BERLIN/REUTLINGEN. Die neueste Version des Standortrankings Deutschland des Informationsnetzwerks »Die Deutsche Wirtschaft« (DDW) ist erschienen. Insgesamt sind 4.030 Städte in Deutschland erfasst, Reutlingen landete im Gesamtvergleich auf Platz 61 (Vorjahr Platz 60). Das Urteil der Leser sieht die Stadt an der Echaz sogar auf Platz 1. Immer wieder jedoch steht die Frage im Raum, wie solche Standortbewertungen einzuordnen sind und was sie den betroffenen Kommunen wirklich bringen.
Fazit der aktuellen Befragung ist, dass die Top-10 der stärksten Unternehmensstandorte unverändert bleiben. München, Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Köln, Stuttgart, Essen, Bonn und Wolfsburg führen weiterhin das Ranking an. Jena, Garching bei München und Fürth stießen neu zur Top-100 dazu. Reutlingen führt bei der individuellen Standortbenotung.
DDW erklärt, dass die Veränderungen im aktuellen Ranking aus verschiedenen Ursachen, wie beispielsweise der wirtschaftlichen Entwicklung der Top-Unternehmen resultieren. Unternehmensaufspaltungen, Verkäufe, Verlagerungen und zuletzt vermehrt Insolvenzen würden sich aber auf die Datengrundlage auswirken. Das alles sowie eine laufende, öffentliche Standortbenotung beeinflusst das Ranking. Jüngst habe die DDW für die neue Version erstmalige die Unternehmensgruppe der sogenannten Hidden Champions (mittelständische Unternehmen, die in Nischenmärkten Weltmarktführer sind, aber in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind, Anm. d. Red.) berücksichtigt. Insgesamt beläuft sich die Zahl dieser Unternehmen, die in der aktuellen Statik miteingeflossen sind, auf 2.084.
Drei Unternehmen der Reutlinger Top-10 sind insolvent
Von den Initiatoren heißt es, dass das halbjährlich erscheinende Ranking die wirtschaftliche Bedeutung deutscher Städte hinsichtlich ihrer Unternehmensstärke bewerte und dadurch die Auswirkungen der Veränderungen in der Unternehmenslandschaft auf Standortebene aufzeige. Basis des Rankings seien rund 25.000 als »relevante Marktakteure« eingestufte Topunternehmen Deutschlands. Schaut man genauer hin, so ergeben sich bereits hier gewisse Ungereimtheiten. In der Standortbeschreibung Reutlingens tauchen bei den größten zehn Firmen zwei in der Auflistung auf, welche sich aktuell in einem Insolvenzverfahren befinden. In diesem Rahmen sind auch die aufgelisteten Personalzahlen mehr als fragwürdig. Zudem werden teilweise geschätzte oder veraltete Umsatzzahlen aufgeführt und landen in der Bewertung.

Häufig kommt Kritik an den Standortrankings wegen der willkürlichen Auswahl von Indikatoren, da diese oft subjektiv und nicht immer repräsentativ für die Stärken und Schwächen eines Standorts ist. Zudem bemängeln Statistiker, dass in den Rankings oft auf kurzfristige Kennzahlen wie Wirtschaftswachstum gesetzt wird und im Gegenzug langfristige Aspekte wie struktureller Wandel oder Nachhaltigkeit vernachlässigt werden. Entsprechend zeigen die Kritikpunkte, dass Standortrankings besser als eine Momentaufnahme, denn eine längerfristige Situationsbeschreibung zu bewerten sind.
IHK setzt auf eigene Erhebungen
So sieht auch die IHK die vorliegende Bewertung der Stadt Reutlingen kritisch und verlässt sich lieber auf eigene Erhebungen. »Derlei Rankings gibt es viele. Häufig verfolgen sie damit das Ziel, Detailanalysen zu verkaufen. Ob das bei diesem Ranking der Fall ist, können wir nicht beurteilen«, so eine Sprecherin der Industrie- und Handelskammer Reutlingen. Um die Situation für die Region einschätzen zu können, werte die IHK daher regelmäßig eigene Zahlen aus und befragt ihre Mitgliedsunternehmen. Schwerpunkte hierzu liegen in den Bereichen Standortzufriedenheit oder den Gewerbeflächen. Die IHK Reutlingen analysiert zudem fortlaufend volkswirtschaftliche Daten und Informationen zur Region und hat diese für die regelmäßig aktualisierte Veröffentlichung »Neckar-Alb in Zahlen« zusammengetragen. Für Unternehmerinnen und Unternehmer der Region sowie Entscheidungsträgern aus Politik und Gesellschaft dient die Publikation, mit Interpretationsansätzen und Ausblicken als Nachschlagewerk und wertvolle Grundlage für Entscheidungen, so die IHK.
Bei aller Kritik scheint zumindest der erste Platz in die Leserstatistik ein kleiner Lichtblick, da dieser zwar subjektiv, aber noch am unabhängigsten zu sein scheint. In insgesamt sieben Fragen bewerten die Teilnehmer der Umfrage beispielsweise Infrastruktur, Unternehmensnetzwerke sowie das Angebot von Gewerbeflächen und Arbeitnehmern mit Schulnoten von 1 bis 6. Reutlingen landet hier, wie bereits erwähnt, mit einer Durchschnittsnote von 1,57, auf Platz 1 der Liste. Die besten Bereiche der Stadt sind laut Befragung Arbeitsmarkt und Wirtschaftsförderung (jeweils Note 1,3). Am schlechtesten schneidet der Bereich Verwaltung ab, der aber immer noch mit einem Durchschnitt von 2,1 bewertet wird. (GEA)

