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Plötzlich ist Frauenarztpraxis in Stuttgart dicht

Patientinnen in Gablenberg stehen jäh ohne Ärztin da. Praxis wurde von Berliner Start-up übernommen.

Praxis-Schild in Gablenberg – samt Hinweis auf den Verbund »Patient 21«.  FOTO: MÜLLER
Praxis-Schild in Gablenberg – samt Hinweis auf den Verbund »Patient 21«. FOTO: MÜLLER
Praxis-Schild in Gablenberg – samt Hinweis auf den Verbund »Patient 21«. FOTO: MÜLLER

STUTTGART. Es ist eine irritierende Erfahrung für viele Patientinnen der Frauenarztpraxis in Stuttgart-Gablenberg ge-wesen. Sie wollten die Räume an der Hauptstraße wie gewohnt aufsuchen, standen aber vor verschlossenen Türen. Bei Anrufen lief nur eine wenig erhellende Ansage, auf der Homepage hieß es, Termine würden derzeit online nicht vergeben. Was also tun, wenn – etwa wegen einer Schwangerschaft oder wegen der Krebsnachsorge – dringende Untersuchungen anstehen? Zumal wenn bei gesetzlich Versicherten innerhalb des Quartals kein Arztwechsel möglich ist?

Die unangekündigte Schließung gegen Ende 2024 ist die Folge einer Praxisübernahme, bei der offenbar vieles schiefgelaufen ist. Vor zwei Jahren hatte sich die dort lange tätige Gynäkologin verabschiedet. Sie freue sich, die Praxis an das »MVZ (Medizinische Versorgungszentrum) Patient 21 Stuttgart-Gablenberg« zu übergeben. Das vertraute Team werde zusammen mit einer neuen Ärztin die »geburtshilflich-frauenärztliche Versorgung« weiterführen. Die Patientinnen müssten nur der Weitergabe ihrer Daten zustimmen. Sie danke für das Vertrauen und wünsche »von Herzen alles Gute«, verblieb die scheidende Inhaberin.

Unternehmer war selbst erkrankt

Patient 21 – das ist ein Berliner Medizin-Start-up, das seit einigen Jahren bundesweit Arztpraxen aufkauft. Gegründet wurde es im Jahr 2019 von dem Unternehmer und Digital-Experten Christopher Muhr (43), der nach einer überstandenen Krebserkrankung die Branche wechselte: Vorher war er für einen Online-Autohändler und dessen Expansion tätig. Danach wollte er im Licht seiner eigenen Erfahrungen den Gesundheitssektor modernisieren.

Im Zentrum des Geschäftsmodells steht eine Plattform, auf der alle Patientendaten zusammenlaufen. Von der Terminvergabe über die Befunde bis zur Therapie soll dort alles abrufbar sein – für Patienten, Ärzte und Mitarbeiter. Befreit vom organisatorischen Ballast sollen sich die Mediziner ganz auf die Behandlung und Heilung konzentrieren – und die Patienten wegen der Transparenz besser daran mitwirken können.

Die Idee überzeugte Investoren. Mehr als 100 Millionen Euro konnte Muhr bereits einsammeln. Damit übernahm Patient 21 inzwischen bundesweit etwa 50 ambulante Praxen, fokussiert auf Zahnmedizin und Gynäkologie. Mit mehreren Hundert Mitarbeitern werden Tausende von Patienten versorgt. Mit 13 Einrichtungen ist der Verbund besonders in Baden-Württemberg stark vertreten. Schwerpunkt ist das Frauenheilkunde-Zentrum in Heidelberg samt Belegkrankenhaus Sankt Elisabeth; dem ist die Stuttgarter Praxis zugeordnet, gleichsam als Außenstelle.

An schönen Worten lässt es Patient 21 nicht mangeln. Den Befürchtungen vor einer unguten Kommerzialisierung der Medizin tritt das Unternehmen mit hehren Versprechen entgegen. Aufmerksames Zuhören werde großgeschrieben. Man interessiere sich »wirklich für den Menschen hinter dem Patienten«. Deren Wohlbefinden habe »oberste Priorität«. Dafür nehme man sich die notwendige Zeit. »Wir glauben an Karma«, heißt es im Internet auf der Homepage von Patient 21. Es lohne sich »immer, das Richtige zu tun – auch wenn es auf Kosten kurzfristiger Gewinne geht«.

Die Probleme in Stuttgart (»ein bedauerlicher Einzelfall«) redet Muhr jedenfalls nicht schön. »Die Frustration über die Situation der Praxis in Gablenberg teilen wir«, schrieb er unserer Zeitung. Seit fast zwei Jahren bemühe man sich, dort eine »nachhaltige personelle Situation hinzubekommen« – was bisher »leider nicht gelungen« sei. Bei den Ärztinnen und Ärzten herrschte ein Kommen und Gehen, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Personalknappheit sei in der Medizin »leider keine Seltenheit mehr« und werde Deutschland noch vor große Herausforderungen stellen, so der Unternehmer.

Akten zur Verfügung gestellt

Für die 200 bis 300 Patientinnen der Praxis zeigt Muhr großes Verständnis. Es sei natürlich »unangenehm und schmerzhaft, wenn eine vertrauensvolle Beziehung zu einem Arzt plötzlich wegfällt«; Schwangere etwa würden da nachvollziehbar nervös. Trotz der »vorübergehenden Schließung« bemühe man sich sehr, den Versorgungsauftrag zu erfüllen. In dringenden Fällen kümmerten sich »Leihärzte« tageweise um die Patientinnen. Andere Frauen habe man »erfolgreich bei umliegenden Gynäkologen untergebracht«. Patienten-Akten würden auf Anfrage sofort zur Verfügung gestellt, damit die neuen Behandler sich rasch in die Fälle einarbeiten könnten.

Im Großen und Ganzen gelinge das gut, aber vereinzelte emotionale Reaktionen blieben nicht aus. Im persönlichen Austausch, berichtet Muhr, hätten die Betroffene dann »Verständnis für die Situation gezeigt«. Mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ist Patient 21 nach seinen Angaben im engen Austausch. (GEA)