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So haben die Reporter die GEA-Serie »Lass uns reden« erlebt

VomStreit um die Corona-Regeln über Fleischkonsum bis hin zur Debatte um Tempolimits, der GEA hat versucht, kontroverse Themen anzusprechen und Andersdenkende ins Gespräch zu bringen. Das ist die Idee der GEA-Dialog-Serie. Welche Erfahrung wir mit dieser Form des Dialogs gemacht haben und welche Reaktionen es auf die GEA-Serie gab, haben wir zusammengefasst. Die Bilanz eines journalistischen Experiments in fünf Punkten

Immer dabei: Unser Fotograf Markus Niethammer.  FOTO: SCHITZ
Immer dabei: Unser Fotograf Markus Niethammer (rechts). FOTO: SCHITZ
Immer dabei: Unser Fotograf Markus Niethammer (rechts). FOTO: SCHITZ

REUTLINGEN. In der Serie »Lass uns reden« wollten der GEA die Leser über kontroverse Themen diskutieren lassen. Dabei ging es um die Frage, ob trotzt der oft beklagten Spaltung der Gesellschaft eine Diskussion mit Andersdenkenden möglich ist. Nach fünf Teilen ist die Serie nun beendet. Wir haben das zum Anlass genommen, um unsere Erlebnisse und Erkenntnisse zusammenzufassen. Das Fazit eines journalistischen Experiments.

- Diskussionskultur

Als Beobachter von Diskussionen in den sozialen Medien könnte man meinen: Die Menschen sind nicht mehr in der Lage ruhig und sachlich über Politik zu diskutieren. Egal, ob es um Corona oder Windenergie geht: Andersdenkenden wird in Großbuchstaben auch mal vorgeworfen, dass sie IDIOTEN oder Schlimmeres sind. Die »normalen« Meinungen finden da oft gar keinen Platz mehr. Ein Windenergie-Gegner berichtete nach dem Aufruf bei »Lass uns reden«, er habe wegen seiner Meinung bereits Morddrohungen erhalten. Andere erzählen, dass sie in ihrem privaten Umfeld oder in den sozialen Medien gar nicht mehr über Politik diskutieren – entweder, weil sie nicht beschimpft werden wollen, oder weil sie keinen Streit vom Zaun brechen wollen.

Kein Wunder also, dass viele der Leser, die sich bei uns meldeten, Angst hatten vor dem Gespräch. Es stellte sich aber heraus: Die Angst war unbegründet. Egal wie groß die Meinungsunterschiede waren, bei »Lass uns reden« kam jedes Mal ein ruhiges Gespräch zustande. Vielleicht mag das daran liegen, dass sich nur diejenigen zu einer Diskussion angemeldet haben, die auch tatsächlich an einem Gespräch interessiert waren. Daran, dass es etwas anderes ist, sich anonym zu beleidigen oder sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberzusitzen. Oder auch daran, dass unsere Leser alle eine gute Erziehung genossen haben. Egal, denn die Hauptsache ist: Wir können noch zivilisiert miteinander reden – so unterschiedlich unsere Standpunkte auch sein mögen. (geu)

- Frauen

Zwei Gesprächspartner mit unterschiedlicher Meinung zu finden, war oft gar nicht so einfach. Als noch schwieriger stellte sich aber heraus, auch Frauen zum Mitdiskutieren zu bewegen. Das GEA-Team von »Lass uns reden« forderte deshalb im Aufruf zum Thema Klimawandel extra auch Frauen zum Mitmachen auf. Die Reaktion darauf: Ein männlicher Leser schrieb uns, ob wir nicht an seiner Meinung interessiert wären.

Woran liegt es, dass so wenige Frauen mitdiskutieren? Auch bei politischen Parteien oder in Eherenämtern fällt auf, dass Frauen oft in der Minderheit sind. Wir haben leider keine gute Antwort gefunden, warum sich so wenige Frauen bei uns meldeten. Doch wir wollen Frauen ermutigen, auch in politischen Diskussionen mitzumischen. Die weibliche Sicht der Dinge unterscheidet sich häufig von der männlichen – und es ist wichtig, dass auch diese Seite gehört wird.

Immerhin: Beim Thema Fleischkonsum traute sich Vegetarierin Gabi Widmaier, mitzureden. Sie war die Einzige, die die Frage, ob wir auf Fleisch verzichten sollten, mit einem klaren »Ja« beantwortet hat. Obwohl sie sich vorher vor einer »richtig bösen Diskussion« fürchtete, stellte sie sich dem Gespräch mit Dieter Schmidt. Anschließend befand sie: »Wir haben uns nicht zerfleischt«. (mewe/geu)

In vollem Einsatz: GEA-Volontärin Melinda Weber dreht ein Video.  FOTO: NIETHAMMER
In vollem Einsatz: GEA-Volontärin Melinda Weber dreht ein Video. FOTO: NIETHAMMER
In vollem Einsatz: GEA-Volontärin Melinda Weber dreht ein Video. FOTO: NIETHAMMER

- Junge Leute

Klimawandel, Fleischverzicht, Tempolimit: Einige unserer Themen in der Serie »Lass uns reden« waren solche, die besonders die jüngere Generation im Alltag beschäftigen: Für den Klimawandel gehen regelmäßig seit den Fridays For Future Demonstrationen zehntausende Jugendliche und junge Erwachsene auf die Straßen. Vegane Kochbücher und vegetarisches Street Food sind der Renner bei jungen Kulinarikfans. Immer mehr Menschen der jüngeren Generation verzichten aufs Autofahren, für andere von ihnen gehört der schnelle AMG-Mercedes zum Lifestyle dazu. Wir dachten daher, mit unserer Serie auch jüngere Personen zum Mitdiskutieren anzuregen. Weit gefehlt! Die unter 30-Jährigen, die sich bereit erklärten, mitzumachen, sind nicht mal an einer Hand abzuzählen.

