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Terrorexperte Ul-Haq: Taliban lassen weitere Ausreisen zu

Terrorexperte Ul-Haq war in Kabul und hat Taliban-Sprecher Mujahid getroffen. Im Gespräch mit dem GEA erklärt er, wie es in Afghanistan weitergehen könnte.

Journalist Shams Ul-Haq (rechts) traf den Sprecher der Taliban in Afghanistan, Zabihullah Mujahid.
Journalist Shams Ul-Haq (rechts) traf den Sprecher der Taliban in Afghanistan, Zabihullah Mujahid. Foto: Privat
Journalist Shams Ul-Haq (rechts) traf den Sprecher der Taliban in Afghanistan, Zabihullah Mujahid.
Foto: Privat

KABUL/REUTLINGEN. Wie geht es nun weiter in Afghanistan, kann man den neuen Machthabern trauen, was passiert mit den vielen Flüchtlingen, die nicht evakuiert werden konnten? Wir sprachen mit dem deutschen Journalisten und Terrorexperten pakistanischer Abstammung, Shams Ul Haq (46). Er war in Kabul und hat das Chaos der Evakuierung, die Bombenanschläge am Flughafen und schließlich den Abzug der internationalen Soldaten vom Flughafen miterlebt und dort den Sprecher der Taliban in Afghanistan, Zabihullah Mujahid, gesprochen.

GEA: Die Amerikaner, die Deutschen und alle anderen haben den Flughafen von Kabul endgültig geräumt. Was geschieht nun mit den zurückgebliebenen Menschen, die flüchten und ausreisen wollen?

Shams Ul Haq: Die Taktik der Amerikaner und auch der Bundeswehr ist, dass sie die Leute jetzt über Pakistan herausholen wollen. Außenminister Heiko Maas war jetzt in Pakistan und hat dort eine Luftbrücke vereinbart, damit Menschen von Kabul aus mit Bundeswehrmaschinen nach Islamabad geflogen werden können und von dort dann weiter. Dasselbe soll nach Usbekistan möglich werden. Die Menschen müssen sich jetzt aber noch gedulden, bis das vom Flughafen Kabul aus wieder möglich ist.

Es sind nach wie vor Deutsche und Ortskräfte vor Ort und hoffen.

Ul-Haq: Die Bundeswehr hatte alle aufgerufen, zur Evakuierung nach Kabul zu kommen. Sie sind nach Kabul gekommen, viele konnten nicht mehr ausgeflogen werden. Sie warten jetzt bei Verwandten oder sind sonst wo untergekommen und warten nun darauf, dass sich die Bundeswehr mit ihnen irgendwie in Verbindung setzt. Darunter sind Helfer und Ortskräfte und auch noch deutsche Staatsbürger. Sie haben sich per Mail gemeldet, warten aber noch immer auf eine Antwort, anderen wurde jetzt geantwortet.

Werden die Taliban das erlauben?

Ul-Haq: Die Taliban dulden das und haben das auch gesagt. Ich habe in Kabul mit dem Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, persönlich gesprochen und er hat bestätigt, dass sie das zulassen. Nachdem die Amerikaner nun raus sind und damit den Vertrag von Doha erfüllt und das Land vollständig verlassen haben, sind die Taliban beruhigt und glücklich. Vor Ort ist es derzeit ruhig.

Eine ganz entscheidende Frage sind die künftigen Rechte der Frauen. Was ist zu erwarten?

Ul-Haq: Der Sprecher sagte, sie werden die Rechte der Frauen beachten. Die Frauenrechte würden großgeschrieben, sie werden zur Arbeit gehen dürfen, sie dürfen zur Schule gehen und eine Ministerin soll im nächsten Parlament sein. Die Frauenrechte seien für sie sehr wichtig, sagte der Sprecher. Sie sichern die Rechte zu, die in der Scharia stehen. Man will den Frauen Bildung ermöglichen und Rahmenbedingungen für Arbeit schaffen. Die Frauen in- und außerhalb von Afghanistan sind allerdings sehr, sehr skeptisch. Die Rechte der Frauen, die ihnen in der Scharia gewährt werden, sind ihnen bei weitem nicht genug. Sie glauben den Taliban nicht.

