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Scheinbar niedrige CO₂-Emission Deutschlands: kein Grund zum Zurücklehnen

Deutschland verursacht nur rund zwei Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen. Der Anteil mag klein wirken, doch die Verantwortung ist groß.

Zu wenig Wasser: Dürre macht dem deutschen Wald zu schaffen. Hier sind es abgestorbene Fichten.  FOTO: BERG/DPA
Zu wenig Wasser: Dürre macht dem deutschen Wald zu schaffen. Hier sind es abgestorbene Fichten. FOTO: BERG/DPA
Zu wenig Wasser: Dürre macht dem deutschen Wald zu schaffen. Hier sind es abgestorbene Fichten. FOTO: BERG/DPA

REUTLINGEN. Die CO2-Emissionen und die sich daraus ergebende Erderwärmung sind ein heißes Thema. Manche Leute bleiben allerdings ganz cool. Ihr Argument: Deutschland, beziehungsweise die Menschen hierzulande, seien für höchstens zwei Prozent des weltweit ausgestoßenen Kohlendioxids verantwortlich.

Wobei es 2023 laut Umweltbundesamt (UBA) und Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) genau 1,83 Prozent gewesen sind.

Für bestimmte Kreise folgt daraus, dass Deutschland noch so viel investieren könne, um CO2-neutral zu werden, global gesehen spiele das überhaupt keine Rolle. Das Argument scheint zunächst richtig zu sein. Bei Licht betrachtet ist es jedoch fatal falsch.

Zunächst einmal zu den zwei Prozent. Die »zwei« ist von allen Zahlen außer der Null die zweitniedrigste, scheint also an sich nichts Schlimmes zu sein. Zwei Prozent, als Bruch einem Fünfzigstel entsprechend, ist quasi nichts. Der Denkfehler liegt darin, dass es nicht auf den scheinbar niedrigen Prozentsatz ankommt, den der Mathekundige mit p bezeichnet, sondern auf die Größe des Grundwerts G.

Der Grundwert ist wichtig

Mal angenommen, es ist jemand bei einem Getränkehersteller für das Marketing zuständig und überlegt, welche Geschmacksrichtung er nächsten Sommer auf den Markt bringen soll. Da erfährt er von einer Umfrage, der zufolge zwei Prozent der Bevölkerung Minze mag. Minze! Klar, Kultgetränk des nächsten Sommers wird »Mint Sprizz«, denn 1,6 Millionen Menschen in Deutschland mögen das. Weltweit sogar 160 Millionen Menschen! Was für ein Markt! Und #mintsprizz explodiert sofort!

Nach dieser Überlegung sind 1,83 Prozent von den laut PIK 2023 weltweit ausgestoßenen 36,8 Milliarden Tonnen CO2 exakt 674 Millionen Tonnen, nicht nichts. 674 Millionen Tonnen – eine ungeheure Menge, die dem Ökosystem Erde enorm schadet.

Das mit den zwei Prozent ist auch demokratietheoretisch grenzwertig. Wer meint, »nur« zwei Prozent seien »wenig« und nicht »wichtig«, dürfte ja nie an einer Wahl teilnehmen, zumindest nicht an einer Bundestagswahl. Laut Bundeswahlleiterin sind da gut 60 Millionen Deutsche wahlberechtigt. Eine Stimme zählt also ein Sechzigmillionstel: 0,0000000166 Prozent. Und das ist gut so. So funktioniert Demokratie.

Der Mensch hat manchmal für etwas die Verantwortung, das auf den ersten Blick nach sehr, sehr wenig aussieht. So ist eben ein bestimmter Hausbesitzer im Winter für genau das kleine Stück Gehweg vor seinem Haus verantwortlich, obwohl sein Anteil an der gesamten »Gehweglänge« einer Stadt minimal ist.

Natürlich muss man auch Menschen respektieren, die mit dem Zwei-Prozent-Argument um die Ecke kommen. Die Frage ist, ob man sie zu einer Party einlädt. Aus der Sicht der Gastgeberin oder des Gastgebers sieht das dann so aus: 50 Gäste, die gemeinsam essen, trinken, feiern. Und bei der Frage, wer am nächsten Morgen hilft aufzuräumen, stehlen sich alle mit dem Argument davon, sie seien doch nur für zwei Prozent der Sauerei verantwortlich. Für die übrigen 98 Prozent könnten sie nichts.

