Umweltschutz: »Wenn ich König von Deutschland wäre«
REUTLINGEN/TÜBINGEN. Die Ursachen des Artensterbens sind vielfältig. Der Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten wird immer mehr eingeschränkt. Der Mensch greift dabei durch den Verbrauch von Ressourcen und Energie, durch Kohlenstoff-Emission und durch den Einsatz von Giften massiv in den Kreislauf der Natur ein. Die Geschwindigkeit des Artenschwundes nimmt deshalb zu, beklagt Johannes Enssle, Landesvorsitzender des Naturschutzbundes.
Johannes Enssle, Landesvorsitzender des Naturschutzbundes, hält den Einsatz von hochgiftigen Pestiziden für unverantwortlich. FOTO: BENGEL
Johannes Enssle, Landesvorsitzender des Naturschutzbundes, hält den Einsatz von hochgiftigen Pestiziden für unverantwortlich. FOTO: BENGEL
Das Artensterben nimmt beängstigende Ausmaße an. Jedes Jahr verschwinden weltweit 11 000 bis 58 000 Tierarten für immer von der Bildfläche, schreibt das Fachmagazin »Science«. Verantwortlich dafür ist insbesondere eine Art: der Mensch. Dabei hat auch er unter den Folgen des Verlustes des Artenschwunds zu leiden. Der GEA nahm die Problematik zum Anlass, um bei Johannes Enssle, dem neuen Landesvorsitzenden des Naturschutzbundes (Nabu) nachzuhaken. Das Gespräch fand an einem Ort statt, der für Biodiversität in der Region wie kein anderer steht: im Eisenbachhain im Schönbuch, einem sich entwickelnden Urwald von morgen. GEA: Herr Enssle, der Rückgang der Arten ist dramatisch. Viele Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet. Dabei geht es um globale Probleme. Kann jeder Einzelne von uns dagegen etwas tun?Johannes Enssle: Ja, auf jeden Fall. Die Zusammenhänge in der Natur sind sehr komplex. Alles hängt mit allem zusammen. Jeder Einzelne kann etwas tun für das Klima, indem er Energie spart, das Auto auch mal stehen lässt, oder - ganz wichtig - Biolebensmittel konsumiert, weil sie wesentlich verträglicher sind für Natur und Klima als konventionelle Lebensmittel. Was macht der Nabu gegen das Artensterben?Enssle: Wir haben viele eigene Projekte mit unseren Gruppen und Ehrenamtlichen, die Biotope pflegen, Führungen machen, Öffentlichkeitsarbeit betreiben und natürlich gehört auch die politische Lobbyarbeit dazu. Wir reden mit Politikern und werben dafür, dass mehr für Natur- und Umweltschutz getan wird. Pestizide schaden Menschen und Natur. Trotzdem werden sie weltweit eingesetzt. Ist der Mensch im Begriff sich selbst und seine ökologische Grundlagen zu zerstören?Enssle: Ja, das ist er - und zwar nicht erst seit gestern und heute, sondern schon seit vielen Jahrzehnten. Der Mensch ist eine absolut dominante Art auf diesem Planeten. Wir müssen schauen, dass wir unseren Heimatplaneten erhalten. Das geht nur durch nachhaltiges Wirtschaften im Einklang mit den natürlichen Ressourcen. Der Begriff »Pflanzenschutzmittel« suggeriert, dass die Pflanze geschützt wird. Richten wir beim Einsatz von Pestiziden nicht enorme ökologische Schäden an?Enssle: Absolut. Und das sind Schäden, die wir letztlich als Steuerzahler bezahlen. Lebensmittel sind viel zu billig. Eigentlich müsste man die ganzen Folgekosten der industriellen Landwirtschaft mit einrechnen, die Kosten der Überdüngung und der Pestizide. Die Gifte und die Nährstoffe, die über die Gülle und Pestizide reinkommen, wie Stickstoffüberschüsse und Pestizidrückstände, die müssen ja aus dem Wasser wieder herausgefiltert werden. Wir bezahlen für unsere Lebensmittel mehrfach, weil wir die Natur wieder reparieren müssen. Wir könnten viel mehr erreichen, wenn wir eine ökologischere Landwirtschaft hätten. Viele Pestizide schädigen die Mikroorganismen, manche haben sogar Krebs auslösende Wirkungen, bewirken Änderungen im Hormonhaushalt oder schädigen das Erbgut. Was läuft falsch, wenn sogar das Umweltbundesamt die Risiken beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln betont? Enssle: Da steckt weltweit eine enorme Lobbyarbeit dahinter. Die großen Chemiekonzerne sind