Kann man den Taliban in dieser Hinsicht trauen?

Ul-Haq: Schwierig. Ich denke, anfangs wird es tatsächlich so sein. Bald soll die neue Schura (Parlament, wenn auch nicht vergleichbar im westlichen Sinne) gebildet werden und dann wird es sehr wahrscheinlich ein System geben vergleichbar mit dem im Iran. Wir müssen beobachten, wie sich das alles entwickelt, denn es gibt auch unter den Taliban Gruppierungen, die sich nicht miteinander verstehen. Die TTP beispielsweise in Pakistan beispielsweise. Eine große Rolle spielt schließlich der Taliban-IS. Der afghanische IS ist die härteste Taliban-Linie. Unter ihnen sind viele Taliban, die dorthin gehen, weil sie den Dschihad wollen und die Einführung der Scharia oder weil sie Ungläubige umbringen wollen.

Lässt sich etwas über die Stärke des IS sagen?

Ul-Haq: Spätestens nach den Bombenanschlägen in Kabul hat man gesehen, dass sie durchaus stark sind. Die Frage ist, ob die Taliban mit dem IS verhandeln und ob es da Einigungen geben wird. Offiziell sagen die Taliban, dass sie mit dem IS nicht verhandeln, das hat auch Mujahid gesagt. Aber inoffiziell gibt es Gespräche. Auch das zeigt, dass der IS eine relevante Größe ist, sonst würde man nicht mit ihnen sprechen. Eine Einigung mit dem IS ist schon deshalb wichtig, weil es sonst wohl keine Ruhe geben wird und sich ein neuer Bürgerkrieg entwickelt.

Das heißt, es gibt Gespräche mit dem IS, mit anderen Gruppierungen in Afghanistan und auch mit Ex-Präsident Karsai und Ex-Außenminister, Regierungschef und zuletzt Vorsitzender des Hohen Rates für Nationale Versöhnung, Abdullah Abdullah. Er und Karsai sind in Afghanistan geblieben.

Ul-Haq: Die Taliban führen zur Zeit Gespräche mit Abdullah und auch Karsai, und US-Präsident Biden hat mit dem geflohenen Präsidenten Aschraf Ghani telefoniert. Vielleicht wird Ghani wieder zurück nach Afghanistan gehen. Das heißt, die Amerikaner stehen ebenfalls mit den Taliban in Kontakt. Der britische Außenminister ist nach Doha gereist, um dort mit den Taliban zu reden. Die Gespräche gibt es überall und es ist auch wichtig, dass sie alle miteinander sprechen.

War es notwendig, die deutsche Botschaft in Kabul zu räumen? Wie sind derzeit die Arbeitsbedingungen für die Stiftungen und Hilfsorganisationen?

Ul-Haq: Die Räumung der Botschaft war wichtig. Deutsche sowie andere Hilfsorganisationen haben die Arbeit in Kabul beendet. Sie warten erst einmal abwarten. Die Taliban müssen jetzt für Sicherheit sorgen und damit wieder die Voraussetzungen für die Hilfsorganisationen schaffen. Ich bin allerdings etwas skeptisch. Es wird immer wieder zu Gewalttätigkeiten kommen, weil viele Taliban nicht die notwendige Bildung haben, um wirklich zu wissen, wie sie mit der mit der Situation umgehen und sich verhalten sollen. Sie haben bisher gekämpft und können schießen. Die Taliban müssen nun erst einmal Leute finden, mit denen sie die Ministerien und wichtigen Positionen besetzen können.

Shams Ul Haq (links) im Gespräch mit dem Tablibanführer und Mitglied der Kulturkomission Abdul Qahar Balkhi.
Shams Ul Haq (links) im Gespräch mit dem Tablibanführer und Mitglied der Kulturkomission Abdul Qahar Balkhi.
Shams Ul Haq (links) im Gespräch mit dem Tablibanführer und Mitglied der Kulturkomission Abdul Qahar Balkhi.

Auf welcher Seite steht die afghanische Gesellschaft? Unterstützen sie Menschen die Taliban?

