STUTTGART. Seit Jahren wächst die Zahl der Menschen, die die Winternotübernachtung der Stadt nutzen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Zahl der Personen mit vielfältigen psychischen Problemen, die keine Betreuung annehmen, steigt. Der Wohnungsmarkt ist angespannt und mit ihm das System der städtischen Wohnungsnotfallhilfe. Deren Aufnahmefähigkeit sinkt, weil die Menschen dort kaum mehr herauskommen und Plätze frei machen. Und mit dem Ende der Corona-Pandemie hat auch die Zuwanderung aus Ost- und Südosteuropa wieder zugenommen. Entsprechend steigt der Platzbedarf im Erfrierungsschutz. »Wir beobachten die Zuwächse mit Sorge«, sagt Sozialamtsleiterin Franziska Vogel.
Mehr Plätze für Obdachlose
Deshalb hat sich die Stadt erstmals für einen ungewöhnlichen Schritt entschieden: Von den maximal 550 Plätzen, die das Containerdorf für Geflüchtete im Reitstadion bietet, wurden bis zu 100 für die Winternotübernachtung reserviert. »Da-durch können wir den Erfrierungsschutz sicherstellen«, erklärt die Sozialamtsleiterin. »Wir haben dadurch mehr Puffer-kapazitäten als in den Vorjahren.« Damit könne man 190 Plätze zu diesem Zweck vorhalten, die vergangenen Jahre waren es etwa 150.
Lange Jahre war ein historisches Gebäude an der Hauptstätter Straße der zentrale Standort der Winternotübernachtung. Dazu kam dann ein Haus an der Villastraße sowie zuletzt Gebäude an der Kegelenstraße und an der Leobener Straße. Letzteres ist sehr klein, das gemietete Haus an der Kegelenstraße steht nicht mehr zur Verfügung, die ebenfalls gemietete Villastraße und die Hauptstätter Straße wiederum sind in einem sehr schlechten Zustand. Das Gebäude an der Hauptstätter Straße soll zentraler Standort der Winternotübernachtung bleiben, wird derzeit nach einem Wasserschaden und einem Schwelbrand aber saniert. Inzwischen nutzt die Stadt Gebäude an der Bottroperstraße, an der Hohenheimer Straße und an der Bonhoeffer Straße für den Erfrierungsschutz. Doch die Bottroper-straße ist mit ihren 65 Plätzen bereits überbelegt. Viele der Betroffenen, vor allem Roma-Familien, kampieren draußen. Insbesondere für deren Kinder wollten Sozialverwaltung und Ratsmehrheit im Winter eine sichere Unterkunft schaffen. Streetworker Daniel Rainers verteilt Schlafsäcke an Obdachlose, um sie vor der Winterkälte zu schützen. Mit seinem Einsatz schenkt er Menschen auf der Straße etwas Wärme, die gerade in der Weihnachtszeit oft übersehen werden.
Dass das unmittelbare Nebeneinander von Geflüchteten und Obdachlosen auch schwierige Seiten hat, ist dem Sozialamt bewusst. Diese Konstellation sei »mit Herausforderungen behaftet«, räumt die Amtsleiterin ein. Die Bereiche sind durch einen Zaun getrennt. Auf der einen Seite erhalten die Geflüchteten Vollverpflegung, im Bereich des Erfrierungsschutzes, wo die Menschen auch nicht so lange bleiben sollen, gibt es Getränke, man kann sich einen Tee machen oder sich das Essen aufwärmen.
Kinderschutz hat Priorität
Man habe die Maßnahmen »bestmöglich angepasst« an die neue Situation. Neben der »räumlichen Trennung« wurde der Wachdienst erhöht, erläutert Vogel. Man habe »den Kinderschutz im Blick«. Unter den Geflüchteten sind viele Familien mit Kindern. Diese würden »verstärkt in andere Unterkünfte verlegt«. Auch wenn Lösungen wie im Reitstadion »keine Regelunterkunft werden« sollen, ist Vogel der Auffassung, dass man in Notlagen flexibel sein müsse. Die Winternotübernachtung sei der »letzte Schutzraum« für obdachlose Menschen im Winter.
Dass die Stadt für den Erfrierungsschutz in den Wintermonaten einen Teil des Containerdorfs im Reitstadion nutzt, hat die dort tätigen Sozialträger jedoch sehr verärgert. »Ich bin ziemlich fassungslos«, erklärte Armin Biermann, der Bereichsleiter für Jugend- und Familienhilfe des Caritasverbandes. So seien unter den obdachlosen Menschen auch Personen mit »auffälligem Verhalten und Suchtproblemen«, direkt nebenan lebten Familien mit Kindern. Unter den derzeit 145 Bewohnerinnen und Bewohnern der Flüchtlingscontainer sind 54 Kinder. In der Notübernachtung waren in der vorigen Woche 22 Männer untergebracht. Für Biermann ist klar: Ein solches Nebeneinander »muss einmalig bleiben«. (GEA)