Sie haben keine Strategie und verschenken Potenzial. Wenn sich der Social-Media-Experte, Politikberater und Blogger Martin Fuchs den digitalen Wahlkampf der Parteien im Internet ansieht, fällt ihm nicht viel Positives auf: »Facebook und Twitter werden genauso gefüllt wie andere Kanäle auch - langweilig und nicht aufbereitet. Und die Wähler sollen das dann gut finden.« Die Zielgruppe werde nicht in den Blick genommen, selten Dialoge geführt. Vieles sei nicht mehr als ein »Arbeitsnachweis der Kandidaten«. Unter dem Strich hätten die Wahlkämpfer Social Media noch nicht begriffen.
FACEBOOK: Dabei kann ein Post auf Facebook etwa eine enorme Reichweite entfalten, wie ein Best-Practice-Beispiel der SPD aus dem Oktober zeigt: 4,5 Millionen Menschen seien mit einem Beitrag zum Tag des Flüchtlings erreicht worden, berichtet Robin Mesarosch, der den digitalen Wahlkampf verantwortet. Kostenlos und direkt. Fast 28 000 Mal wurde der Post geteilt, verbreitete sich rasant im Netz. Inhalt waren acht Gegenargumente zu populistischsten Behauptungen in der Flüchtlingskrise. Der aktuelle Nutzwert, analysiert Fuchs, habe diesen Post (dt: Beitrag) so erfolgreich gemacht.
Es gibt ja auch noch Twitter, Instagram oder YouTube - der Schwerpunkt liege aber eindeutig auf Facebook. »Dort ist nach unserer Wahrnehmung die Zielgruppe derer, an die wir uns wenden wollen, am besten erreichbar«, sagt CDU-Wahlkampfleiter Thorsten Frei. Die Seiten der Spitzenkandidaten werden zumeist von den Parteizentralen geführt. »Nils Schmid ist das schon wichtig, dass das läuft«, sagt Mesarosch. Selbst posten tue er aber aus Zeitgründen nicht.
Bei Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hingegen bestimmt das Staatsministerium, was auf die Fan-Seite bei Facebook kommt. Dort finde kein Wahlkampf statt, Kretschmann sei ja auch nicht Parteichef, heißt es im Staatsministerium. »Da sind wir natürlich neidisch«, sagt Carsten Preiss, bei den Grünen zuständig für den digitalen Wahlkampf. Aber die Trennung sei von Anfang an streng gewesen. Er durfte aber zur Live-Internet-Sprechstunde mit dem Regierungschef für Samstag einladen - ausgestrahlt über den Direktkanal Periscope und Facebook.
Nahezu alle Kandidaten im Wahlkampf 2016 haben eine Facebook-Seite. An der Spitze der Liste mit den meisten Fans auf Facebook, Twitter und sonstigen Kanälen hat nach Angaben der Monitoringplattform Pluragraph.de jüngst die AfD die SPD abgelöst. Die Zahl der Anhänger auf Facebook habe sich innerhalb eines Jahres verdoppelt, berichtet Pluragraph-Gründer Martin Fuchs. Die Wachstumsraten der rechtspopulistischen AfD seien auch bundesweit enorm.
TWITTER: Die Zahl der Kandidaten, die sich aktiv auf Twitter tummeln, ist überschaubar. »Damit sind in Deutschland keine Massen zu erreichen«, sagt SPD-Experte Mesarosch. FDP-Mann Hans-Ulrich Rülke ist wohl der Twitter-König der Liberalen, die Minister Bilkay Öney, Reinhold Gall, Theresia Bauer und Alexander Bonde bei SPD und Grünen. Bei der CDU tun sich am ehesten die Abgeordneten Nicole Razavi und Felix Schreiner hervor. Die Kontrahenten um das Amt des Ministerpräsidenten, Kretschmann und Guido Wolf, pflegen keinen eigenen Twitteraccount. »Verschenkt« werde auch dieser Kanal, findet Fuchs. Die Parteien etwa nutzen das schnelle Twitter als reine Sendestation in nur eine Richtung. Dabei hätten etwa CDU und Grüne im Südwesten mit 4300 und 7850 eine stattliche Zahl an Followern.
INSTAGRAM UND DER REST: Die anderen Kanäle im Netz spielen im Wahlkampf 2016 so gut wie keine Rolle. Bei abgeordnetenwatch.de ist die Zahl der direkten Anfragen an die Kandidaten recht überschaubar. Auf Instagram ist FDP-Mann Rülke am aktivsten, hat schon fast 1000 Fotos verschickt, viele mit Wahlkampfbezug - aber häufiger auch einfach nur seine Laufschuhe. Sein hier veröffentlichtes Jugendbild in Badehose schaffte es sogar in die ARD-»Tagesthemen«.
Auch Wolf hat einen Account mit 30 Fotos, die aber vergleichsweise wenig Resonanz finden. Bei den Partei-Accounts von SPD und Grünen sieht es ähnlich aus. Mehrere tausend Aufrufe erzielen aber zum Beispiel die Wahlwerbesports auf YouTube. Erklärvideos hingegen werden kaum abgerufen oder geteilt. »Wir haben da keinen durchschlagenden Erfolg«, räumt Grünen-Experte Preiss ein. Im Vergleich zum Wahlkampf 2011 entscheide man heute mehr danach, was passe und etwas bringe. Auf der hippen Plattform namens Snapchat etwa seien die Grünen nicht aktiv: »Vor fünf Jahren hätten wir das auch noch mitgenommen.«

Vergebene Chancen im digitalen Wahlkampf

Unter einem Smartphone mit einem Facebook Post vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Bündnis 90 / Die Grünen) liegt ein Wahlschein für die Landtagswahl in Baden-Württemberg.