mächtig und einflussreich - sowohl innerhalb der EU, als auch auf den globalen Märkten. Noch in den 1960er-Jahren wurde vom sogenannten Grünen Wunder gesprochen, wonach durch Pestizid- und Düngemitteleinsatz die Weltbevölkerung ernährt werden sollte. Jetzt wird versprochen, dass durch den Einsatz von Gentechnik weniger Pestizide eingesetzt werden müssten. Das Hungerproblem wird dadurch aber nicht gelöst. Auch im Öko-Landbau werden Gifte eingesetzt. Geht es nicht ohne Gift?Enssle: Eigentlich kommt der Öko-Landbau komplett ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel aus. Es gibt wenige Ausnahmen, vor allem im Wein- und Obstanbau. Hier werden bei Pilzbefall als letztes Mittel Kupfer und Schwefel eingesetzt. Ansonsten finden im Biolandbau keine Pestizide Anwendung. Der Bestand an Bienen, Wildbienen und Hummeln geht zurück. Auch hierfür machen Wissenschaftler den Einsatz hochtoxischer Pestizide verantwortlich. Warum werden die Gifte nicht verboten?Enssle: Wenn ich König von Deutschland wäre, würde ich sie sofort verbieten. Nehmen wir das Thema Streuobst. Für viele Kleinlandwirte lohnt sich das Geschäft nicht. Wie lassen sich ökologische Notwendigkeit und ökonomische Interessen besser miteinander verbinden?Enssle: Da ist es ganz wichtig, dass Naturschützer, Erzeuger und die Politik gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir müssen den Menschen klar machen, dass es bei Lebensmitteln nicht nur um »billig« geht, sondern um den Erhalt von Lebensqualität und unserer Kulturlandschaft. Streuobstwiesen sind ja das, woran wir uns am Wochenende erfreuen, wenn wir raus in die Natur gehen. Deswegen hat das auch einen Preis. Über gute Marketingmaßnahmen könnten Streuobst-Produkte besonders gefördert werden. Wenn das Verständnis da ist, kommen die Produkte beim Verbraucher an. Gleichzeitig sollte die Politik dafür sorgen, dass bei umweltzerstörend hergestellten Lebensmitteln entsprechende Auflagen gemacht werden, sodass diese nicht so billig angeboten werden können.
»Je naturnaher ein Ökosystem ist, desto widerstandsfähiger ist es«
In jüngster Zeit wurde häufiger der Gedanke formuliert, dass auf Feldern Solaranlagen gebaut werden könnten. Sind das sinnvolle Ansätze, oder wird dadurch die Natur ebenso verschandelt wie bei Windkraftanlagen?Enssle: Irgendein Rucksäckchen müssen wir tragen, wenn wir aus der Atom- und Kohleindustrie aussteigen wollen. Dann brauchen wir Windkraft- und Solaranlagen. Ich bin ein Freund von Solaranlagen auf Freiflächen, wenngleich wir danach schauen sollten, dass unsere Solaranlagen zuerst auf Dächern und Parkplätzen bestückt werden. Aber auch auf Äckern macht das durchaus Sinn. Mit einer Solaranlage auf dem Acker kann ich 30 Mal so viel Energie erzeugen wie mit einer Biogasanlage auf der gleichen Fläche. Die Biogasanlage ist durch die Düngemittel und Pestizide wesentlich umweltschädlicher. Unter einer Solaranlage kann ich Schafe weiden lassen und wertvolle Lebensräume entwickeln. Bevor sie Landesvorsitzender des Naturschutzbundes geworden sind, waren Sie Waldreferent beim Nabu. Kurz gefragt: Wie steht es um unsere Wälder?Enssle: In den vergangenen Jahren hat man für die Wälder viel erreicht. Es gibt gute Programme. Wenn diese konsequent umgesetzt werden, sind wir auf einem guten Weg. Im Vergleich zum dramatischen Artenschwund der Landwirtschaft sieht es in der Forstwirtschaft besser aus. Dennoch gibt es ja auch hier noch Nachholbedarf. Der Klimawandel hinterlässt bereits seine Spuren. Die Sommer werden wärmer und trockener, die Winter kürzer. Und wie die Stürme Wiebke und Lothar gezeigt haben, ist auch hierzulande immer häufiger mit Wetterextremen zu rechnen. Was bedeutet das für den Waldbau?Enssle: Das bedeutet, dass man sich breit aufstellen und die Wälder möglichst naturnah gestalten sollte. Je naturnäher und vielfältiger ein Ökosystem ist, desto widerstandsfähiger ist es gegenüber Störungen. Es ist deshalb ein wichtiger Aspekt, unsere Wälder möglichst naturnah zu gestalten. Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, bis zum Jahr 2020 fünf Prozent der Waldfläche als Urwald auszuweisen. Wie weit sind Deutschland und Baden-Württemberg von diesem Ziel entfernt? Enssle: Beim Staatswald wird einiges gemacht. Fünf Prozent für die Gesamtfläche Wald werden wir aber so schnell nicht erreichen. Wir sind in Baden-Württemberg noch unter zwei Prozent der Waldfläche, die ungenutzt ist. Setzt die Landesregierung das Ziel konsequent um, mindestens zehn Prozent der Fläche des Staatswaldes aus der forstlichen Nutzung herauszunehmen? Enssle: Wir sind noch ein Stück entfernt. Aber wenn die Konzepte so umgesetzt werden, wie sie geplant sind, dann wird ForstBW, also der Staatswald, bis zum Jahr 2020 vermutlich zwischen neun und zehn Prozent der Waldfläche aus der Nutzung herausgenommen haben. Dadurch, dass das Totholzkonzept umgesetzt und weitere Bannwälder ausgewiesen werden, ist man auf dem richtigen Weg. Allerdings machen mir die Äußerungen von CDU-Landwirtschaftsminister Peter Hauk Sorgen. Er äußert sich leider immer wieder sehr negativ zum Naturschutz im Wald. Dabei stammt das Fünf-Prozent-Ziel von seiner Parteikollegin Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gleich nach Beginn Ihrer Wahl zum Nabu-Landesvorsitzenden haben Sie Windkrafträdern den Kampf angekündigt. Sie machen sich damit zum Gegner der Landesregierung, die auf die Energiewende setzt. Wie wollen Sie den Konflikt lösen?Enssle: Da muss ich voranstellen, dass wir für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien sind, auch für den Ausbau der Windkraft. Wir wollen aber, dass der Windkraftbau immer so naturverträglich wie möglich stattfindet. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass die ökologischen Voruntersuchungen, die es bei jeder Anlage geben muss, von hoher Qualität sind. Baden-Württemberg gilt als Erwartungsland für Wölfe. Wie willkommen ist der Wolf aus Naturschutzsicht. Und: Wie können wir uns auf seine Rückkehr vorbereiten? Enssle: Grundsätzlich freuen wir uns, dass eine Art, die ehemals von Menschen ausgerottet wurde, nun wieder zu uns zurückfindet. Das zeigt auch, dass Naturschutz funktioniert. Der Wolf ist jetzt eine streng geschützte Art. Gleichwohl macht es mir Sorge, denn der Wolf bringt auch Konflikte mit sich, vor allem mit Nutztierhaltern, wie etwa Schäfereibetrieben. Es bedarf hier sehr viel Aufklärungsarbeit und Kooperation, um die Schäfereibetriebe auf die Rückkehr des Wolfes vorzubereiten. Insgesamt gibt es in der Bevölkerung und allen voran bei vielen Jägern aber sehr viele Vorurteile gegenüber dem Wolf. Wir sehen es als eine unserer Aufgaben, diese Vorurteile aufzulösen und tatsächlich existierende Probleme konstruktiv mit den Beteiligten zu lösen.
»Wir müssen in einen ehrlichen Dialog mit allen Akteuren treten«
Und wie löst man diese Vorurteile auf?Enssle: Wir müssen in einen ehrlichen und sachlichen Dialog mit den Akteuren treten. Es müssen geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um Tiere vor Wolfsübergriffen zu schützen. Klar ist auch, dass Wölfe, die wiederholt Probleme machen, entnommen werden müssen. Es muss ein richtiges Management stattfinden. Dazu gehört: Vermeidung von Problemen, Aufklärung, aber auch Eingriffe, wenn es Probleme gibt.
Zur Person
Johannes Enssle ist seit November 2016 Landesvorsitzender des Naturschutzbundes Baden-Württemberg (Nabu). Zuvor war er Referent für Waldwirtschaft und Naturschutz beim Nabu. Sein Studium der International Forest Ecosystem Management und Global Change Management absolvierte er an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde mit Schwerpunkt Naturschutz und Klimawandel sowie internationale Klimapolitik und an der niederländischen Universität Wageningen. Forschungsstudien führten ihn nach Bolivilen und El Salvador, wo er über eine Palmenart forschte. Johannes Enssle ist 34 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder. (rob)