BERLIN. Dieser Wahlabend traf die Sozialdemokraten wie ein Kinnhaken. Mit rund 23 Prozent hat die SPD das schlechteste Wahlergebnis seit der allerersten Bundestagswahl 1949 eingefahren. Der bisherige Tiefstand lag bei 28,8 Prozent, das war 1953, Erich Ollenhauer war Spitzenmann der Traditionspartei. Jetzt, fast 60 Jahre später, verantwortet Frank-Walter Steinmeier die historische Schlappe.
Zu allem Überfluss streikte auch noch die Technik. Als die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme flimmerten, fielen in der SPD-Zentrale alle Lautsprecher aus. Ungläubig starrten die entsetzten Anhänger mit eisigem Schweigen auf den tief nach unten weisenden dicken SPD-Balken. Doch auch als der Ton wieder da war, hatte sich an dem desaströsen Ergebnis nichts geändert. Fest steht: Die SPD erlebte an diesem 27. September 2009 einen der schwärzesten Abende ihrer Geschichte. Nach elf Jahren ununterbrochener Regierungsverantwortung verabschiedete sich die älteste deutsche Partei im Sturzflug in die Opposition.
Überraschend schnell fand sich die geschlagene SPD-Spitze jedoch mit der neuen Lage ab. Im hermetisch abgeschirmten fünften Stock des Willy-Brandt-Hauses hatten Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier und Parteichef Franz Müntefering seit dem Nachmittag die vorab einlaufenden Zahlen, die nichts Gutes ahnen ließen, gewichtet. Beiden war rasch klar, dass sich auch die Hoffnung, die Regierungsmacht eventuell noch als geschwächter Juniorpartner in einer Großen Koalition zu retten, erledigt hatte. Verabredet wurde deshalb, schnell Handlungsfähigkeit zu beweisen, um ein sofortiges heilloses Hauen und Stechen in der Partei zu vermeiden.
»Die SPD zu alter Stärke und zu neuer Kraft führen«
Schon nach einer halben Stunde kamen beide vor die Türen. Und Steinmeier machte klar, wer künftig den Ton in der SPD angeben wird. Nach diesem »bitteren Tag« könne man natürlich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, stellte er dem Anhang gleich in Aussicht. Viel beklatscht wurde die Ankündigung, er wolle als Oppositionsführer dabei mithelfen, die SPD wieder zu »alter Stärke und zu neuer Kraft« zurückführen. »Die historische Mission der SPD ist nicht beendet«, rief Steinmeier im Stil des legendären Willy Brandt in den Saal. Im Publikum wurde dies als klares Machtsignal verstanden, es in vier Jahren wieder gegen Angela Merkel zu versuchen.
Mit versteinerter Miene hörte Müntefering zu, er wirkte angezählt. »Wir sind keine Partei von gestern«, sagte er mit einer Spur von Trotz. In der langen Geschichte der SPD habe es ein Auf und Ab gegeben. Eine eher kryptische Bemerkung, die viele aufhorchen ließ, machte der 69-Jährige zum Schluss: »Schönen Abend miteinander, und wir sehen uns bald wieder in der Politik.« Dass dies bereits eine versteckte Ankündigung eines endgültigen Rückzug aufs Altenteil gewesen sein könnte, bestritt seine Umgebung allerdings heftig. Doch ob sich dieser Abgang überhaupt noch vermeiden lässt, ist offen. Schon das Tempo im Wahlkampf wurde nicht mehr vom Parteichef bestimmt, sondern vom Kandidaten. Die am Sonntag sofort einsetzenden Forderungen der Parteilinken nach radikaler Erneuerung der Partei zielten eindeutig in Richtung des Parteichefs. Münteferings Nimbus als begnadeter Wahlkampfmanager ist jedenfalls seit Sonntag endgültig dahin. (AP/dpa)
