STUTTGART. Das Überraschende gedeiht an ungewöhnlichen Orten. In Kirchentellinsfurt hat in einer längst aufgegebenen Spinnerei das Unternehmen Tricon seinen Sitz. Die gut 20 Mitarbeiter sind Spezialisten auf dem Gebiet des »transportation designs«, also der Gestaltung von Verkehrsmitteln.
Die künftige ICE-Generation – der ICE L – trägt im Inneren ebenso die Handschrift des Unternehmens, wie Hochgeschwindigkeitszüge in China, der Glacier Express als Flaggschiff der Rhätischen Bahn in Graubünden oder die Metro in Doha. Und bald fährt das Tricon-Design auch durch Stuttgart. In Kirchentellinsfurt wird der neuen Generation der Stuttgarter Stadtbahnen das Aussehen verpasst.
»Ich freue mich als Stuttgarter darüber, auch in meiner Heimatstadt etwas gestalten zu können«, sagt Frank Schuster, Chef bei Tricon. Die Aussage fängt er im Gespräch allerdings gleich wieder ein, weil er nicht den Eindruck des Einzelkämpfers vermitteln möchte. »Design ist immer Teamarbeit«. Fünf Designerinnen und Designer kümmern sich bei Tricon um die Gestaltung der neuen Stuttgarter Stadtbahnflotte.
Ältere dürfen nicht alt aussehen
Seit die SSB Anfang der 1980er-Jahre damit begannen, die betagten Straßenbahnen durch modernere Stadtbahnen zu ersetzen, zeichnete maßgeblich der österreichische Industriedesigner Herbert Lindinger fürs Design verantwortlich. Das gilt für die drei Prototypen der Baureihen 1, 2 und 3 genauso wie für die Serienfahrzeuge der Reihen 4 bis 15 – wobei es keine Baureihe 13 gibt. Die nun entstehenden Fahrzeuge, die von 2026 an über Stuttgarts Gleise rollen werden, gehören dann der Baureihe 16 an.
Diese lange Geschichte fließt in den Entwicklungsprozess ein. »Das neue Design muss sich daran messen lassen, dass es die älteren Züge nicht alt aussehen lässt«, sagt Schuster. »In Stuttgart treffen wir auf ein etabliertes Design«, erklärt Kreativdirektor Peter Schürg. Und Designer Soshin Katsumi weiß um die Erwartungshaltung vor Ort. »Die Fahrgäste in Stuttgart sind ein sehr gutes Design ihrer Bahnen gewohnt.« All dies trifft auch noch auf die technischen Rahmenbedingungen und die regulatorischen Vorgaben zu, die die Spielräume für die Kreativen wenn nicht einschränken so doch zumindest Grenzen ziehen.
Augenfälligste Änderung gegenüber den bisherigen Bahnen ist der deutlich vergrößerte Mehrzweckbereich im Inneren, also jene Flächen, wo Sitzplätze hochgeklappt werden können, um Platz für sperriges Gepäck, für Kinderwagen, Rollstühle oder Fahrräder zu schaffen. Die lilafarbenen Haltestangen und -griffe weichen farblich weniger gewöhnungsbedürftigen Lösungen. Die Frontpartie muss sich an den neuesten Richtlinien orientieren, die dem Fahrpersonal einen möglichst weiten Rundumblick garantiert. Die Fahrer reden bei der Gestaltung mit. »Der Führerstand ist ein wichtiges Thema«, sagt Frank Schuster. In Zeiten, in denen nicht nur die SSB händeringend nach Personal sucht, kann ein attraktiver Arbeitsplatz durchaus hilfreich sein.
Frank Schuster betont, dass die SSB zwar der Auftraggeber sind, es aber vor allem auf das Urteil der Fahrgäste später ankommt. »Die Menschen sollen sich in den Bahnen positiv empfangen fühlen«, sagt er. Der öffentliche Nahverkehr müsse als wertig wahrgenommen werden.
Auch wenn das Tricon-Team nicht den Eindruck erweckt, alles Gewesene über den Haufen werfen zu wollen, gibt es doch einige Details, bei denen die SSB auf Kontinuität setzen, die aus Designersicht vielleicht entbehrlich erscheinen. So hängt zum Beispiel im Eingangsbereich weiterhin der Fahrkartenentwerter, eine kleine Plexiglaskonstruktion, in der Prospekte bereitgehalten werden und im Übergangsbereich zwischen Außenwand und Decke klebt ein gedruckter Liniennetzplan. (GEA)