Kohlendioxid in der Atmosphäre als Deponie ist eine Sauerei – so die Wissenschaft. Und die Behauptung, mehr CO2 rege das Pflanzenwachstum an, ist längst widerlegt und war noch nie logisch: Pflanzen brauchen zum Wachstum auch Nährstoffe aus dem Boden und Wasser. Beides steht aber nicht in größerer Menge zur Verfügung, nur weil mehr CO2 vorhanden ist. Jedes zusätzliche Molekül CO2, das wir produzieren, ist einfach Abfall. Und als Abfall zählt der Stoff zur selben Kategorie wie Zigarettenkippen auf der Straße, Altöl im Boden oder Plastikflaschen in den Flüssen. Wir müssen auf null.

Afrika ist von der Erderwärmung besonders betroffen – ohne selbst viel dazu beizutragen.  FOTO: DELAY/DPA
Afrika ist von der Erderwärmung besonders betroffen – ohne selbst viel dazu beizutragen. FOTO: DELAY/DPA
Afrika ist von der Erderwärmung besonders betroffen – ohne selbst viel dazu beizutragen. FOTO: DELAY/DPA

Das Argument, erst mal müsse China vorangehen, weil dort die großen Kohlendioxidschleudern stehen, ist nicht durchdacht. Ebenso gut könnte man argumentieren, in Jangtse und Ganges schwämmen hundertmal mehr Plastikflaschen als in Echaz und Erms. Das zählt nicht. Nur Null zählt.

Der Jangtse ist der größte Fluss in China und China der größte CO2-Emittent der Welt. Das ist so. Allerdings produzieren chinesische Fabriken auch einen Großteil der Güter dieser Welt. Selbst Deutschland hat seine industrielle Produktion im Wesentlichen nach China ausgelagert. Konsumgüter sowieso, aber auch Investitionsgüter wie Solarzellen, einst eine große Hoffnung hierzulande, stammen quasi zu 100 Prozent aus China. Und um eine Prognose zu wagen: Mit Elektroautos, zumindest mit den eher günstigen, wird es uns genauso ergehen. Mal abgesehen davon – China hat in den vergangenen drei Jahrzehnten noch genug damit zu tun gehabt, sich aus der größten Armut herauszukämpfen.

Was ebenfalls zählt, ist der Ausstoß von Kohlendioxid pro Kopf. Da sieht es schon anders aus. Wer sich je die Mühe gemacht hat, sein durch eine Flugreise verursachtes CO2 zu kompensieren, oder wenigstens nachzusehen, wie das funktionieren könnte mit dem Kompensieren, mag mit den Größenordnungen ein wenig vertraut sein.

Pro Kopf entfallen auf einen Einwohner in Deutschland laut Umweltbundesamt 10,8 Tonnen (wobei es sich streng genommen um sogenannte CO2-Äquivalente CO2e handelt). Ein Hin- und Rückflug Stuttgart – Mallorca oder etwa 3.000 Kilometer Autofahrt verursachen, wie Atmosfair angibt, rund 560 Kilogramm des klimaschädlichen Gases. Genauso hoch ist die Jahresemission pro Kopf in Äthiopien. »Klimaverträglich« wären 1.500 Kilogramm pro Kopf. Einen herzlichen Gruß und ein Dankeschön nach Äthiopien, dass es denen nicht auch noch einfällt, nach Malle zu fliegen. Sie haben andere Sorgen.

Das Beispiel Äthiopien zeigt, dass die Menschen nicht nur dort, sondern in ganz Afrika extrem wenig zur Klimakrise beitragen. Der Dienstleister Statista gibt an, es wären nur vier Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, die auf den gesamten Kontinent zurückgehen. »Der Kontinent hat wenig zur Krise beigetragen, leidet aber unverhältnismäßig stark darunter«, schrieben die Verantwortlichen von 50 medizinischen Fachzeitschriften im Vorfeld der Klimakonferenz von Sharm el-Sheikh (Ägypten). Sie fordern mehr »Klimagerechtigkeit« für Afrika. »Schon jetzt gibt es verheerende gesundheitliche Auswirkungen der Klimakrise in Afrika. In West- und Zentralafrika führten Überschwemmungen infolge des Verlusts von Unterkunft, Anbaufläche und Viehbestand zu Todesfällen und erzwungener Abwanderung. Die Zahl der Dürren in Afrika südlich der Sahara hat sich zwischen den Zeiträumen 1970 bis 1979 und 2010 bis 2019 verdreifacht«, berichten sie in Heise online.

