SANTIAGO DE CHILE. War es ein gutes oder ein schlechtes Vorzeichen, als Ende Februar ein heftiges Erdbeben Chile erschütterte und den wenige Wochen zuvor eröffneten mächtigen Neubau des »Museums der Erinnerung und der Menschenrechte« in der Hauptstadt Santiago beschädigte? In dem vierstöckigen Gebäude geht es um den staatlichen Terror, die Verbrechen und die Opfer der düsteren Zeit der Pinochet-Militärdiktatur von 1973 bis 1990.
Nach wie vor ist die Bevölkerung in Chile über die Bewertung der Zeit unter Diktator Augusto Pinochet uneins. Doch alleine schon die Größe des »Museo de Memoria y los Derechos Humanos« mit 5.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zeigt, wie wichtig das Thema auch 35 Jahre nach dem Ende der Diktatur und 15 Jahre nach der von Protesten der indigenen Mapuche begleiteten Eröffnung am 11. Januar 2010 durch die sozialistische chilenische Präsidentin Michelle Bachelet. In dem Jahr feierte das südamerikanische Land auch den 200. Jahrestag der Unabhängigkeit 1810.
Schwierige Aufarbeitung
Bachelets Vater, Luftwaffengeneral Alberto Bachelet, hielt in der Putschzeit zu Allende, kam ins Gefängnis, wurde dort gefoltert und starb dort an einem Herzinfarkt. Auch die 22-jährige Medizinstudentin wurde 1975 in einem Foltergefängnis drangsaliert, der »Grill«, ein Bettgestell, auf dem Gefangene mit Elektroschocks schwer misshandelt wurden, blieb ihr aber erspart, erzählte sie später. In der DDR studierte sie in Leipzig und Berlin weiter und schloss das Studium nach der Rückkehr nach Chile 1979 ab.
Was war damals geschehen? Salvador Allende hatte 1970 die Präsidentschaftswahlen in Chile mit knapper Mehrheit gewonnen. Er startete mit der Enteignung von Großgrundbesitzern und der Verstaatlichung der Industrie, zu der die größtenteils in US-Hand befindlichen Kupferminen gehörten. Das alles missfiel Washington und US-Präsident Richard Nixon. Die USA verhängten ein Handelsembargo. Allendes großes Problem war, dass er die Arbeitslosigkeit und die Inflation nicht in den Griff bekam. Obwohl er kostenlosen Zugang zur Bildung und medizinischer Versorgung versprach, kam es bald zu Protesten und Streiks. Bei den Parlamentswahlen musste Allendes Regierungsbündnis Verluste hinnehmen.
Der erste Umsturzversuch eines Panzerregiments scheiterte Mitte 1973. Als das Parlament mit seiner rechtskonservativen Mehrheit Allende im August wegen angeblichen Verfassungsbruchs das Misstrauen aussprach, nahm das für den erst kurz vorher von Allende zum neuen Heereschef ernannten General Augusto Pinochet als Legitimation für seinen Putsch.
Am 11. September 1973 ließ Pinochet den Präsidentenpalast bombardieren. Als der Amtssitz von Allende gestürmt wurde, nahm sich dieser das Leben. Parteien wurden verboten, die Medien zensiert und Pinochets Geheimpolizei Dirección de Inteligencia Nacional wütete in brutalster Art und Weise. Es wurden Folterlager eingerichtet. Politische Gegner und Anhänger von Allende, Linke, Studenten und andere unliebsame Bürger verschwanden, ohne dass je wieder von ihnen gehört wurde. Die Schätzungen über Opferzahlen gehen weit auseinander. Viele wissen bis heute nicht, was mit ihren Familienangehörigen geschehen ist.
Eine 1990 eingesetzte Kommission zur Aufklärung der Verbrechen nennt die Zahl von 3.000 Morden, noch mehr Folteropfern und mehr als 40.000 politische Häftlinge. Nahezu 250.000 Chilenen flohen außer Landes. Viele Opfer wurden auch in der Colonia Dignidad gefoltert. Diese Siedlung war 1961 von dem Deutschen Paul Schäfer gegründet worden und galt als landwirtschaftlicher Musterbetrieb, hinter dessen Kulissen sich allerdings Schlimmes abspielte.