Ul-Haq: Die Bevölkerung ist gespalten. Den einen sind die Taliban lieber, weil sie nun hoffen, dass es keine weiteren Bombenanschläge mehr geben wird. Es geht ihnen also vor allem um Sicherheit. Sie sagen, was haben denn die Amerikaner und die anderen in den vergangenen 20 Jahren denn geschaffen? Sie haben Milliarden ins Land gepumpt, aber das Volk hatte davon nichts. Deswegen vertrauen sie nun erst einmal den Taliban. Dann gibt es den anderen, vor allem den jüngeren Teil der Gesellschaft und vor allem Frauen, die den Taliban überhaupt nicht trauen. Ich habe gesehen, dass Frauen gegenüber den Taliban demonstriert haben, ich habe aber auch gehört, dass Frauen außerhalb Kabuls misshandelt worden seien. Die Gesellschaft ist gespalten, verunsichert, man weiß nicht, wie es nun weitergehen wird.

In 20 Jahren ist eine neue Generation herangewachsen, die in die Schulen gegangen ist, die ausgebildet wurden oder studieren, die gesehen haben, dass es auch anders geht. Werden diese nun alle flüchten?

Ul-Haq: Es sind bereits Hunderttausende Menschen geflohen. Sie haben Angst. Das sind alles Leute, die das Land zum Aufbau eigentlich benötigt, doch sie misstrauen den neuen Machthabern. Wenn die Taliban allerdings zeigen, dass sie sich gewandelt haben, könnte es sein, dass viele wieder zurückkommen. Zunächst aber streben sie alle hinaus – nach Amerika und Europa. Hunderttausende sitzen in Kabul und an der pakistanischen Grenze und wollen nach Amerika und Europa. Schließlich hatten die USA gesagt, jeden, der aus dem Land raus will, nehmen wir mit. Das hat nicht geklappt. Unter diesen Flüchtlingen können sich übrigens auch radikale Kämpfer eingeschlichen haben. Man muss schon aufpassen, wen man nun alles mitnimmt und reinlässt.

Welche Rolle spielt das Nachbarland Pakistan?

Ul-Haq: Die Rolle Pakistans ist genauso wichtig wie die der Amerikaner, der Briten, Deutschen, Iraner. Viele Afghanen denken, dass Pakistan die Taliban unterstützt haben. Derzeit führen die Pakistani Gespräche mit Ahmad Massoud, der im Pandschirtal herrscht. Das konnten die Taliban auch vor 20 Jahren nicht erobern. Damals herrschte dort der Vater Ahmad Schah Massoud. Pakistan will zwischen Massoud und den Taliban eine politische Brücke bauen. Islamabad vermittelt aber auch zwischen den Taliban und den Amerikanern und den Deutschen. Wir dürfen schließlich auch China nicht vergessen. Die Nachbarn wollen schließlich alle von Afghanistan ausgehende Instabilität in ihren Ländern verhindern.

Shams Ul Haq ist deutscher Terrorismus-Experte. 1990 kam er als unbegleiteter minderjähriger Asylbewerber aus Pakistan nach Deutschland. Ul-Haq ist Undercover-Journalist. (jr)

Werden die Friedensgespräche in Doha (Katar) weiterfortgeführt?

Ul-Haq: Natürlich. Am Donnerstag war der britische Außenminister dort. Die Gespräche werden weitergeführt. Dort sitzt der internationale Sprecher der Taliban, Suhail Shaheen. Doha ist schon deswegen wichtig, weil sich viele Politiker noch nicht trauen, in die afghanische Hauptstadt zu reisen.

Soll das Taliban-Regime international anerkannt werden?

Ul-Haq: China hat es bereits anerkannt, Pakistan aber beispielsweise noch nicht. Das ist derzeit auch problematisch. Wenn es eine Regierung in Kabul gibt, dann kann man analysieren, wer sie anerkennt. Wenn die Amerikaner sie anerkennen sollten, werden die anderen alle nachziehen. Jetzt muss aber erst einmal der Staat gegründet und dann analysiert werden, was das überhaupt für ein Staat sein wird. Man sollte sich noch Zeit lassen. (GEA)