Doch selbst an dieser Stelle versuchen die Starken im Norden, den Schwachen im Süden die Schuld zuzuschieben. Die hohe Geburtenrate und die Überbevölkerung seien es, sagen sie, die die Probleme der Welt verursachen. Das ist ein schönes Beispiel für eine Täter-Opfer-Umkehr.

Ja, es stimmt, Niger (Westafrika) hat die höchste Geburtenrate der Welt. Allerdings laut Weltbank auch einen so geringen CO2-Fußabdruck, der gar nicht der Rede wert ist: 0,09 Tonnen pro Kopf und Jahr.

2015 fand in Paris eine Klimakonferenz statt, die für das Thema CO2-Reduktion die größte Bedeutung hat. Damals einigten sich 197 Staaten auf ein Klimaschutzabkommen. Sie verpflichten sich darin, den globalen Temperaturanstieg zu begrenzen und die Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Bei den Leuten, die mit dem Zwei-Prozent-Argument daherkommen, schwingt immer ein bisschen mit, wir Deutschen seien die einzigen Doofen, die sich ein ambitioniertes Klimaziel gesetzt hätten. So ist das nicht! Es sind im Prinzip alle! Auf der ganzen Welt! Und es gibt, wie gesagt, einen Vertrag. Wenn nun Deutschland aussteigt, was hält dann andere Staaten in diesem Vertrag, die bedeutend weniger Treibhausgase ausstoßen?

Und dann gibt es noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021. Der Spiegel-Autor Christian Stöcker schreibt in seinem Buch »Männer, die die Welt verbrennen«: »Die lesenswerte Urteilsbegründung enthält zum Beispiel auch einen Satz für Freunde der Behauptung, Deutschland müsse gar nichts unternehmen, weil es nur für zwei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich sei: ›Der Staat kann sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf Treibhausgasemissionen anderer Länder entziehen.‹« Stöcker: »Wenn wir wollen, dass die Welt den Schritt zurück vom Abgrund macht, müssen wir als drittgrößte Volkswirtschaft und viertgrößter Kohlenstoffdioxidemittent (aus Verbrennungsprozessen) selbst damit anfangen.« Der etwaige Einwand, es gebe keinen Abgrund, ist nicht akzeptabel.

Urteil des Verfassungsgerichts

Auf der Webseite des Bundesministeriums für Wirtschaft, von der die Informationen zur Pariser Konferenz stammen, heißt es außerdem, die Industrie in Deutschland würde große Anstrengungen unternehmen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Im Zeitraum 1990 bis 2015 habe Deutschland seine Emissionen insgesamt um 22,4 Prozent verringert. Da gibt es eine alternative Betrachtungsweise: Die Verringerung ergibt sich größtenteils aus dem Zusammenbruch der DDR-Industrie und aus der Verlagerung fast der gesamten Konsumgüterindustrie nach Fernost. China, wie schon erwähnt.

So sieht es derzeit aus, als ob Deutschland dank seiner »unglaublichen« Anstrengungen recht gut dastünde. Ja, derzeit trägt unser Land zwei Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß bei. Wer allerdings ein bisschen in die Geschichte zurückblickt, weiß, dass Deutschland schon seit mehr als hundert Jahren ein Industrieland ist, das, wie alle anderen auch, die Umwelt gehörig in Anspruch nahm. Experten zählen daher das »historische« Kohlendioxid aus den Jahren 1918 bis 2012 zusammen und kommen auf einen Anteil Deutschlands von 5,6 Prozent. Und 5,6 ist nun einmal mehr als 1,83. Zumal Deutschland nur ein Prozent, die Hälfte von zwei, der Weltbevölkerung stellt.

Dieses Kohlendioxid hat ja die Eigenschaft, sich durch die »natürlichen physikalischen und biogeochemischen Prozesse im Erdsystem« nur sehr langsam abzubauen, so das Umweltbundesamt. Das erlaubt den Rückblick in die Geschichte. Seit dem Beginn der Industrialisierung hat sich die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre in etwa verdoppelt – auf rund 420 ppm, heißt Parts per Million, sind also 420 Teile von einer Million. Folglich dürfte es mehrere hundert Jahre dauern, bis das Gas durch diese natürlichen Prozesse wieder auf die Hälfte reduziert ist.

Methan, ein viel stärker klimaschädliches Treibhausgas, hat mit dem Zwei-Prozent-Argument etwas Gemeinsames: Im Vergleich zum CO2 zerfällt es im Nullkommanichts. (GEA)