REUTLINGEN. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil gegen die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen durch das Landgericht Itzehoe bestätigt. Ins Gefängnis muss Irmgard F. nicht. Da die heute 99-Jährige bei ihrer Tätigkeit im KZ Stutthof erst 18 bis 19 Jahre alt war, verhängte das Landgericht eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Ein mildes Urteil angesichts der unvorstellbaren Verbrechen, zu denen F. Beihilfe geleistet hat.
Versäumnisse der Vergangenheit
Manch einer mag fragen: »Muss man so eine alte Frau noch vor Gericht zerren?« Sind nicht auch andere Täter der NS-Zeit mit weit größeren Tatbeiträgen davongekommen? Müsste man dann nicht jeden vor den Richter bringen, der im Wissen um die Verbrechen der Nazis schweigend den Blick abgewandt hat? Nein! Allein die Untätigkeit trotz des Wissens oder auch des Nichtwissenwollens stellt juristisch eben noch keine Beihilfe zu den Verbrechen dar. Und wenn der Lagerkommandant Werner Hoppe 1957 nur wegen Beihilfe zu wenigen Hundert Morden zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden ist, dann ist das der eigentliche Skandal. Das entbindet jedoch Irmgard F. nicht von der Verantwortung für ihre Taten.
Rädchen im tödlichen Getriebe
Als Stenotypistin ging praktisch die gesamte Korrespondenz des Lagers über ihren Schreibtisch. Von dort aus sah sie den rauchenden Schlot des Krematoriums und den Hof des Lagers mit seinen bemitleidenswerten Gefangenen. Mit der Behauptung nichts von den Vorgängen im KZ gewusst zu haben, verhöhnt sie noch heute das Leid der Insassen. Sie war - wenn auch ein kleines - Rädchen im tödlichen Getriebe. Im Gegensatz zu einem Militärangehörigen, dem bei Befehlsverweigerung der Tod gedroht hat, hat Irmgard F. sich ihre Tätigkeit als Zivilistin frei ausgesucht. Sie hätte sich auch einen anderen Job suchen können. Aber sie blieb und machte sich schuldig.