BERLIN. Kindergeld und Kindertagesbetreuung, kostenfreie Mitversicherung in der Krankenkasse und Wohngeld – Experten gehen von insgesamt mehr als 150 staatlichen Leistungen aus, die im Zusammenhang mit der Familienpolitik stehen. Bei den Betroffenen, den Eltern also, kommt das allerdings offenbar nicht so an. Trotz weitgehender Zuversicht wünschen sich viele Familien mehr staatliche Unterstützung, wie aus dem von der Regierung veröffentlichten »Familienreport 2024« hervorgeht. Rund zwei Drittel der befragten Eltern mit minderjährigen Kindern gaben an, dass es für ihren Haushalt wichtig oder sehr wichtig wäre, mehr Entlastung vom Staat zu erfahren.
Die Wahlprogramme der Parteien halten sich diesbezüglich eher zurück. In Zeiten knapper Kassen wollen sie den Mund nicht zu voll nehmen, die Erfahrung mit der Kindergrundsicherung wirkt nach. Das von der Ampelkoalition euphorisch angekündigte 12 Milliarden Euro teure Projekt wurde zunächst verschleppt, dann gar nicht mehr umgesetzt. Es gab sowohl finanzielle Probleme als auch inhaltliche Kritik der Koalitionspartner SPD und FDP am Prestigevorhaben der Grünen und ihrer Familienministerin Lisa Paus.
Familienbegriff im Wandel
Jahrzehntelang lautete die Gleichung für Familie: Mann plus Frau plus Kinder. Das Leitbild hat sich verändert. »Nicht nur in klassischen Familien, sondern auch in Patchwork- und Trennungsfamilien sowie bei Alleinerziehenden und in gleichgeschlechtlichen Beziehungen werden Werte gelebt, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind«, heißt es etwa bei CDU und CSU. Für die Linke ist »Familie dort, wo Menschen füreinander soziale Verantwortung übernehmen – unabhängig von Trauschein, sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität.«
Die Ziele hingegen variieren. Für die AfD sind in stramm völkischer Deklination Kinder »für die Weitergabe der eigenen Kultur, der Traditionen und der Fähigkeiten ihres Volkes« wichtig. Auf dem letzten Parteitag wurde gegen einigen Widerstand aus den eigenen Reihen am Ende gar die Notwendigkeit betont, möglichst viele Kinder in die Welt zu setzen.
Einen einheitlichen Zielkanon gab es in der Familienpolitik noch nie, allenfalls Annäherungen in den Positionen. Was die Parteien eint, ist das Festhalten am Elterngeld – auch wenn es nicht immer so genannt wird. Bei der AfD ist die Rede von einem »Erziehungsgeld, das Eltern die Eigenbetreuung ihre Kinder in den ersten drei Lebensjahren finanziell erleichtert«. Dafür taucht der Begriff »Kindergeld« im Wahlprogramm der Rechten nicht auf.
Von Armut bedroht
Die in ihrer dreijährigen Amtszeit grandios gescheiterte Familienministerin Paus stellte kurz vor Toresschluss kürzlich noch den »Familienbericht« vor. Demnach sind alleinerziehende Mütter besonders oft von Armut bedroht und trotz Erwerbstätigkeit oft auf ergänzende So-zialleistungen angewiesen. Das Armutsrisiko von Alleinerziehenden ist dreimal höher als das von Frauen in Paarbeziehungen. Einen neuen Lösungsansatz konnte die Grüne nicht präsentieren, dafür die ewig alte politische Forderung nach einer verlässlichen Kinderbetreuung.
Seit Mitte 2013 besteht in Deutschland zwar der Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. Der nützt jedoch nicht viel, wenn es gleichzeitig einen Mangel an Krippen- und Kindergartenplätzen gibt, viele Anträge abgelehnt werden oder sich das Personal um zu viele Kinder gleichzeitig kümmern muss. Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit besteht fort, obwohl alle Parteien seit Jahren Besserung in Aussicht stellen. Laut Statistischem Bundesamt liegt die Betreuungsquote von Kindern zwischen drei und sechs Jahren im Bundesdurchschnitt bei 91,3 Prozent. Der Mangel ist seit vielen Jahren bekannt, den Versprechungen der Parteien mag man da nicht viel Glauben schenken. (GEA)