BERLIN/REUTLINGEN. Die weltweite Sicherheitslage hat sich fundamental verändert und nun steht Deutschland vor Neuwahlen. Österreich, Frankreich, Schweden, Japan, die USA und 60 andere Staaten haben einen Nationalen Sicherheitsrat. Wird es nicht auch Zeit für ein solches Expertengremium in Deutschland? Die Ampel hatte zwar eine Nationale Sicherheitsstrategie beschlossen, doch der Sicherheitsrat als logische Konsequenz scheiterte am Ressort-Egoismus und dem Zuständigkeitsgerangel zwischen dem SPD-geführten Kanzleramt und dem Grünen-geführten Auswärtigen Amt. Strategische Blindheit, mangelnder politischer Wille und offensichtlich auch Überforderung angesichts der komplexen Themen ließen ein solches Gremium schmerzlich missen, das sicherheitspolitische Themen ständig im Blick hat.
»Wir haben eine neue Bedrohungslage. Ein Nationaler Sicherheitsrat kann eine Menge leisten«
Mit dem Platzen der Ampel ergibt sich eine neue Chance. Christina Moritz hält es für äußerst wichtig, dass ein Nationaler Sicherheitsrat zeitnah mit dem Amtsantritt der neuen Bundesregierung gelingt. Die Berliner Politologin hatte das Modell für einen solchen Sicherheitsrat erstmals 2016 vorgestellt. Dieses Gremium, sagt sie, gehöre ganz oben auf die 100-Tage-Agenda einer neuen Bundesregierung.
CDU ist für Nationalen Sicherheitsrat
Die CDU ist für einen Nationalen Sicherheitsrat. Das jedenfalls ist das Ergebnis eines Treffens von Fachleuten des CDU-Netzwerks Nationale Sicherheit aus den Bereichen Polizei, Justiz, Nachrichtendienste und Bundeswehr im Februar in Berlin. Eine echte Nationale Sicherheitsstrategie gibt es derzeit in Deutschland nicht. Aber: »Wir haben eine neue Bedrohungslage. Ein Nationaler Sicherheitsrat kann eine Menge leisten«, sagt der CDU-Sicherheitsexperte und Außenpolitiker Roderich Kiesewetter. Er ist außerdem stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums.
China, Russland, der Iran und Nord-korea seien eine Gefahr für ihre Nachbarn und die ganze Welt. Russland habe mit der Ukraine einen Nachbarstaat überfallen. Das Mullah-Regime im Iran unterstützte militante Islamisten wie die Hamas im Gazastreifen, die Hisbollah im Libanon oder die Huthis im Jemen im Kampf gegen Israel. Das Regime in Nordkorea drohe immer wieder mit Atomschlägen gegen das demokratische Südkorea, zählt der CDU-Politiker auf.
Die alte Bundesregierung stürzte beim Ansturm der Probleme – strategische Umstellung der Energieversorgung, Ukraine-Krieg und seine Notwendigkeiten, Wiederaufbau der Bundeswehr, Cyber-Gefährdung kritischer Infrastrukturen – ins Tohuwabohu. Tamara Zieschang, die Innenministerin von Sachsen-Anhalt und gleichzeitig stellvertretende Vorsitzende des CDU-Netzwerks, kritisierte schon bei der Nationalen Sicherheitsstrategie der Ampel, dass die Bundesländer nicht eingebunden wurden. Heute sei vernetztes Denken angesagt. Ein Nationaler Sicherheitsrat kann ihrer Meinung nach dazu beitragen, Gefahren früh zu erkennen und erfolgreich abzuwehren.
FDP ist dafür
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Link und die Obfrau der FDP-Fraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Afghanistan, Dr. Ann-Veruschka Jurisch, schrieben in der Tageszeitung »Welt« mit Blick auf die wilden Szenen am Flughafen Kabul beim Nato-Abzug aus Afghanistan, diese Krise zeige wie im Brennglas, dass die Unterteilung der Geschäftsbereiche der Bundesregierung in Ministerien strukturell in solchen komplexen Situationen an seine Grenzen stößt. »Es gibt in der Bundesregierung keinen Ort, an dem Lagebilder der Ressorts geeint und Widersprüche in der Betrachtung oder im Vorgehen aufgehoben werden. Die Lehre aus den schrecklichen Ereignissen von Kabul ist für uns klar: Deutschland braucht einen Nationalen Sicherheitsrat.«
Moritz drückt aufs Tempo: »Wir sollten daher keine weitere Zeit verlieren und unverzüglich einen Nationalen Sicherheitsrat einrichten. Zumindest aber sind dafür die Weichen zu stellen und die Vorarbeiten zu leisten.« Zu groß und zu komplex seien die Krisen unserer Zeit als dass sie unter die Räder unkoordinierter Analytik und nicht abgestimmter Maßnahmen geraten dürften.
Der Sicherheitsrat muss ein stehendes Gremium sein, das im Bundeskanzleramt direkt dem Chef des Bundeskanzleramts unterstellt ist und durch einen Nationalen Sicherheitsberater koordiniert wird", schreibt sie im Newsletter Verteidigung vom 12. November 2024. "Vornehmliche Aufgabe ist eine strukturierte Koordination der Ressorts und der Häuser. Diese sollte Übergeordnetes wie ein periodisches Update der Nationalen Sicherheitsstrategie und die Strategische Vorausschau der Bundesregierung genauso betreffen wie die Konsolidierung von Lagebildern."
Sie hat schon einen sehr konkreten und detaillierten politischen Fahrplan parat, der endloses Palaver und Wenn und Aber abkürzen könnte.
"Im Vorfeld werden organisatorische Abläufe, funktionale Überlegungen und Planungen sowie die Vorbereitung von Gesetzesnovellen ineinandergreifen und bisweilen parallel erfolgen müssen", schreibt sie. "Die Bundesrepublik kann es sich nicht länger leisten, auf Sicht zu fahren, ohne die strategische Vorausschau über einen Nationalen Sicherheitsrat zu institutionalisieren und den externen fachlichen Rat von Wirtschaft, Verbänden, Wissenschaft oder Einzelexperten zu integrieren. (GEA)