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Aktuell INTERVIEW

»Staatlicher Selbstbedienungsladen«

Der Präsident des Steuerzahlerbunds kritisiert die von Schwarz-Rot geplanten Sondervermögen

Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbunds, zeigt besorgt auf die Schuldenuhr.  FOTO: NIETFELD/DPA
Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbunds, zeigt besorgt auf die Schuldenuhr. FOTO: NIETFELD/DPA
Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbunds, zeigt besorgt auf die Schuldenuhr. FOTO: NIETFELD/DPA

BERLIN. Reiner Holznagel ist Präsident des Bundes der Steuerzahler und schon lange im Geschäft. So etwas wie die von CDU-Chef Friedrich Merz vorangetriebenen Pläne zur Schaffung von Sondervermögen sowie einer Lockerung der Schuldenbremse ist ihm allerdings auch noch nicht untergekommen.

GEA: Herr Holznagel, haben Sie schon neue Elemente für Ihre Schuldenuhr bestellt?

Reiner Holznagel: Wir überlegen tatsächlich, eine neue Schuldenuhr zu installieren. Eine, die wir bei Bedarf von der Ferne aus steuern können. Insbesondere in der Nacht, weil die Politik mit Blick auf die Neuverschuldung mittlerweile eine Dynamik angenommen hat, die erschreckend ist.

Milliardenschwere Sondervermögen und eine Lockerung der Schuldenbremse: Wie sehr hat es Sie überrascht, dass die mutmaßlich künftigen Koalitionäre am Dienstagabend solch ein umfangreiches Paket verkündeten?

Holznagel: Wir waren angesichts einiger Äußerungen aus dem politischen Raum nicht ganz unvorbereitet. Sehr überrascht und ein Stück weit verärgert hat mich die Tatsache, dass eine Verhandlungskette aufgezogen wurde, bei der das Ergebnis am Anfang steht und die Details erst danach besprochen werden. Das ist so, als wenn ich meinen Kindern verspreche, dass wir abends erst den Film schauen – und anschließend aufräumen. Jeder weiß, wie das ausgeht.

Wie lautet Ihr Hauptkritikpunkt?

Holznagel: Wir haben nicht das Problem des Geldes, wir haben andere Probleme. Wir haben ein »Zuviel« an Planung, an Auflagen und Bürokratie. Wir haben Mitspracherechte von Unbeteiligten, Stichwort Verbandsklagerecht. Kameralistik ist ein Thema, das nicht die Qualität einer doppelten Haushaltsführung aufweist. Und das sind nur ein paar Beispiele. Wir hätten zunächst ein Bündel von Aufgaben zu lösen – und erst am Ende muss die Geldfrage besprochen werden. Jetzt haben wir es umgedreht und ich fürchte, dass wir mit Geld sehr viel zukleistern werden.

Schwarz-Rot hat im Wahlkampf Strukturreformen versprochen. Daraus wird jetzt nichts mehr?

Holznagel: Vor der Wahl gab es den Druck, dass wir trotz extrem hoher Einnahmen für alle Gebietskörperschaften etwas tun müssen, weil uns die Ausgaben schneller davonlaufen, als die Einnahmen dieses Tempo überhaupt einholen könnten. Diesen Druck hat man mit den »Über-Nacht-Beschlüssen« rausgenommen. Das gilt zum Beispiel für einen der problematischsten Ausgabentreiber, nämlich die Rente, aber auch für die kommunale Finanzlage, die Migration, das Bürgergeld. Jetzt lehnen sich alle beruhigt zurück und sagen: Wird schon.

Aber ist es nicht so, dass zumindest das Sondervermögen für die Bundeswehr notwendig ist?

Holznagel: Wir müssen in der Diskussion zwischen Bundeswehr und Wehrfähigkeit trennen. In Deutschland, auch in Europa, werden enorme Geldsummen bewegt. Am Ende können wir uns aber nicht darauf einigen, wie dieses Geld eingesetzt wird. Es gibt keine Idee einer gemeinsamen Wehrfähigkeit, keine Idee einer gemeinsamen Aufrüstungsstrategie in den einzelnen Waffensegmenten und -ausstattungen. Doch weil ein Land allein nicht das notwendige Niveau herstellen kann, müssen wir die Kräfte bündeln und genau definieren, wer was macht. Das Weißbuch der Bundeswehr muss zu einem Weißbuch für Europa werden.

