REUTLINGEN. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat einen Vorstoß gewagt, der selbst in Teilen ihrer eigenen Partei für Widerspruch sorgt: Sie fordert die Deutschen auf, mehr und länger zu arbeiten. Es könne nicht sein, so die CDU-Politikerin, dass wir ein Drittel unseres Lebens im Ruhestand verbringen. Falsch sind hier die Zahlen der Ministerin, denn die Deutschen verbringen momentan im Schnitt nur ein Viertel ihres Lebens in der Rente.
Allerdings besteht kein Zweifel daran, dass unser Rentensystem dringend reformiert werden muss. An einer Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung werden wir auf lange Sicht nicht vorbeikommen. Auch immer mehr Experten fordern eine Reform des Rentensystems mit einer Anhebung des Renteneintrittsalters. Die steigenden Beitragssätze würden sonst vor allem jüngere Generationen massiv belasten. In Ländern wie den Niederlanden, Dänemark und Schweden wurde diese Kopplung bereits beschlossen. Ein späterer Renteneintritt darf jedoch nicht die einzige Reform bleiben. Denn - und hier muss man ehrlich sein - für viele hart körperlich arbeitende Menschen ist das aktuelle Renteneintrittsalter von 67 Jahren schon jetzt nicht erreichbar. Außerdem sind viele Firmen auf ältere Mitarbeiter noch nicht eingestellt.
Tabus darf es bei der Rentendiskussion keine mehr geben. Dafür ist die Lage zu ernst. Zu diesen Tabus gehört auch, dass Beamte und Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) hatte erst kürzlich diese Forderung gestellt, wurde aber schnell wieder zurückgepfiffen. Unser Rentensystem ist ein Solidarsystem, in das künftig alle einzahlen müssen. Alles andere ist nicht mehr vermittelbar.

