STUTTGART. So könne die Aussage der Kultusministerin nicht stehen bleiben. »Theresa Schopper (Grüne) wäre jetzt gut beraten, sich zu kümmern«, sagt der Rektor einer Stuttgarter Grundschule und ergänzt: »Eltern und Lehrkräfte müssen wissen, wie es weitergehen soll.« Damit bezieht sich der Pädagoge auf die neuen Kompetenztests Kompass 4. An diesen haben im November erstmals alle Viertklässler verpflichtend teilgenommen, die Ergebnisse sollen in die neue Grundschulempfehlung einbezogen werden. Doch besonders in Mathe ist Kompass 4 schlecht ausgefallen – zu schlecht.
Mit den Tests stimme was nicht, sagte Schopper. Etwa ein Zehntel der Tests ist ausgewertet. Würde es bei Mathe allein nach Kompass 4 gehen, bekämen aktuell 86 Prozent der Grundschüler eine Empfehlung für die Haupt- beziehungsweise Werkrealschule, acht Prozent würden es auf die Realschule schaffen und lediglich sechs Prozent wären für das Gymnasium geeignet. In Deutsch sind die Ergebnisse deutlich besser.
Zuletzt haben 44 Prozent der Viertklässler im Land eine Gymnasialempfehlung bekommen – auf Basis der Einschätzung ihrer Lehrer. »Wenn nun die Pädagogische Gesamtwürdigung der Lehrkräfte und Kompass 4 so stark auseinanderfallen, stimmt etwas nicht, und wir müssen uns jetzt genau anschauen, woran das liegt«, sagte Schopper.
Das Vorgehen der Verwaltung »kommt nicht besonders geordnet rüber«, sagt der Stuttgarter Rektor. Er kritisiert, dass die neue Grundschulempfehlung und Kompass 4 überhastet eingeführt worden seien. »Warum dieser Zeitdruck? Warum hat man nicht erst einmal einen Probedurchlauf gemacht?«, fragt er. Dann wäre die Anspannung nicht so hoch gewesen. Nun brauche es dringend eine Erklärung der Ministerin, um Mütter und Väter zu beruhigen und Lehrkräfte zu unterstützen. Der Rektor plädiert für einen offiziellen Brief an die Eltern und eine Handlungsempfehlung für die Lehrer, damit sie wissen, wie sie nun mit den Tests umgehen sollen.
Als »peinlich« bezeichnet eine Rektorin die Ergebnisse der neuen Kompetenztests und die Aussage der Kultusministerin. In Deutsch sei Kompass 4 realistisch gewesen, in Mathe aber unterirdisch. »Der Schwierigkeitsgrad war hoch, der Zeitdruck immens«, so ihre Einschätzung. Sie wisse noch nicht, wie sie und ihr Team mit den Ergebnissen weiterarbeiten sollen. Die ganze Situation sei schlicht »unglaublich«.
Eltern und Lehrer verunsichert
Die Lehrerin hat Sorge, dass wenn der Elternwille und die pädagogische Gesamtwürdigung nun nicht übereinstimmen, viele Kinder auch noch den Potenzialtest machen müssen. Denn die neue Grundschulempfehlung sieht vor, dass die Viertklässler noch einmal eine Art Prüfung machen, wenn sie aufs Gymnasium wollen, obwohl Kompass 4 und die Einschätzung der Pädagogen dagegen sprechen. Insgesamt laste ein enormer Druck auf den Schülern. Und das, obwohl diese ihre Schulzeit noch in der Coronazeit begonnen hätten. »Das ist nicht okay. Die Kinder tun mir leid«, sagt die Rektorin. »Wir waren schon erst einmal baff«, kommentiert ihr Kollege die Kompass-Ergebnisse in Mathe. Er plädiert dennoch dafür, Ruhe zu bewahren, der Test dürfe nicht überbewertet werden. Kompass 4 sei am Anfang des Schuljahres geschrieben worden. »Manches von dem, was abgefragt wurde, hatten wir noch gar nicht behandelt.« Schließlich lasse der Stoffverteilungsplan einer Schule Spielräume, wann welches Kapitel gelehrt werde. Und ohnehin würden sich die Kinder bis zum Sommer noch »enorm entwickeln«. Wichtig ist dem Rektor auch, dass Kompass 4 nur ein Teil der neuen Grundschulempfehlung und nicht allein entscheidend sei.
Eine andere Stuttgarter Rektorin wird da noch deutlicher. Sie betont, dass an ihrer Schule die pädagogische Gesamtwürdigung unabhängig von Kompass 4 vorgenommen werde. Ohnehin empfinde sie die neuen Kompetenztests nicht als Vertrauensbeweis für ihr Kollegium. »Kompass 4 stellt unsere Beratungskompetenz infrage. Man misstraut uns, dass wir wohlwollend, objektiv und vorausschauend eine Empfehlung für das Kind aussprechen können«, sagt sie.
Der Mathe-Kompetenztest sei zu schwer gewesen. »Die Verantwortlichen hätten sich vorher den Bildungsplan anschauen sollen.« Kompass 4 habe den gesamten Soff aus Klasse 3 und 4 umfasst, viele Transferleistungen enthalten und sei sehr textlastig gewesen, was für Kinder schwierig gewesen sei, für die Deutsch nicht die Muttersprache sei. »Das Rechnen kam definitiv zu kurz.« Ein Problem sei auch, dass es bei der Bewertung nur richtig oder falsch gegeben habe; Teilpunkte für einen richtigen Rechenweg durften nicht vergeben werden.
An ihrer Schule seien die Tests nicht so schlecht ausgefallen wie im landesweiten Durchschnitt. Darauf sei sie stolz, dies sei ein Beweis für die sehr gute Arbeit ihres Kollegiums. Dennoch seien Kinder und Eltern nun völlig durch den Wind und die Lehrerschaft verunsichert. Aus ihrer Sicht »war Kompass 4 völlig unnötig und sollte einkassiert werden«. (GEA)