Klar: Eine Erklärung dafür könnte sein, dass unsere Leserschaft natürlich viel älter ist – und obwohl wir über die sozialen Netzwerke zum Mitmachen aufriefen, schien auch da unser Publikum betagter zu sein. Die Fridays For Future Gruppe Reutlingen hätte grundsätzlich dann schon auch mitgemacht – nur der Termin war ihnen zu kurzfristig und die Mail, die wir ihnen sendeten, wollten sie erst im Plenum besprechen.

Insgesamt ergab sich für uns so der Eindruck: Junge Menschen möchten mitdiskutieren, das sehen wir ja jeden Tag. Nur unser Medium scheint für sie in dieser Hinsicht nicht (mehr) interessant zu sein. (mai)

- Meinungsspektrum

Die Idee zum Projekt »Lass uns reden« kam unserer Redaktion, als wir die ersten Corona-Demonstrationen sahen. Wieder machten Bürgerinnen und Bürger damals deutlich, dass sie sich in diesem Land nicht verstanden fühlten. Wieder gab es Bürgerinnen und Bürger, die betonten, ihre Meinung in den Medien nicht mehr öffentlich sagen zu dürfen. Wie die Male davor, in denen uns als Zeitung so der Vorwurf gemacht wurde, nur bestimmten Meinungen eine Plattform zu geben, waren wir zunächst überrascht: »Man darf hier doch alles sagen, solange es auf dem Boden des Grundgesetzes steht!«, dachten wir. Gleichzeitig wollten wir dringend etwas tun, um allen gesellschaftlichen, demokratischen Bevölkerungsschichten noch mal zu signalisieren, dass wir an ihrer Meinung interessiert seien – solange sie auf demokratischem Fuß stünde. Als wir die Serie starteten, war unsere Hoffnung daher, von allen gesellschaftlichen, demokratischen Rändern und aus allen Meinungsspektren Zuschriften zu erhalten. Ganz funktioniert hat dieser Plan nicht.

So meldeten sich bei uns im Rahmen des Projekts zwar viele Menschen, deren Meinungen sich zu verschiedenen Themen unterschieden. Meist vertraten unsere Gesprächspartner dennoch gemäßigte Ansichten. Zuschriften von radikalen Menschen, unabhängig ihrer demokratischen Gesinnung bekamen wir gar nicht. Unsere Gesprächspartner artikulierten sich anders als jene, die den Medien im Lockdown vorwarfen, sich nicht um sie zu kümmern.

Warum sich unsere Anspruchshaltung und die Realität letztendlich unterschieden, bleibt nur zu mutmaßen. Vielleicht ist die Zeitung bei jenen, die wir auch erreichen wollten, bereits abgeschrieben. Vielleicht haben manche Menschen den Dialog auch bereits aufgegeben. (stan)

Die Macher der GEA-Dialog-Serie (von links): Stanislav Schitz, Karin Geupel, Mareike Inhoff, Kathrin Kammerer und Davor Cvrlje.
Die Macher der GEA-Dialog-Serie (von links): Stanislav Schitz, Karin Geupel, Mareike Inhoff, Kathrin Kammerer und Davor Cvrlje. FOTO: NIETHAMMER
Die Macher der GEA-Dialog-Serie (von links): Stanislav Schitz, Karin Geupel, Mareike Inhoff, Kathrin Kammerer und Davor Cvrlje. FOTO: NIETHAMMER

- Die Leserreaktionen

Blickt man auf alle fünf Serienteile zurück, fällt auf, dass die Resonanz insgesamt positiv war. Den Leserinnen und Leser war es ein besonders Anliegen, angehört zu werden. Sie wollten einfach mal ganz ungefiltert ihre eigene Meinung sagen dürfen. Auch zu kontroversen Themen wie den Corona-Regeln, Fleischkonsum, Windkraft, Generationengerechtigkeit oder Tempolimit. Vereinzelt wurde uns vorgeworfen, Verschwörungstheoretikern eine Bühne zu bieten. Doch die breite Mehrheit lobte uns für den Mut, auf die Leser zuzugehen und den Dialog mit Andersdenkenden voranzutreiben.

Darüber hinaus zeigte sich bei den Leserreaktionen eine weitere Konstante: Anfangs war bei vielen Lesern eine gewisse Skepsis gegenüber der Presse und dem GEA zu spüren. Das reichte vom Wunsch, den Text gegenzulesen bevor er erscheint bis hin zum Vorwurf, der GEA sei ferngesteuert und wir dürften nicht schreiben, was wir wirklichen denken. Manche sprachen sogar von Lügenpresse, andere verpackten den Vorwurf dezenter. Doch bei vielen Reaktionen war das generelle Misstrauen gegenüber der Presse zu spüren. Erfreulich war, dass es uns in den meisten Fällen gelang, diese Vorwürfe zu zerstreuen oder zumindest abzubauen. Genau das war ja auch ein Ziel unserer Serie und hat uns darin bestätigt, dass sich der Dialog lohnt, weil er Vorurteile abbaut und zum Nachdenken anregt. (cvr)

GEA DIALOG

Eine Bilanz der GEA-Serie »Lass uns reden« gibt es auch auch als Video. Dort berichten die beteiligten Journalisten über ihre Eindrücke, was sie aus den Begenungen gelernt haben und was sie überrascht hat. Im Internet kann man auch noch mal alle Teile der GEA-Serie nachlesen. Beides finden Sie unter der Adresse: www.gea.de/themen/dialog.