, liegt vorrangig am Überbringer der Botschaft. Kanzler Olaf Scholz ist derart unbeliebt, dass er selbst dann nicht gewählt würde, wenn er jedem persönlich einen Scheck über 5.000 Euro in die Hand drückte.
Mit Scholz kann die SPD ihre Vorschläge nicht transportieren. Wenn der 66-Jährige eine Emotion auslöst, dann ist es Ablehnung. Die Wähler trauen ihm nach drei Jahren als Chef der Ampel nicht zu, dass er das Land aus der wirtschaftlichen Krise führt. Nach der Wahl am 23. Februar wird man der SPD nicht vorwerfen können, der Politikverdrossenheit Vorschub geleistet zu haben. Friedrich Merz (CDU) als der wahrscheinliche Wahlsieger wird schon bald nach der Bildung einer Koalition entweder einräumen müssen, dass er die Steuern doch nicht so beherzt senken kann oder dieser Schritt nur möglich ist, wenn die Schuldenbremse gelockert wird. Für die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze müsste in der Verfassung das Asylrecht geändert werden, wofür es keine Mehrheit jenseits der AfD gibt.
Nun sind Wahlkämpfe per se keine Weihestunden der Wahrhaftigkeit, aber eine Rückbindung an die Realität täte auch der Merz-Union und der FDP gut, die Ähnliches vorschlägt wie CDU und CSU. Dagegen könnte man einwenden, dass große Krisen große Antworten benötigen. In der Wirklichkeit stellt sich dann aber meist heraus, dass sich die großen Konzepte leichter auf Papier bringen, als in der komplizierten Wirklichkeit umgesetzt zu werden.
Die AfD hat auf ihrem Parteitag am Wochenende solche Vorschläge gemacht. Grenzen dicht, Ausweisung von Ausländern und Abreißen der Windmühlen. Das hört sich schmissig an und man kann diese Forderungen für richtig halten. Was passiert allerdings, wenn die Heimatländer ihre Staatsbürger nicht zurückhaben wollen? Was passiert mit dem freien Warenverkehr in Europa, wenn die Schlagbäume wieder nach unten gehen? Werden Investoren entschädigt, die die Windräder gebaut und bezahlt haben?
Derart radikalen und unrealistischen Forderungen mit eigener Radikalität zu begegnen, kann nicht die Antwort von SPD, Union, Grünen und FDP sein. Die Versuchung mag angesichts der Wahlaussichten der AfD groß sein. Aber die Verantwortung, über die Folgen der eigenen Wahlentscheidung nachzudenken, haben die Wähler selbst.(GEA)