NEUFFEN. Das neue Wehrpflichtmodernisierungsgesetz ist auf der Zielgeraden von der Union gestoppt worden. Die SPD wundert sich, Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ärgert sich. Im Prinzip geht es darum, ein Datum festzulegen, ab dem der erneute Versuch mit der freiwilligen Wehrpflicht endet und der verpflichtende Dienst eingeführt wird. Um die Wehrpflicht ging es natürlich auch beim »Gipfeltreffen Hohenneuffen«, einer Veranstaltung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Die Zuhörer waren gespannt, wie sich der neue Wehrbeauftragte des Bundestages, der CDU-Politiker Henning Otte, dazu äußern würde.
»Der Koalitionsausschuss hat klar definiert, es zunächst mit Freiwilligkeit zu versuchen«, gab sich Otte ganz neutral. Er persönlich hätte das Gesetz gerne schnell verabschiedet gesehen, denn auf dem Weg zur deutschen Wehrtüchtigkeit spielt die Zeit eine entscheidende Rolle: »Es muss jetzt so schnell wie möglich Klarheit geben für die Jahrgänge ab 2008.«
Auf der anderen Seite nennt der Niedersachse Otte es wichtig, dass der Bundestag darüber debattiert. Für ihn ist aber auch klar, »wenn das Ziel nicht mit Freiwilligkeit erreicht wird – 260.000 aktive Soldaten und 200.000 Reservisten – dann braucht es verstärkte verpflichtende Elemente, um dieses zu erreichen. Ich lege mir das auf Wiedervorlage.«
»Verpflichtendes Element, aber keinen Automatismus«
Das neue Gesetz sollte eigentlich am 9. Oktober in erster Lesung vom Bundestag beraten werden. Nach den Bedenken der CDU/CSU einigten sich beide Koalitionsfraktionen darauf, die erste Beratung im Bundestag auf kommende Woche zu verschieben. In den Tagen zuvor hatte sich Otte drastischer geäußert. In Interviews hatte er für Nachbesserungen plädiert, um bei Bedarf schneller den Einstieg in die Wehrpflicht einzuleiten. Schließlich sei es schon in den Jahren zuvor nicht gelungen, die Truppenstärke mit Freiwilligkeit anzuheben.
Die SPD-Veranstaltung auf dem Hohenneuffen beschäftigte sich mit dem Thema »Ist die Bundeswehr gerüstet für die Zeitenwende?« Der Politikwissenschaftler Professor Sebastian Harnisch von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sagte, »wir werden um einen Pflichtcharakter wohl nicht herumkommen«. Nils Schmid, Nürtinger SPD-Bundestagsabgeordneter und Staatssekretär im Verteidigungsministerium, beruft sich dagegen auf den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD, in dem zunächst von Freiwilligkeit und einem verpflichtenden Element die Rede ist, »wenn die Freiwilligkeit nicht ausreicht«. Aber die SPD will keinen Automatismus. Er glaubt, mit diesen Eckpunkten könnten beide Parteien gut leben, »zumal wir uns einig sind, dass der freiwillige Wehrdienst attraktiver gestaltet und die Wehrerfassung und Wehrüberwachung und damit auch die Reserve gestärkt werden sollen«.
Am Ende geht es, so Otte, nicht nur um eine attraktive Gehaltsstruktur oder die Möglichkeit, beim Bund den Führerschein zu machen. Es geht um die Frage »kann ich einen Teil von mir einbringen für unsere Gesellschaft, für unser Land, von dem ich auch profitiere? Wir müssen die Wahrnehmung der jungen Menschen ernst nehmen, aber das bedeutet nicht, dass wir sie schonen müssen.« Man muss den jungen Menschen seiner Meinung nach zutrauen, dass sie ein Teil der Lösung sind.
»Die Kohorten von 18 bis 35 Jahren – zunächst einmal Männer – müssen davon überzeugt werden, dass sie sich in den Dienst der Gesellschaft stellen«, so Harnisch. Der Politikwissenschaftler will den Ernst der Lage verdeutlichen: »Es geht nicht um die Frage, ob wir als Gesellschaft dem gewachsen sein könnten. Diese Frage stelle ich mir gar nicht. Wir müssen uns dem gewachsen zeigen.« Es gibt seiner Überzeugung nach keine Alternative zur Bereitschaft, diese Gesellschaft gegen deren Gegner und Feinde zu verteidigen. Dieses Bewusstsein sieht er noch nicht.
Auch Joachim Fallert, Oberst der Reserve, Landesvorsitzender des Reservistenverbandes Baden-Württemberg und freiberuflicher Ingenieur, sieht nicht nur das militärische Element. »Das ist eine gesamtstaatliche und gesellschaftliche Aufgabe.«
»Putin testet uns, das hat jetzt eine neue Qualität«
Mit Blick auf die russischen Provokationen gerade in den letzten Wochen sagte Harnisch, Angst sei kein guter Berater. Russland versuche in den ukrainischen Unterstützerstaaten Angst zu erzeugen. Daher müsse die deutsche Gesellschaft resilienter werden. Fallert ergänzte: »Wir sind eine offene Gesellschaft und der russische Staat ist sehr innovativ, was Dinge angeht, die die Gesellschaft spalten. Putin testet uns, das hat jetzt eine neue Qualität erreicht.« Deshalb müssten laut Otte nun schnellstmöglich die Grundlagen zur Drohnenabwehr geschaffen und das Luftsicherheitsgesetz angepasst werden.
Deutschland steht vor großen Herausforderungen, gesellschaftlich militärisch und geostrategisch. Die Bundesrepublik kann sich laut Harnisch mit Blick auf US- Präsident Trump auch nicht mehr auf das traditionelle Sicherheitskonzept einer Arbeitsteilung im transatlantischen Bereich verlassen . »Wir haben es mit starken globalen Herausforderungen zu tun.«
Die Bundeswehr ist das wichtigste Instrument zur Sicherung der territorialen Integrität Deutschlands und der Bündnispartner. Harnisch nimmt kein Blatt vor den Mund: »Die Herausforderung ist, dass wir Fähigkeiten entwickeln müssen, um uns konventionell mindestens die nächsten zehn Jahre verteidigen zu können.« Deutschland müsse in dem Maße abschreckungsfähig werden.
»Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen«, betonte der Wehrbeauftragte. Dazu benötige die Bundeswehr von allem mehr. Die Bundeswehr müsse kaltstart- und durchhaltefähig werden, und in dem Zusammenhang appellierte Otte auch an die Wirtschaft, ihren erheblichen Beitrag dazu zu leisten. »Wir müssen schneller, innovativer, effektiver und effizienter werden – und vor allem auch mutiger. «
Vieles muss nun auf einmal und in kürzester Zeit getan werden. Oberst Fallert geht aber davon aus, dass das zu schaffen ist und »dass kein fremder Soldat deutsches Territorium betritt«. Er sieht die Bundeswehr materiell auf einem guten Weg, und das gelte auch für seinen Bereich, den Heimatschutz. (GEA)