Herr Merz hat ja nicht nur 400 Milliarden Euro in den Raum gestellt. Er hat auch gesagt: Whatever it takes, koste es, was es wolle. Ist das jetzt eigentlich ein Blankoscheck oder ist es das wichtige Signal an die Welt, dass Deutschland bereit ist, wirklich alles für Verteidigung zu geben?

Holznagel: Die Strukturen, die jetzt geschaffen werden sollen, haben eine Blankoscheck-Identität, weil wir keine Deckungskomponente mehr haben. Der Haushalts- und der Verteidigungsausschuss haben für den Rüstungsbereich völlig freie Hand. Alles, was über ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts an Mehrausgaben getätigt wird, interessiert die Schuldenbremse nicht mehr. Niemand muss mehr hinterfragen, ob die Planungen wirklich sinnvoll sind. Weil es diese Probleme an dieser Stelle nicht mehr gibt, gibt es sie auch für die anderen Ministerien nicht mehr. Denn das übliche große Tauziehen im Bundeshaushalt entfällt.

Der Bund der Steuerzahler lehnt auch das neue Sondervermögen Infrastruktur für Straßen, Schienen und Schulen ab, obwohl Ökonomen aller Denkschulen dafür plädieren. Was wissen Sie, was die Professoren nicht wissen?

Holznagel: Anders als viele Ökonomen schauen wir uns an, welche konkreten Projekte am Ende stehen. In Deutschland gibt es ein Wirrwarr an Zuständigkeiten: Wir haben die Bundesebene, wir haben die Landesebene, wir haben die Kommunen. Es gibt nur noch wenige Projekte, für die eine Ebene konkret zuständig ist. Deshalb haben wir eine riesengroße Mischfinanzierung. Salopp gesagt: Wenn ich Sie heute alle ins Möbelhaus einlade und sage, ich übernehme 70 Prozent der Kosten, dann wird der ein oder andere sich einen Stuhl kaufen, den er gar nicht braucht. Genau das wird mit dem Geld eines »Sondervermögens Infrastruktur« passieren. Das Sondervermögen wird zum staatlichen Selbstbedienungsladen.

Friedrich Merz will ein Digitalministerium schaffen und gleichzeitig die Zahl der Regierungsbeamten reduzieren. Das müssten Sie doch gut finden.

Holznagel: Leider nein. Ich habe das von Anfang an kritisiert und halte das für eine absolut nicht zielführende Idee. Mehr Digitalisierung wollen alle, aber hinter diesem Schlagwort kann sich vieles verbergen. Wenn wir uns ein Ministerium vorstellen, dann gibt es dort, neben dem Minister noch Staatssekretäre, Abteilungsleiter, Unterabteilungsleiter und so weiter. Und Ministerien haben die Eigenart, sich von anderen Ministerien abzugrenzen. Jeder lässt sich von anderen Häusern ungern etwas sagen. Besser wäre eine Digitalagentur, die allen Behörden bei der Software und der Hardware Leitplanken vorgibt, also einheitliche Programme und Technik vorschlägt. Das Problem ist, dass Länder und Kommunen sowieso wieder ihr eigenes Ding ma-chen.

Sie sind zwar kein Prophet, aber Sie sind lange im Berliner Betrieb dabei. Wird Merz der nächste Kanzler?

Holznagel: Definitiv. Die Klebemasse von Schwarz-Rot sind Schulden, die Freigabe dafür holen sie sich noch vom alten Bundestag. Die CDU hat sich doch schneller wieder auf GroKo eingestellt, als das selbst der ein oder andere Christdemokrat wahrhaben wollte. Und in der SPD setzt niemand auf die Karte, sich in der Opposition erholen zu können. (GEA)

ZUR PERSON

Reiner Holznagel ist seit 2012 Präsident des Bundes der Steuerzahler. Der Verband, Markenzeichen ist das Schwarzbuch der öffentlichen Verschwendung, arbeitet seit einem dreiviertel Jahrhundert als Interessenvertretung der Steuerzahler in Deutschland. Holznagel, Jahrgang 1976, studierte Politische Wissenschaften, Öffentliches Recht und Psychologie in Kiel. Danach arbeitete er unter anderem als Pressesprecher für die CDU Mecklenburg-Vorpommern, um anschließend beim Bund der Steuerzahler in verschiedenen Positionen Karriere zu machen. (GEA)