REUTLINGEN/STUTTGART. Es ist ein leider allzu bekanntes Bild. 7 Uhr morgens, eine normale kleine Straße vor einem Schulgebäude: Die ersten auswärtigen Schüler treffen ein, einige Lehrer mit dem Auto. Noch ist die Verkehrssituation entspannt. Das Bild, das sich rund eine Viertelstunde später zeigt: ein völliges Chaos. Auto reiht sich an Auto. Manche schlängeln sich gefährlich knapp an anderen Fahrzeugen vorbei oder durch die Menge an gerade ausgestiegenen Schülerinnen und Schülern aller Altersklassen hindurch. Manche Eltern, so scheint es, würden den Nachwuchs gerne sogar bis ins Klassenzimmer fahren. Das Ärgernis Elterntaxi ist an vielen Schulen bekannt. Oft fehlt jedoch die Handhabe, obwohl sich Ordnungsämter und Polizei redlich mühen, der Problematik Herr zu werden. Deshalb hat sich Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann nun mit einem Vorstoß herausgewagt, der in Deutschland bisher einzigartig ist.
Warum wird das Land aktiv?
Im Jahr 2023 stieg die Zahl der sogenannten Schulwegunfälle auf den Straßen Baden-Württembergs von 357 auf 427 an. Die Zahl der dabei verletzten Schulkinder stieg von 369 auf 440, ein Kind starb. Im vergangenen Jahr sank die Zahl wieder auf 378 Unfälle auf dem Schulweg. Wie oft Elterntaxis am Unfallgeschehen beteiligt waren, sei in der Statistik nicht ausgewiesen, räumte Winfried Hermann in der jüngsten Debatte im Landtag ein, doch führe »ein intensiver Hol- und Bringverkehr von Eltern häufig zu unübersichtlichen und oft gefährlichen Situationen«, so der Minister. Das gelte insbesondere für Kinder, die zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule kommen. Ein Verkehrsunfall auf dem Schulweg liegt vor, wenn bei einem Unfall infolge des Fahrverkehrs auf öffentlichen Wegen und Plätzen eine schulpflichtige Person (6 bis 17 Jahre) als aktiver Verkehrsteilnehmender verletzt oder getötet worden ist und ein örtlicher und zeitlicher Zusammenhang mit dem Weg von und zur Schule oder zu schulischen Veranstaltungen besteht.
Was will der Verkehrsminister?
Hermann und die Grünen-Fraktion im Landtag wollen sogenannte Schulstraßen und Schulzonen einrichten. Schulstraßen werden temporär zu Beginn und oft auch am Ende des Schultages, meist für eine halbe bis dreiviertel Stunde, für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt. Sie dienen dem unmittelbaren Schutz der Kinder in diesen Zeiten. Schulzonen werden dauerhaft für den Kraftfahrzeugverkehr gesperrt und entsprechend umgebaut. Die örtlichen Behörden entscheiden bei der Einrichtung von Schulstraßen und Schulzonen einzelfallbezogen über Ausnahmeregelungen.
In Deutschland gibt es Schulzonen vermehrt als Verkehrsversuche, einige davon wurden bereits verstetigt. Beispiele für Städte mit Schulstraßen sind Köln, Leipzig, Bonn und Berlin. In Belgien, Frankreich oder Neuseeland sind solche oder ähnliche Konzepte bereits Realität. Allein in Paris seien rund 200 Straßen vor und in der Nähe von Schulen für Fahrzeuge gesperrt, so die Grünen im Landtag. Hermann will sich auch auf Bundesebene für Anpassungen im Straßenverkehrsrecht einsetzen. Die Behörden seien aber heute schon befugt, Schulstraßen und Schulzonen einzurichten, um Gefahren für die Verkehrssicherheit abzuwehren.
Das sagen die Gegner
Manuel Hagel, Landesvorsitzender der Südwest-CDU, erklärt zu Hermanns Vorstoß: »Unser Job ist, pragmatisch das Leben der Menschen besser zu machen.« Er bezeichnet die Pläne als »ideologische Verbotsdebatte«, die nicht zu Baden-Württemberg passe. Es gebe längst einen Werkzeugkasten, mit dem Kommunen und Behörden arbeiten könnten, um Gefahren abzuwenden. »Ich bin überzeugt: Vor Ort weiß man am besten, wie man den Umgang mit Elterntaxis pragmatisch, passgenau und gemeinsam mit allen Beteiligten regelt. Kluge Lösungen– gemeinsam, pragmatisch, ohne Empörungsdebatte«. Als Vater von kleinen Kindern habe er nochmal einen anderen Blick auf die Sache. Zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Bus zur Schule, das sei möglich.
Zudem wolle seine Fraktion daran arbeiten, die Wege sicherer zu machen. Hagel betrachtet die angestrebten Regelungen des Koalitionspartners als zusätzliche Bürokratie. Auf deren Abbau hätten sich die Regierungspartner eigentlich verständigt. »Ich bedauere es, dass unser grüner Partner diesen Weg nun verlassen möchte«, so Hagel.
Die AfD-Fraktion monierte, dass es kein es bisher kein Verkehrsschild für Schulstraßen und Schulzonen gebe.
Das sagt der ADAC
Auch der ADAC sieht die Situationen an vielen Schulen kritisch. Gut gemeint sei nicht immer gut gemacht. Wenn viele Eltern ihre Kinder bis vor das Schultor fahren, bringe das Gefahren für alle mit sich, erläutert der Automobil-Club. Schulen sollten spätestens dann tätig werden, wenn sie je nach Schulgröße zwischen 10 und 15 Prozent an Elterntaxis verzeichnen und es durch diese täglichen Störungen des fließenden Verkehrs bei den Fußgängern gibt. Ferner seien gefährliche Wendemanöver, das Befahren von Fuß- oder Fahrradwegen sowie das häufige Halten oder Parken in Halteverbotszonen, in Busbuchten oder Einfahrten deutliche Warnsignale. Müssen Kinder täglich ob der chaotischen Verkehrssituation eine Straße ohne Querungshilfe oder sogar an Sichthindernissen überqueren, besteht ebenfalls sofortiger Handlungsbedarf.
Diese Möglichkeiten haben Schulen einem Chaos durch Elterntaxis entgegenzuwirken
Bereits am ersten Elternabend sollten Schulen das Thema jedes Jahr aufs Neue auf die Tagesordnung setzen und bei den Eltern um Verständnis werben und die Probleme erläutern. Besorgten Eltern sollten Schulwegpläne zur Verfügung gestellt werden, die empfohlene Querungsstellen und Verhaltenstipps für die Kinder im Verkehr enthalten. Sollte der Schulweg tatsächlich für viele Schüler unsicher erscheinen, können sich Schulen gemeinsam mit dem Elternbeirat bei der Gemeindeverwaltung dafür einsetzen, dass an entsprechenden Gefahrenstellen Ampeln oder Zebrastreifen angebracht werden. Eine weitere Möglichkeit ist, Lotsendienste einzusetzen. Die Möglichkeit, mit der Einrichtung von Elternparkplätzen die Situation vor der Schule zu entschärfen. Bevor Kontrollen durch Ortspolizeibehörde oder Polizei selbst umgesetzt werden, besteht noch die Möglichkeit, sogenannte Elternparkplätze (ausgewiesene Hol- und Bringzonen auf Parkplätzen in der Nähe der Schule) für die Stoßzeiten einzurichten. (GEA)