Noch heute berufen sich Pinochet-Anhänger darauf, dass die neoliberale Wirtschaftspolitik seiner Chicago-Boys die Inflation wirkungsvoll bekämpfte,, dass Zölle abgebaut und staatliche Betriebe privatisiert wurden. Die Wirtschaft wuchs kräftig. Die Chicago-Boys waren junge Leute, die in den USA studiert hatten und nun das Land umkrempelten. Doch auch Pinochets Problem blieb die hohe Zahl der Arbeitslosen. Unter Pinochet wurden die Reichen immer reicher und rissen sich zahlreiche Pfründe unter den Nagel. International wurde das auf Angst und Gewalt aufgebaute Regime zum Paria. Bis heute meinen etliche Rechtskonservative und Militärs, dass der Putsch damals Chile vor Schlimmerem bewahrt hatte.
Auf seine Stärke vertrauend bescherte Pinochet dem Land 1980 eine neue Verfassung, die mit geringen Änderungen nach wie vor gilt, weil die Chilenen in den vergangenen beiden Jahren eine neue Verfassung abgelehnt hatten. In der neuen Verfassung von 1980 hatte Pinochet für 1988 eine Volksbefragung über eine weitere Amtszeit vorgesehen. Das hatte bislang kein Diktator gewagt. Eine Niederlage war auch nicht eingeplant gewesen, weil das Regime unter anderem die Medien kontrollierte. Doch die Kampagne »No« (Nein) schaffte es auch zur Überraschung ihrer Initiatoren, dass die Mehrheit der Chilenen es in dem Referendum ablehnte, dass Pinochet der einzige Kandidat bei den für 1989 geplanten Präsidentschaftswahlen sein sollte. Bei den anschließenden Wahlen setzte sich Patricio Aylwin als Chiles neuer Präsident durch. So gelang schließlich tatsächlich eine Ablösung auf demokratischem Weg.
Wahrheitskommission
Als der 83-jährige Pinochet 1998 nach London reiste, wurde er wegen einer Anzeige in Spanien und Ermittlungen wegen Völkermordes verhaftet und blieb dort anderthalb Jahre unter Hausarrest. Aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands konnte nach einem langen diplomatischen Hin und Her im Jahr 2000 zurück nach Chile, wo kurz darauf seine Immunität als Senator auf Lebenszeit aufgehoben wurde. Trotz Anklage kam es schließlich wegen Pinochets fortgeschrittener Altersdemenz nicht mehr zu einer Verurteilung. Pinochet starb 2006.
Der mächtige Museumsbau im Zentrum der chilenischen Hauptstadt mag manchen Besuchern fast einschüchtern. Auf dem Weg zum Eingangsportal sind die 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wiedergegeben. Im Museum selbst werden die Geschehnisse von damals in eindrücklicher Art und Weise wiedergegeben. Als Orientierungsrahmen dienen dabei die Berichte der sogenannten Wahrheitskommissionen, die sich mit dem Schicksal der Ermordeten, der Verschwundenen und der Folteropfer befassten. Die Vorgeschichte des Museums war kompliziert und ein politisch-gesellschaftlicher Dissens um die richtige Erinnerungskultur. Das Museum sollte eine vom Staat bezahlte, aber unabhängige nichtstaatliche Einrichtung sein, getragen von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen. Die Frage war, ob damit die Unabhängigkeit des Museums und eine neutrale Darstellung der Ereignisse gewährleistet werden konnte, denn das ist mehr als das: es ist Dokumentationszentrum und ein riesiges Archiv. Daher kann auch nur ein kleiner Teil der Mengen an Archivmaterial, Zeugenberichte und Dokumente in der Ausstellung zu sehen.
Dreistöckige Fotowand
Im Zentrum des Museums fällt jedem Besucher die riesige, sich über drei Stockwerke erstreckende Fotowand auf. Es sind die Fotos der Ermordeten und Verschwundenen, die fast immer irgendwie ins Auge fällt, während sich der Besucher auf den Etagen über die Ereignisse des Putsches informiert. Schulklassen informieren sich in dem didaktisch nach modernsten Erkenntnissen aufgebauten Museum ebenso wie Chile-Besucher aus dem Ausland, Angehörige von Opfern – und viele chilenische Familien beklagen Opfer – Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten und Studenten, die sich mit der Thematik befassen. Gegenüber dieser Wand befindet sich in der zweiten Etage ein Pult, wo beispielsweise Angehörige beten und Informationen über die einzelnen Personen aufrufen können. Eindrücklich sind die Zeitzeugenberichte über das Verschwinden von Angehörigen und Überlebenden der Folterungen, die Filmdokumentationen und die Fülle von Materialien bis hin zum »Grill«, die den Horror fast körperlich fühlbar machen.
Immerhin dauerte es zwei Jahrzehnte, bis das Museum gebaut und eingeweiht wurde. Dass man es nicht allen recht machen würde, war den Initiatoren von vornherein klar gewesen. (GEA)