REUTLINGEN. Präsident Erdogan baut die Türkei zur Autokratie um. Er schaltet die freie Presse aus, mischt sich in die Justiz ein, stutzt die Zivilgesellschaft zurecht. Die Verhaftung von Herausforderer Imamoglu ist die nächste Eskalationsstufe. Sie macht die Wahl zur Farce, weil es keine Alternative gibt. Erdogans politisches Manöver erinnert an den Russen Putin, der seinen Gegner Nawalny erst mit Scheinvorwürfen wegsperrte und dann im Arbeitslager ermordete. Damit folgt der türkische Machthaber dem globalen Trend: Seitdem der Amerikaner Trump skrupellos seine Interessen durchsetzt, sind Machtpolitiker salonfähig.
Hoffnung macht jedoch der anhaltende Protest. Die Bürger gehen zu Zehntausenden auf die Straße, trotz Verbot, Polizeigewalt und Inhaftierung. Den zivilen Ungehorsam sollte man aber nicht überbewerten: Er wird getragen von Studenten in Großstädten. Für den Umsturz bräuchte es die breite Unterstützung durch die Bevölkerung auf dem Land. Und durch das Militär, das in der Türkei eine Schlüsselrolle spielt. Ein Lichtblick ist jedoch, dass sich die größte Oppositionspartei CHP hinter die Demonstrationen stellt. Sie ist bereits die stärkste politische Kraft auf Lokalebene.
Fragt sich, auf wessen Seite sich die EU schlägt. Europa braucht Erdogan: als Bremse gegen illegale Migration, als Militärposten in der Nato, als Brücke in den Nahen Osten. Darum wird die EU Erdogan vermutlich mit Samthandschuhen anpacken. Das weiß leider auch Erdogan. (GEA)