BERLIN. Die letzten Tage waren zum Abgewöhnen für den Kanzlerkandidaten der Grünen. Ohne Not hatte sich Robert Habeck selbst in die Bredouille gebracht. Mit seinem nicht zu Ende gedachten Vorschlag, Kapitalerträge wie Zinsen und Dividenden mit Sozialversicherungsbeiträgen zu belegen, hat er seinen Ruf aufs Spiel gesetzt. Gerade hatte sich der 55-Jährige in der Wählergunst nach oben gearbeitet, war bei der persönlichen Beliebtheit an Olaf Scholz und Friedrich Merz vorbeigezogen. Und nun das. Ein Eigentor geschossen und dabei noch den Knöchel verstaucht. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger etwa war baff, dass der deutsche Wirtschaftsminister nicht weiß, wer in die Sozialkassen einzahlt und wer nicht. »Da fehlen mir die Worte«, sagte Dulger.
Union und FDP konnten sich also keinen besseren Zeitpunkt wünschen, um Habeck im Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg zu befragen. Die SPD auch, aber sie musste sich zurückhalten, weil sie mit Habeck noch in der Rest-Ampel koalieren muss und weil auch Bundeskanzler Scholz (SPD) auf der Zeugenliste stand.
Noch bevor Habeck am Donnerstag im Zeugenstand ankommt, geben CDU und CSU die Linie vor. Habeck habe von Beginn an ein Täuschungsmanöver geplant, eine ergebnisoffene Prüfung sei nie wirklich in seinem Sinne gewesen. Die FDP schimpft, die Grünen hätten sie hinter die Fichte geführt.
»Wo haben Sie das her? Das würde ich gerne mal schriftlich sehen«
Der Wirtschaftsminister hat sich vorgenommen, die stundenlange Befragung nicht einfach über sich ergehen zu lassen. Vor sich ausgebreitet liegen mehrere Stapel mit ausgedruckten Akten, E-Mails und Vermerken. Habeck ist bereit, sich mit den Abgeordneten anzulegen. Immer wieder lässt er sich Akten vorlegen und bestreitet die Interpretation durch Union und FDP. »Wo haben Sie die Erkenntnis her? Das würde ich gerne mal schriftlich sehen«, verlangt er. »Diese raunenden Anmerkungen sind schwer argumentativ zu fassen.« Habeck nimmt sich die Freiheit, die Abgeordneten zurückzufragen, obwohl das Verfahren des Ausschusses eigentlich das Gegenteil vorsieht. »Mir scheint, dass mit dieser Art der Kommunikation ein falsches Bild gezeichnet werden soll.«
Das Ziel der Habeck-Gegner war klar. Sie wollten ihm nachweisen, dass er trotz des Energieschocks nach dem russischen Überfall der Ukraine nie wirklich den Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke ins Auge gefasst hat. Dahinter steckt auch der Sinneswandel bei Liberalen und Konservativen. Sie hatten nach der Explosion des Reaktors im japanischen Fukushima einst beschlossen, noch schneller als geplant das Atomzeitalter in Deutschland zu beenden. In der Energiekrise entdeckten sie die strahlende Energieform neu für sich. »Bei Rot-Grün stand immer das Ende der Kernkraft im Vordergrund«, sagte der CSU-Energieexperte Andreas Lenz. Habeck will sich nicht als wirtschaftlicher Luftikus darstellen lassen, dem die Energieversorgung egal ist, um seiner grünen Ideologie treu zu sein. »Ich persönlich und mein Haus haben der Sicherheit der Energieversorgung alles untergeordnet«, sagt er.
Über Stunden geht der Kampf hin und her. Am Vormittag hatte er begonnen. Zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe war er noch nicht beendet. Immer wieder wird aus Schreiben zitiert, haarklein über Begriffe gestritten. Was meint der Streckbetrieb von Kernkraftwerken? Was meint Einsatzreserve?
»Wenn die nicht da sind, laufen die alten Möhren weiter«
Im Grunde wird über die abgeschlossene Vergangenheit – die letzten drei AKW sind seit fast zwei Jahren vom Netz – gestritten, aber der Streit betrifft die Gegenwart. Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise, die Industrie produziert wegen hoher Energiepreise deutlich weniger. Dunkelflauten sorgen seit Wochen immer wieder dafür, dass Wind- und Solarkraft wenig Strom produzieren. Die Energiekonzerne bringen an einzelnen Tagen jedes alte Kraftwerk an den Markt, das irgendwo in Deutschland steht. »Wenn die nicht da sind, laufen die alten Möhren weiter«, muss auch Habeck einräumen. Er gibt zu, dass es ihm nie darum ging, die drei Kernkraftwerke länger als einige Monate weiterlaufen zu lassen. Es sei kein Geheimnis, dass seine Partei aus der Anti-AKW-Bewegung komme. »Atomkraftwerke passen nicht zu einem flexiblen Energiesystem«, erläutert Habeck. Am Kern der Grünen rüttelt er also nicht.
CSU-Mann Lenz hält ihm entgegen, dass die drei Meiler einen Unterschied machen könnten, wären sie nicht abgestellt worden. »Ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke hätte außerdem einen signifikanten Effekt hinsichtlich der Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit gehabt«, erklärt er. Die Frage Preiseffekte und CO2-Einsparpotential habe das Habeck-Ministerium nicht einmal abgeprüft. Aber Lenz sagt auch: »Wir alle sind im Wahlkampfmodus, obwohl es nicht um Wahlkampf geht.« (GEA)